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Medizin muss keine Fremdsprache bleiben  
  Wenn eine Polin in Österreich Ärztin wird, hat sie zumindest zwei Fremdsprachen zu erlernen: Deutsch und die Sprache der Medizin. Die Rückübersetzung dieser beiden Sprachen in eine für alle verständliche Alltagssprache, ist doppelt schwierig. Jolanta Siller-Matula ist es geglückt. Die Assistenzärztin für Innere Medizin am AKH Wien wurde vor einigen Monaten bei "FameLab 2008" ausgezeichnet, einem Wettbewerb für die gelungene Kommunikation von Wissenschaft.  
Damit es mehr Menschen gelingt, den Spagat zwischen wissenschaftlicher Korrektheit und allgemeiner Verständlichkeit zu schaffen, empfiehlt Jolanta Siller-Matula ein entsprechendes Fach im Medizinstudium.

Und auch das Lesen von Portalen wie science.ORF.at schadet nicht, meint sie im Interview mit letzterem.
Bild: British Council
Siller-Matula bei FameLab 2008
science.ORF.at: Sie können sehr unterschiedlich über Wissenschaft sprechen. Zum einen stammen Sätze von Ihnen wie "Der Cone and Platelet Analyzer misst die arachidonsäurestimulierte Plättchenaggregation und -adhäsion unter Scherkräften im Natriumcitrat-antikoagulierten Vollblut." Zum anderen haben Sie bei Famelab einen Preis bekommen für die anschauliche Erklärung von Telomerase. Wie große ist der Spagat zwischen diesen beiden Sprechweisen?

Jolanta Siller-Matula: Die erste Frage, die ich mir bei einem Text immer stelle, ist die nach dem Zielpublikum. Bei dem zitierten Satz waren es Ärzte, die sich für das Thema Aspirinresistenz interessiert haben. Wenn das Publikum ein anderes wäre, würde ich das viel einfacher ausdrücken. Wenn man das bei den Ärzten macht, würden sie mir Inkompetenz vorwerfen. Das Verwenden von Fachbegriffen gilt als Zeichen der Zugehörigkeit. Was aber auch eine Generationen- und Mentalitätsfrage ist. Die jüngeren Kollegen sind schon viel offener.
Sie können zwischen den beiden Sprechweisen einfach umschalten?

Einfach ist das nicht, entscheidend ist die Vorbereitung, und das braucht natürlich Zeit. Wissenschaftskommunikation ist eine schwierige Disziplin, die eine gute Sprachbeherrschung und Kommunikationskompetenz verlangt. Wichtig ist die Struktur: Wer ist mein Empfänger und was will ich sagen?
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Schwerpunkt: "Sprechen Sie Wissenschaft?"
"Sprechen Sie Wissenschaft? Wissenschaftssprache im öffentlichen Dialog" heißt eine Initiative von BMWF und Ö1 Wissenschaft. Forscher und Forscherinnen verschiedener Disziplinen reflektieren dabei in science.ORF.at in Gastbeiträgen und Interviews über den wissenschaftlichen Sprachgebrauch und den Bedarf an Wissenschaftskommunikation.
->   Initiative
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Was kann man prinzipiell für die Wissenschaftskommunikation tun?

Am besten wäre es, wenn es ein eigenes Fach im Studium dazu gebe, gleich zu Beginn wie in den USA, wo es Präsentationskurse gibt. Es ist kein Wunder, dass die Amerikaner auf den Kongressen auch immer viel selbstbewusster, kompetenter und auch humorvoller als andere auftreten. Die haben das gelernt. Sich präsentieren zu können, ist aber nicht nur bei Tagungen wichtig, sondern auch gegenüber Patienten. Das könnte man zusammen lernen.
Es gibt genügend Wissenschaftler, nicht zuletzt Ärzte, denen es prinzipiell gleichgültig ist, ob sie verstanden werden.

Das verstehe ich nicht, ich bin Ärztin und Wissenschaftlerin. Unabhängig, ob ich über Krankheiten spreche oder über Wissenschaft, gehe ich davon aus, dass es irritiert, wenn ich meinen medizinischen Jargon verwende.

