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Alte Jungfer, einsame Heldin: Forscherinnen im Film  
  Graue Maus, die als Assistentin einem alten Professor zuarbeitet, oder starke Heldin, die die Welt im Alleingang rettet - Wissenschaftlerinnen können im Film in beide Rollen schlüpfen. Was trotz der Unterschiede fast allen gemeinsam ist: Forscherinnen werden als Einzelkämpferinnen dargestellt, die meist im Konflikt mit ihren Emotionen liegen, analysiert die Mediensoziologin Eva Flicker im Interview mit science.ORF.at.  
Dass sich das Bild der Wissenschaftlerin im Mainstream-Film als relativ stabil erweist, führt Flicker auf die Nähe zur Realität zurück: Auch in der realen Wissenschaft lasse die Gleichberechtigung auf sich warten, so Flicker.
science.ORF.at: Eine der bekanntesten Wissenschaftler-Figuren im Film ist wohl Dr. Strangelove: die Mischung aus Genie und Wahnsinn, der Hang zu Technik und Krieg - kann man sagen, dass diese Attribute typisch für männliche Forscher im Film sind?

Eva Flicker: Nicht nur, aber sehr stark. Das Bild vom männlichen Wissenschaftler, der verwirrt, manchmal auch skrupellos sein kann, der forscht, um Macht anzuhäufen und die Menschheit zu kontrollieren, finden wir schon in der Literatur und im Comic. Es ist in den Film weitergewandert.
Bild: Institut f¿r Soziologie, Uni Wien
Mediensoziologin Eva Flicker
Wie sieht das bei Frauen aus?

Flicker: Frauen kommen als Wissenschaftlerinnen insgesamt sehr viel seltener vor als ihre männlichen Kollegen. Ich habe ihre Darstellung beginnend mit dem Übergang zum Tonfilm in den 1930er Jahren analysiert. Das Bild hat sich in der Zeit seither schon in Facetten verändert, aber was immer noch gilt: Wissenschaftlerinnen kommen als Einzelfrau vor.

Sie sind eine unter vielen Männern und meist weist ihre Kompetenz ein Makel aus: Forscherinnen sind zwar wissenschaftlich oft hoch kompetent, dafür aber als soziales Wesen sonderbar. Mit der Verbindung von Wissenschaft und klischeehafter Weiblichkeit plagen sich die Filmfiguren.
Das heißt, die Spannungen zwischen rationalem Arbeitsbereich und emotionalem Wesen blieben trotz aller gesellschaftlicher Veränderungen in der Realität prägend für die Figur einer Wissenschaftlerin im Film?

Flicker: Wissenschaft ist ganz eng mit Rationalität verknüpft, sowohl in unserer Wahrnehmung als auch im Film. Intuition passt demnach scheinbar nicht zu wissenschaftlichem Handeln - scheinbar deshalb, weil man aus Studien weiß, dass viele Forschungsprozesse und Ergebnisse auf intuitivem Handeln beruhen: Man geht einer Vermutung nach, vieles ist nicht ganz logisch durchgetaktet.

Außerdem spielen in Bildungsorganisationen wie in allen anderen Organisationen natürlich Emotionen und Sympathien eine große Rolle. Im Film wird dieser Anteil an Irrationalität den Frauen zugeschrieben, als wäre das ein Widerspruch. Und damit werden natürlich auch Stereotype reproduziert: die emotionale Frau, der rationale Mann. Natürlich gibt es mittlerweile auch brüchigere Figuren, aber Mainstream-Filme zeigen davon wenig.
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Filmreihe zum Thema
Zum Schwerpunkt "Wissenschaftlerinnen im Film" gibt es noch bis 27. November ausgewählte Spielfilme und Dokumentarfilme im Votivkino zu sehen. Zusätzlich referieren ausgewählte Forscherinnen vor den Filmen, um die Rollerbilder in Film und Realität kritisch zu reflektieren.
->   Folder mit dem gesamten Programm (.pdf)
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Nun gibt es schon seit einigen Jahren nicht nur in Österreich, sondern auch international zahlreiche Initiativen, die die Rolle von Frauen in der Wissenschaft thematisieren. Trotzdem gibt es in einem sehr populären Bereich wie dem Film die ewig gleichen Bilder - warum?

