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Entwicklungstagung (V): Technologietransfer  
  Im fünften Teil der Serie zur Entwicklungstagung in Innsbruck geht es um Technologietransfer - ein wichtiger Punkt im Zuge der weltweiten Bestrebungen den Klimawandel zu bremsen.  
Entwicklungsländer fordern Unterstützung bei der Einführung umweltschonender Technologien und auch Klarheit bei Patentfragen.

Vor wenigen Tagen hat China diesbezüglich den Druck erhöht und einen UNO-Fonds für Technologietransfer gefordert.
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Tagung in Innsbruck
Für die vierte österreichische Entwicklungstagung treffen sich von 14.11. bis 16.11.2008 an der Universität Innsbruck Umwelt- und Entwicklungsorganisationen sowie einzelne ExpertInnen (u.a. aus Deutschland, Uganda, den Philippinen).
->   Entwicklungstagung
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Hierarchisches Rollenverständnis
"Wie im Westen so auf Erden" - lautet der Titel eines polemischen Sachbuchs und der Slogan bringt den Gedanken hinter vielen Fällen von Technologietransfer zum Ausdruck. An sich sei Technologietransfer sehr sinnvoll, meint Ulrich Brand (Professor für Internationale Politik an der Universität Wien), weil dadurch Landwirtschaft, Dienstleistungen, industrielle Produktion, Gesundheit, etc. verbessert werden könnten.

Doch der Haken sei oft das Weltbild dahinter, meint der Politologe zu science.ORF.at: "... dass ein Weltbild dahinter steht, das sehr auf Modernisierung gerichtet ist; dass die 'Erste Welt' der 'Dritten Welt' das Bessere bringen soll, dass hier ein überlegenes Wissen ist, ein westliches Wissen, ein naturwissenschaftlich-orientiertes Wissen, ein Männer-codiertes und Männer-orientiertes Wissen; und dass die Länder des globalen Südens rückständig sind und von uns beglückt werden müssen. Der Kern diese Modernisierungsvorstellung kommt im Spruch 'Wie der Westen so auf Erden' zum Ausdruck."
"Neu ist nicht automatisch besser"
Wenn multinationale Unternehmen Technologien transferieren (bspw. nach China oder Indien), dann meist auf höchstem Niveau, so Ulrich Brand. In anderen Bereichen - etwa in der Textilbranche - würden eher ältere Technologien weitergereicht.

Moderne bzw. transferierte Technologien treten oftmals in Konkurrenz mit lokalen bzw. traditionellen Technologien, die mitunter seit Jahrhunderten bestehen. Dadurch könne der Transfer von Technologien mitunter auch zerstörerisch wirken, gibt der Politikwissenschaftler im Gespräch mit science.ORF.at zu bedenken:

"Das können wir z.B. im Gesundheitsbereich sehen - dass mit modernen Medikamenten Gesundheit geschaffen werden soll, aber tradierte medizinische Systeme zerstört werden. Ein ähnliches Beispiel ist die Landwirtschaft."
"Biopiraterie" oder umgekehrter Technologietransfer?
Als Beispiele für "zerstörerischen" Technologietransfer in der Landwirtschaft nennt der Politologe den Basmati-Reis: Basmati-Reis ist in Indien ein wichtiges Exportgut für die Kleinbauern, so Ulrich Brand, doch westliche Saatgut-Unternehmen haben Basmati-Reis in den USA und Europa patentieren lassen - und vertreiben ihn weltweit, auch in Indien.

