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Gekühlte Vögel singen in Zeitlupe  
  Zebrafinken sind nicht nur hübsch anzusehen, sie singen auch prächtig. Wie sie das Tempo ihres Gesangs bestimmen, haben US-Forscher nun mit einer sehr ungewöhnlichen Methode entdeckt. Dazu kühlten sie bestimmte Regionen des Gehirns um bis zu zehn Grad Celsius ab. Und siehe da: Abgekühlte Zebrafinken trällern "in Zeitlupe".  
"Wir glauben, dass wir die Uhr gefunden haben, die das Timing des Vogelgesangs kontrolliert", frohlockt der Gehirnforscher Michale Fee vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) im amerikanischen Cambridge.

Mit ihrer Kühlmethode ließe sich auch die neuronale Steuerung anderer komplexer Verhaltensweisen untersuchen, berichten er und seine Kollege Michael Long und Michale Fee.
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Die entsprechende Studie "Using temperature to analyse temporal dynamics in the songbird motor pathway" ist am 13.11.08 in "Nature" (Bd. 456, S. 189) erschienen.
->   Nature
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Koordination komplexer Bewegungen
 
Bild: M. Long & M. Fee

Ein erwachsenes Zebrafinkenmännchen

Gleichgültig ob Schwimmen, Tanzen oder Maschinschreiben: Komplexe Bewegungen oder Aktivitäten bedürfen des Zusammenspiels von Dutzenden oder noch mehr Muskeln. Forscher gehen schon seit längerem von Netzwerken im Gehirn aus, die quasi wie Dirigenten hinter dem Orchester der Einzelbewegungen stehen und diese koordinieren.

Ein besonderes Beispiel für solch eine komplexe Bewegung ist der Gesang von Zebrafinken. Dieser besteht aus verschiedenen Motiven, die aus Silben aufgebaut werden, die wiederum aus einzelnen Noten zusammengesetzt werden. All diese Einzelteile müssen derart koordiniert werden, dass ein komplettes Lied entsteht.
Gehirn-Implantat sorgt für Abkühlung
Wie das Gehirn das macht, haben nun Michael Long und Michale Fee mit einer ebenso besonderen Methode untersucht. Regionen im Gehirn abzukühlen, um damit ihre Aktivität zu vermindern oder abzuschalten, ist zwar schon länger bekannt - die Forscher verweisen auf eine entsprechende Studie aus dem Jahr 1961 (Science, Bd. 134, S. 1.520).

Um ausgesuchte Gehirnregionen aber besonders treffgenau und schrittweise abzukühlen, haben sie den Zebrafinken nun ein Werkzeug ins Gehirn implantiert, das auf dem sogenannten Peltier-Effekt beruht. Dabei wird Elektrizität in Temperatur umgewandelt.
->   Peltier-Effekt (Wikipedia)
Lied um bis zu 45 Prozent langsamer
Zeichnung: Kathy Nagel
Mit dieser Zeichnung illustriert "Nature" seine Geschichte zur "Uhr des Vogelgesangs"
Konkret standen zwei Gehirnregionen im Fokus, die beide für den Vogelgesang zentral sind: das High Vocal Center (HVC) und der Robuste Nukleus des Arcopallium (RA).

Beide wurden bei Zebrafinken mit Hilfe des Implantats abgekühlt. Während sich die RA-Abkühlung nicht auswirkte, zeigten sich beim HVC erstaunlichen Resultate.

Das Lied verlangsamte sich proportional zum Grad der Abkühlung, bei einem Minus von zehn Grad Celsius sangen die Vögel im Maximalfall um knapp 45 Prozent länger.
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Vogelgesang - normal bzw. verlangsamt
Hier zwei Tonbeispiele: Auf Tonbeispiel 1 ist ein normaler Finkengesang zu hören, auf Tonbeispiel 2 einer, der nach der Abkühlung entstanden und dementsprechend langsamer ist. (Audios: M. Long & M. Fee)
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Wie bei einem Leierkasten
Es nahm aber nicht nur die Liedlänge insgesamt zu, sondern auch die einzelnen Silben und Noten verlängerten sich. Das wiederum bedeutet, dass Struktur und Rhythmus des Lieds erhalten blieben.

Die Forscher vergleichen das mit einem Leierkasten, bei dem sich auch nur die Geschwindigkeit verändert, nicht aber die Noten, wenn man ihn langsamer dreht. Das HVC entspreche der Trommel im Leierkasten, die Abkühlung der langsameren Umdrehung.
Synchronisierung der beiden Gehirnhälften
Oder technischer ausgedrückt: Das HVC kontrolliert das Timing des Zebrafinkengesangs. Bleibt nur ein Problem: Die Vögel verfügen über zwei dieser Zentren, eines in jeder Gehirnhemisphäre.

Auch das haben Fee und Long untersucht, indem sie abwechselnd nur jeweils eines der Zentren abkühlten. Dabei zeigte sich, dass sich die beiden HVC die Steuerung eines Liedes teilen.

Jede Region übernimmt die Kontrolle bestimmter Abschnitte, wobei sie sich aber gegenseitig synchronisieren.
Methode für andere Aktivitäten anwendbar
Mit ihrer Abkühlungsmethode ließen sich auch die zeitlichen Kontrollmuster anderer komplexen Bewegungen und Aktivitäten untersuchen, schreiben die Forscher. Unter Umständen nicht nur bei Tieren, sondern auch bei Menschen.

"Wir wissen, dass HVC auch mit dem menschlichen Cortex zusammenhängt. Unsere Arbeit kann also einen generellen Mechanismus zeigen, wie das Verstreichen von Zeit im Gehirn repräsentiert wird", meint Michael Fee in einer Aussendung des MIT.

[science.ORF.at/dpa, 12.11.08]
->   Michale Fee Lab, MIT
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01.01.2010