Flicker: Zum einen kann man sagen: Film bildet ja nicht eins zu eins die Realität ab, sondern hat die Möglichkeit, gesellschaftliche Themen in Erzählungen zu transformieren, die wahr sein können oder auch nicht. Bei Film mit Wissenschaftsthemen sieht man, dass zwar die Inhalte oft recht mutig und kreativ in die Zukunft schauen, die Geschlechterverhältnisse aber stereotyp reproduziert werden. Das hat damit zu tun, wie Mainstream-Spielfilm konstruiert wird: Da scheinen die traditionellen Bilder noch immer gut zu funktionieren.´

Das andere ist: Diese Maßnahmen zur Förderung von Forscherinnen gibt es, aber ich denke, sie greifen nicht, weil sie von außen eine Parallelwelt aufbauen und an den Universitäten nicht die nötige Verankerung haben.
Laut Ihren Analysen spielen Frauen oft nur die Rolle der hilflosen Assistentin oder der Vollbringerin des Vermächtnisses eines Mannes. Wenn man die tatsächliche Situation im Wissenschaftsbetrieb betrachtet: Ist das nicht eigentlich eine sehr realistische Charakterisierung?

Flicker: Zum Teil schon, und deswegen funktioniert die Darstellung auch: Weil sie nicht ganz weit weg von der Realität ist.
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Sechs Frauentypen
Laut Analysen sind 80 Prozent aller wissenschaftlichen Rollen in Filmen Männer, rund 20 Prozent Frauen. Flicker unterscheidet sechs unterschiedliche Frauentypen:
- die "alte Jungfer": Ein Typ, der in frühen Filmen häufig war, den es heute kaum mehr gibt. Eine aktuelle Ausformung wäre wohl eine Frau, die sich nur für den Beruf und gegen Familie entscheidet;
- das "Mannweib": besonders unattraktiv und widerspenstig;
- die naive Expertin: will gesellschaftliche Ideale bedienen und ordnet sich ihnen auch unter;
- die böse Kraft: verfolgt in der Tradition männlicher Figuren ihr Ziel, egal um welchen Preis;
- die Tochter/Assistentin: viele Figuren werden von Männern geprägt und geleitet; entspricht in vielen Punkt dem tatsächlichen Zugang von Frauen zum Forschungssystem;
- die Heldin: ist erfolgreich, aber einsam und isoliert;
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Wie sieht es eigentlich mit typisch weiblichen Fächern aus, etwa der Psychologie. Diese Fächer gelten ja manchen per se nicht als Wissenschaft, wie sieht das der Film?

Flicker: Ähnlich. Diese Fächer kommen kaum vor, zumindest nicht als explizite Wissenschaft. Filme werden von Naturwissenschaften, Technik und Medizinforschung dominiert. Das hat wohl auch damit zu tun, dass man Geistes- und Sozialwissenschaften scheinbar nicht in so spannende Plots integrieren kann.

Ich unterscheide bei meinen Analysen zwischen akademischer Profession und wissenschaftlicher Forschung: In den Berufen gibt es mittlerweile viele, teils auch sehr starke Frauenfiguren: als Ärztinnen und Richterinnen etwa. In der Forschung sind sie noch sehr selten.
Welche Wissenschaftlerinnenfigur im Film hat Sie besonders beeindruckt?

Flicker: Ich bin immer wieder beeindruckt von Ingrid Bergman in "Spellbound", weil ich an dem Film immer wieder Neues entdecke, gleichzeitig aber die Frauenfigur ganz schrecklich finde. Die Frau hat so viel Witz und Schlagfertigkeit und verliert alles, als sie sich in die männliche Hauptfigur gespielt von Gregory Peck verliebt.

Von neueren Filmen beschäftigt mich immer wieder die Figur der Dr. Ellie Arroway in "Contact", gespielt von Jodie Foster. Anhand dieser Figur wird sehr viel Verbitterung und Einsamkeit vermittelt. Wenn man die Vorstellung hat, dass Film uns für vieles eine Art Vorlage liefert, an der wir uns abarbeiten, finde ich es bedauerlich, dass wir nicht mehr angeboten bekommen an Wissenschaftlerinnenbildern.

Elke Ziegler, science.ORF.at, 21.11.08
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Zur Person
Eva Flicker ist seit 2006 Universitätsprofessorin für Soziologie an der Universität Wien. In ihren Studien zur Film-, Medien- und Kommunikationssoziologie analysiert sie seit den 1990er Jahren die Repräsentation diverser gesellschaftlicher Themen in Spielfilmen und Fernsehformaten.
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01.01.2010