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Menschliches Erbgut in nur acht Wochen entziffert
Fluch oder Segen?
 
  Mit neuartigen Maschinen haben US-Forscher das Erbgut eines Afrikaners in nur acht Wochen entziffert. Sie benötigten dafür nur rund 80.000 Euro und arbeiteten zugleich mit einer bisher unerreichten Präzision.  
Chinesische Genetiker sequenzierten in ähnlicher Zeit das Erbgut eines Han-Chinesen. Die jetzt publizierten Genome gehen auf das Verfahren des Biotechnik-Unternehmens Illumina (Großbritannien/USA) zurück.

Was technisch ein Fortschritt ist, lässt bei vielen die Alarmglocken läuten: Was geschieht mit dem Wissen um die persönliche DNA und welche Art Missbrauch könnte damit betrieben werden?
->   Illumina-Verfahren
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Die entsprechenden Studien "Accurate whole human genome sequencing using reversible terminator chemistry" und "The diploid genome sequence of an Asian individual" sind am 6.11.08 in "Nature" erschienen (Bd. 456, S. 53 bzw. 60).
->   Nature
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Beispiel vom Volk der Yoruba
Im ersten Fall sequenzierte eine internationale Gruppe um Mitarbeiter der Firma damit das Genom eines anonymen Afrikaners vom Volk der Yoruba aus Nigeria. Diese sind dem ersten Menschen näher als andere Völker.

In den acht Wochen wurde das Genom im Durchschnitt mehr als 30 Mal gelesen. Dies ist nötig, um die zunächst einzeln sequenzierten Erbgut-Schnipsel in die korrekte Reihenfolge zu bringen. Die DNA des Menschen umfasst rund 3,2 Milliarden Bausteine.

Die beiden übrigen schon publizierten persönlichen Genome - jene der Genetiker James Watson und Craig Venter - wurden im Durchschnitt lediglich siebenmal gelesen.
Sehr viel schneller als Premieren-Sequenzierung
"Unser Ansatz ist effektiv für das akkurate, schnelle und ökonomische Sequenzieren ganzer Genome und viele andere biomedizinische Anwendungen", schreibt das Team um den Illumina-Forscher David Bentley.

Ebenfalls in "Nature" publiziert die Gruppe um Jun Wang vom Beijing Genomics Institute in Shenzen das erste Genom eines Han-Chinesen. Es nutzte auch die Illumina-Technik und las dessen Genom in 36-facher Redundanz.

Zum Vergleich: Das Humangenomprojekt benötigte für seine 2004 vorgestellte Sequenz noch mehrere Jahre, hunderte Maschinen und rund 300 Millionen Dollar, erklärt Bentley. Damals war die endgültige Sequenz aus dem Erbgut mehrerer Menschen zusammengesetzt worden. Bei Craig Venter seien es 2007 noch zehn Millionen Dollar gewesen, heißt es bei Illumina.
Fluch oder Segen?
Weil damit auch der Laie in absehbarer Zeit im Besitz seines DNA-Codes und in Kenntnis von potenziell bedrohlichen Mutationen sein kann, warnen besorgte Forscher eindringlich vor dem Missbrauch der Informationen.

Der Umgang mit den genetischen Daten müsse geregelt werden, bevor das Wissen nicht mehr rückholbar in der Welt ist. Anderenfalls hätten womöglich Behörden, Versicherungen, Arbeitgeber, Werbetreibende oder andere unberechtigte Interessenten Zugriff auf diese zutiefst persönlichen Daten.
Ohne begleitende Beratung ...
Der Molekulargenetiker Nils von Neuhoff von der Medizinischen Hochschule Hannover rechnet damit, dass bei fallenden Preisen über kurz oder lang jeder Mensch, der es will, sein vollständiges Genom kennen und auf Mutationen untersuchen kann.

Seine Warnung: "Wenn der Mensch dann keinen Humangenetiker an seiner Seite hat, der dies alles so genau erklärt, wie wir es in der Beratung tun, könnte sich ein labiler Mensch angesichts des Risikos durchaus etwas antun."
... nicht zu empfehlen
Gentests für Alzheimer und Diabetes sind ohnehin eine sehr unsichere Sache: Diese Krankheiten entstehen aus einer Kombination zahlreicher Ursachen, die gar nicht alle bekannt sind - geschweige denn die vielfältigen Zusammenhänge zwischen ihnen.

Der Test enthüllt als nur den Zustand eines Teils der Verdachtsgene. "Aber selbst, wenn man das Risiko für eine Krankheit trägt, ist damit noch lange nicht klar, dass diese auch ausbricht", betont von Neuhoff.
Wirtschaftliche Interessen versus Objektivität
Auch die österreichische Politikwissenschaftlerin Barbara Prainsack und Kollegen schreiben in "Nature" zur Zunahme der privaten Genom-Sequenzierung. Sie befürworten einerseits Entwicklungen, in denen Individuen als "Experten und aktive Inhaber ihres Genoms agieren können".

Andererseits könne die Vorstellung von einer Gesellschaft pro-aktiver Bürger, die freie und unmanipulierte Entscheidungen am unregulierten Genom-Markt treffen, angesichts der engen Verbindung von Wissensproduktion und wirtschaftlicher Wertschöpfung, nur eine Illusion sein.

Weder die meisten Ärzte, noch andere Gesundheitsexpertn seien dazu ausgebildet, Genom-Information zu interpretieren. Das Resultat sei, dass Informationen darüber, was Genom-Information bedeutet, und welche Risiken mit Genom-Tests verbunden sind, hauptsächlich von den Firmen kommen, welche diese Tests anbieten. Und für jene, die Produkte verkaufen wollen, hat die Objektivität und Vollständigkeit der Information meist nicht oberste Priorität.
Studien sollen Auswirkungen untersuchen
Die Forscher warnen in einer Aussendung des österreichischen Genomforschungsprogramms GEN-AU aber auch, dass es für eine vorausschauende politisch-rechtliche Steuerung zu früh sei.

Es ist ihnen daher ein Anliegen, dass die empirische Untersuchung unterschiedlichster Auswirkungen dieser DNA-Tests staatlich gefördert wird.

Auf Basis der Ergebnisse könnten Regierungen dann entscheiden, inwieweit die bestehenden Gentest-Gesetze anwendbar sind oder ob eine neue Gesetzgebung notwendig wird.

[science.ORF.at/dpa, 6.11.08]
->   GEN-AU
->   Barbara Prainsack
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01.01.2010