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Artenbildung: Liebe geht durch das Auge  
  Der afrikanische Viktoriasee beherbergt außergewöhnlich viele Barscharten. Biologen haben nun herausgefunden, warum das so ist: Die Fischweibchen haben bei der Anpassung ihres Sehsystems an die Umwelt auch ihr Partnerschema verändert. Sie mögen nur jene Männchen, die sie gut sehen können.  
Viele Arten, wenig Erklärungen
Rund anderthalb Millionen Arten haben Biologen bisher beschrieben, die tatsächliche Zahl beträgt vermutlich ein Vielfaches dessen. Diesbezügliche Schätzungen gehen weit auseinander, manche sehen den Plafonds bei drei bis vier Millionen Spezies erreicht, andere verweisen auf die extreme Artenvielfalt der Insekten in den tropischen Bereichen und halten zehn Millionen und mehr für realistisch.

Wie dem auch sei: Selbst wenn der Wert am unteren Ende der Prognosenskala liegen sollte, er ist gar nicht so einfach zu erklären. Das Problem dabei ist nämlich, dass die klassische Weise eine Fortpflanzungsbarriere zwischen zwei Populationen einzuziehen, zu selten auftritt, als dass sie zu einer solchen Vielfalt führen könnte.

Klassisch heißt in diesem Fall: Werden zwei Populationen räumlich isoliert (etwa weil ein Gebirge zwischen ihnen liegt), versiegt der Genfluss zwischen ihnen. Wartet man lange genug, dann können sich die beiden irgendwann nicht mehr fruchtbar paaren, sei es aus genetischen oder ökologischen Gründen.
Barsche mit farblichen Vorlieben
 
Bild: Inke van der Sluijs

Alpenhauptkämme und dergleichen, die als wirkungsvolle geografische Barriere wirken könnten, sind allerdings recht selten, weswegen es wohl auch einen Artbildungsmodus mit räumlichem Kontakt geben muss. Ole Seehausen von der Universität Bern präsentiert nun in der Zeitschrift "Nature" (Bd. 455, S. 620) die vermutlich kompletteste Dokumentation eines solchen Falles. Hauptdarsteller dieses Stückes mit dem Titel "Evolution in Aktion" sind Buntbarsche aus dem Viktoriasee, deren Männchen in einer bläu- und einer rötlichen Variante auftreten (Bild oben).

Seehausen und seine Mitarbeiter wiesen nach, dass die Farbe etwas mit der Fortpflanzung zu tun hat: Manche Weibchen sehen nämlich besser im roten Bereich und bevorzugen daher rötliche Partner, andere orientieren sich wiederum im Blaubereich besser - auch hier entspricht die Partnerpräferenz dem Sehvermögen. Der Witz an der Sache ist, dass es offenbar einen Ansatzpunkt für die Selektion gibt, der diese Zweiteilung aufrecht erhält und verstärkt.

Zum einen fand Seehausen die dafür verantwortlichen Mutationen (sie liegen im Gen des Sehpigments Opsin), zum anderen bietet der Viktoriasee von der Küste bis zum tiefsten Punkt recht diverse visuelle Umwelten, in denen genetische Varianten ihre jeweiligen Stärken ausspielen können. Je tiefer man kommt, desto dominanter wird der Anteil des langwelligen (roten) Lichts, dementsprechend siedeln sich die Buntbarsche mit unterschiedlichem Sehvermögen auch in unterschiedlichen Tiefen an.
Erklärung für Öko-Desaster
Bild: Nature
Das aktuelle Nature-Cover.
Das Trennungsverfahren funktioniert allerdings nur dort, wo sich das Lichtspektrum mit der Wassertiefe langsam ändert, wie Seehausen herausgefunden hat. Hier bleibt den verschiedenen Orientierungstypen genug Raum, um ihre Nische voll zu entwickeln. In Bereichen, wo die Spektren sehr abrupt abfallen, dominiert hingegen eine Mischform - das könnte erklären, warum die Artenvielfalt im Viktoriasee in den letzten 25 Jahren so dramatisch eingebrochen ist.

An sich gilt der zweitgrößte Süßwassersee der Welt als Dorado der Biodiversität sowie als Lehrbuchbeispiel für rasante Artenbildung: Die mehr als 500 Fischarten haben sich Studien zufolge innerhalb weniger Hundertausend Jahre gebildet, das ist gemessen an evolutionären Zeiträumen in der Tat rekordverdächtig.

Dass sich dieser Trend nun umgekehrt hat und die Artenvielfalt offenbar Jahr für Jahr zurückgeht, dürfte mit der zunehmenden Überdüngung des Viktoriasees zu tun haben. Sie hat zu einer Trübung und zu einer Nivellierung der Lichtspektren geführt.

Aus Sicht der Buntbarsche verkommt die vormals bunte visuelle Lebenswelt immer mehr zu einem grauen Einerlei, in dem es keinen Platz mehr für verschiedene Nischen gibt. "Wir hoffen", schreibt Seehausen in seiner Studie, "dass diese Ergebnisse nun die Aufmerksamkeit auf den Artenschutz und die Wasserqualität im Viktoriasee lenken."

Robert Czepel, science.ORF.at, 2.10.08
->   Viktoriasee - Wikipedia
->   Ole Seehausen
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->   Afrikanischen Buntbarschen auf der Evolutions-Spur
 
 
 
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01.01.2010