Mittlerweile gebe es große Auseinandersetzungen und mehrere Patente auf Basmati-Reis: "Das ist ein Beispiel dafür, dass Technologien, die von lokalen Bäuerinnen entwickelt worden sind, und Saatgut ist in diesem Zusammenhang eine Technologie, räuberisch angeeignet werden und dann auf dem Weltmarkt zum Nutzen der nördlichen Unternehmen vertrieben werden."
->   Mehr zum Basmatireis-Patenstreit (Wikipedia)
Kein Patent für Tradition
"Die genetischen Ressourcen, die Vielfalt der medizinischen Pflanzen und des Saatguts ist in südlichen Ländern groß - man denke an Mexiko, Indien, China oder die Philippinen. Warum wird nicht dort eine Industrie aufgebaut, um mit traditioneller Medizin und traditionell genutzten Pflanzen moderne Medikamente zu produzieren und am Weltmarkt zu verkaufen? Das wollen die Pharmaunternehmen und die Agrarunternehmen gar nicht, sondern sie wollen, dass die Rohstoffe hierher kommen, dass sie patentiert werden und dass sie dann in die südlichen Länder exportiert werden," so Brandl.
Technologien sind Geld
Technologien - sie zu entwickeln, zu besitzen, zu nutzen - ist ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Darauf verzichte kein Industriestaat, kein Unternehmen völlig bzw. selbstlos.

Ulrich Brand von der Universität Wien zu science.ORF.at: "Sie werden einige Technologien transferieren - damit versuchen sie, gute Gewinne zu machen, oder sie versuchen, mit eigenen Unternehmen billiger zu produzieren - wie im Textilbereich und im Bekleidungsbereich. Aber die Spitzentechnologien bleiben systematisch in den Erste-Welt-Ländern, weil sie eben ein Wettbewerbsvorteil sind. Im kapitalistischen Weltmarkt orientieren sich die Unternehmen an Gewinnen und nicht an gut gemeinter Entwicklungspolitik."

Natürlich gebe es Beispiele für gelungenen Technologietransfer - wie Wasseraufbereitung oder Solaranlagen - und vor allem in der ursprünglichen Entwicklungszusammenarbeit, wenn die lokalen Verhältnisse respektiert werden, wenn Sozial- und Umweltstandards berücksichtigt werden.
Koordinierungsstelle notwendig?
Bis Mitte der 70er Jahre hat es laut Ulrich Brand ein Institut im Rahmen der UNO gegeben, das sich als eine Art Beirat mit multinationalen Unternehmen beschäftigt hat. Seitdem diese Kommission abgeschafft worden ist, fordern NGOs und südliche Regierungen, multinationale Unternehmen wieder stärker zu überwachen.

"Im Zuge der jetzigen Finanzmarktkrise müsste auch wieder stärker auf globaler Ebene über die ökologischen, sozialen, ökonomischen Formen der Produktion von multinationalen Unternehmen in südlichen Ländern diskutiert werden."

Dazu geeignet wäre aus Sicht des Politologen der UNO-Wirtschafts- und Sozialbeirat ECOSOC. Denn im Gegensatz zur Weltbank haben im ECOSOC die südlichen Länder eine Stimme, so Brand. Doch müssten sich der rechtlichen Fragen und Probleme des Technologietransfers verschiedenste Stellen annehmen, denn je nach Bereich seien die Konflikte anders gelagert: für Umwelttechnologien seien andere Regeln vonnöten als für umweltschädliche Technologien, man denke an den Abbau von Gold oder von Kohle.

Barbara Daser, Ö1 Wissenschaft, 14.11.08
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Zur Person
Ulrich Brand ist Professor für Internationale Politik am Institut für Politikwissenschaften der Universität Wien. Der Politologe und Diplom-Betriebswirt ist zudem im wissenschaftlichen Beirat von Attac Deutschland sowie im Vorstand und wissenschaftlichen Beirat des Lateinamerikainstituts.
->   Ulrich Brand (Universität Wien)
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->   ECOSOC - Wirtschafts- und Sozialbeirat der UNO
->   Lateinamerikainstitut
->   Attac Deutschland
Mehr zur Entwicklungstagung in science.ORF.at:
->   Wie fair leben wir? Beispiel Klimapolitik
->   Wasser als Machtfrage
->   Forschungskooperation in der Landwirtschaft
->   Pro & Contra Biodiesel
 
 
 
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01.01.2010