Ich glaube, dass es Patienten bei der Genesung hilft, wenn sie verstehen, welche Krankheit sie haben, was die Ursachen sind und was sie dagegen tun können. Das ist jedenfalls mein Feedback, das ich oft bekomme. Wenn ich den Patienten z.B. erkläre, warum sie nicht mehr rauchen sollen, ist das viel effektiver, als wenn ich es ihnen einfach nur verbiete.
Wie haben Sie Ihre Übersetzungsfähigkeiten gelernt?

Ich interessiere mich für sehr viele verschiedene wissenschaftliche Themen, habe aber leider zu wenig Zeit, um dabei immer die Originalquellen zu lesen. Deswegen schaue ich mir gerne Wissenschaftsportale wie science.ORF.at an, um auf dem neuesten Stand zu sein. Und beim Lesen lernt man natürlich auch, wie solche Texte geschrieben sind.

Ich bin aber oft auch enttäuscht, dass Informationen verloren gehen. Oft steht im Titel etwas anderes als im Text. OK, natürlich will man damit Interesse wecken, aber falsch sollte es dennoch nicht sein. Da bin ich sehr empfindlich.

Und deshalb fände ich es gut, wenn Wissenschaftler und Journalisten zusammenarbeiten würden und sich gegenseitig kontrollieren. Oder wenn sie wechselseitig die Ausbildung des anderen machen würden, was natürlich schwierig ist und zeitintensiv.
Sie übersetzen ja nicht nur die Sprache der Medizin in jene des Alltags, sondern auch aus dem Polnischen ins Deutsche. Wann haben Sie Deutsch gelernt?

Ich bin im August 2002 von der Medizinischen Uni Warschau als Erasmus-Studentin nach Wien gekommen. Zuvor hatte ich zwar eine gute Deutschlehrerin in der Schule, aber der Rest der Klasse hat sich wenig für den Unterricht interessiert.

Ich konnte also schon ein bisschen Deutsch, der Schock in Wien war dann sehr groß, weil ich das Wienerisch anfangs überhaupt nicht verstanden habe. Ich hatte damals aber einen ziemlichen Druck und musste viele Prüfungen machen. Damit das funktioniert, habe ich die Fachbücher auf Deutsch zum Teil auswendig gelernt.

Nach einem Jahr ging es schon viel besser, und ich konnte mich auch auf Deutsch gut ausdrücken. Aber meine Praxis stammte ausschließlich aus den Fachbüchern, ich hatte keine Zeit um Zeitungen zu lesen oder fernzuschauen.
Bücher auswendig zu lernen ist in der Medizin eine weit verbreitete Praxis, gleichgültig woher man kommt. Welche Fremdsprache war im Nachhinein betrachtet schwieriger zu erlernen: "Medizin" oder Deutsch?

Deutsch. "Medizin" habe ich eigentlich in vier Sprachen gelernt: Lateinisch, Polnisch, Englisch und Deutsch. Und zwischen denen gibt es viele Ähnlichkeiten. Zwischen Deutsch und Polnisch hingegen überhaupt keine.

In welcher Sprache denken oder träumen Sie?

Das kommt darauf an. Im Moment denke ich Deutsch, in der Arbeit auch. Wenn ich über die Familie träume, träume ich auf Polnisch. Bei Dingen, die jetzt geschehen, auf Deutsch.
Sie haben einen Facebook-Account, benutzen Sie den auch für ihre wissenschaftliche Arbeit?

Ja, im Rahmen von "Beautiful Science", einer Working Group von derzeit etwa 250 Forschern, die etwas mit Wissenschaftkommunikation machen wollen. Ziele sind die Planung und Durchführung von Projekten aus verschiedenen Wissenschaften.

Werden diese elektronisch entstandenen Netzwerke in Zukunft eine größere Rolle spielen?

Ich war anfangs nicht so überzeugt, glaube aber mittlerweile, dass das wichtiger werden wird. Die Kunst dabei, ist sich mit den "richtigen Leuten" zusammenzufinden, die wirklich etwas tun möchten und nicht nur reden.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 15.9.08
->   Sieger von FameLab 2008
->   Beautiful Science (British Council)
->   Alle Beiträge der Serie "Sprechen Sie Wissenschaft"
 
 
 
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01.01.2010