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Frühe Schildkröten waren nur unten gepanzert  
  Schildkröten gehören bis heute - rein evolutionstechnisch betrachtet - zu den eher rätselhaften Tieren. Ihre genaue Abstammung ist nicht zweifelsfrei geklärt, was auch damit zu tun hat, dass es kaum Details zur Entstehung ihres Panzers gab. Nun berichtet ein internationales Forscherteam von einem überraschenden Fossilienfund: Die 220 Millionen Jahre alten Schildkröten hatten offenbar nur unten einen Panzer, oben waren sie "unbewehrt".  
Die Forscher um Xiao-Chun Wu, Paläontologe am Canadian Museum of Nature in Ottawa, und seine Kollegen vermuten aufgrund des Funds, dass die frühen Schildkröten wohl im Meer gelebt haben und sich durch die gepanzerte Unterseite gegen Angreifer aus der Tiefe geschützt haben. Fachkollegen hingegen zweifeln an diesem eindeutigen Schluss.
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Die Studie "An ancestral turtle from the Late Triassic of southwestern China" ist am 27. November 2008 in "Nature" erschienen (S. 497-501, Band 456, DOI:10.1038/nature07533).
->   Zum Abstract
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Bemerkenswerte Tiere
Schildkröten sind bemerkenswerte Tiere: Sie haben statt Zähnen einen spitzen Schnabel und einen Panzer, den man mit keiner "Schutzhülle" eines anderen Tieres vergleichen kann: Er besteht aus einem oberen Teil mit Namen Carapax und einem unteren Teil namens Plastron - von einander sind sie klar abgegrenzt, allerdings durch eine knöcherige Brücke verbunden. Die Schale setzt sich aus Teilen der Rippen, des Schultergürtels und speziellen in die Haut integrierten Knochen zusammen.

Der Panzer diversifizierte sich, als die Schildkröten begannen, unterschiedliche Lebensräume zu erobern: Je nachdem, ob sie im Wasser, am Land oder in Feuchtgebieten leben, können ihre Schutzhüllen verschiedene Formen und Festigkeiten annehmen.
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300 Arten
Es gibt rund 300 verschiedene lebende Schildkrötenarten, wobei das Gewicht der Tiere zwischen 100 Gramm und 860 Kilogramm variieren kann. Allen Untersuchungen nach waren sie bereits auf der Erde, bevor die Dinosaurier entstanden sind.
->   Mehr über Schildkröten (Wikipedia)
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Fossil mit "Rundumschutz"
Die bisher gängige, wenn auch nie unumstrittene Theorie zur Entstehung des Panzers der Schildkröten beruhte auf der Entdeckung von Proganochelys: Das in Deutschland gefundene Fossil mit seinen geschätzten 210 Millionen Jahren war bereits rund herum durch eine feste Schale geschützt.

Daraus schlossen Paläontologen, dass der Panzer wohl durch verknöcherte Platten in der Haut entstanden ist, die sich mit den Rippen und dem Rückgrat zu einer Schutzhülle verbunden haben - und dass die ersten Schildkröten am Land gelebt haben.
->   Erste Schildkröten lebten am Land
Nur unten geschützt
 
Bild: Marlene Donnelly

Der neueste Fossilienfund stellt diese Theorie in Frage: Vor 220 Millionen Jahren dürften die Schildkröten wohl nur über einen Schutzschild am Bauch verfügt haben, oben waren sie ungeschützt.

Zumindest legt das ein im Südwesten Chinas gefundenes Fossil nahe, das den Namen Odontochelys semistestacea - wörtlich: Zähne besitzende, halbschalige Schildkröte - erhielt (siehe Bild oben für eine künstlerische Darstellung der Tiere).
Panzerentwicklung
 
Bild: Institute of Vertebrate Palaeontology and Palaeanthropology, Beijing

Die Forscher vom Canadian Museum of Nature schließen daraus, dass die frühen Schildkröten im Wasser gelebt haben und sich durch den "Bauchpanzer" gegen Angreifer von unten geschützt haben. Und dass die Schale wohl schrittweise entstanden ist, jedenfalls aber durch das Plastron begann (Bild oben: der versteinerte Abdruck des Plastrons).

Erst mit der Zeit wären Rippen und Rückgrat breiter geworden, um den Carapax zu bilden und sich mit dem Unterteil zusammenzuschließen - ein Vorgang, den man heute noch an Schildkrötenembryonen sehen könne, so die Forscher.
Außergewöhnliches Fossil
 
Bild: Institute of Vertebrate Palaeontology and Palaeanthropology, Beijing

Das Fossil der rund 40 Zentimeter großen, 220 Millionen Jahre alten Schildkröte ist nicht nur hinsichtlich des Panzers bemerkenswert. Wie der Abdruck oben zeigt, verfügte dieses frühe Exemplar - im Unterschied zu den heute lebenden Tieren - noch über Zähne.
Zweifel von Fachkollegen
An dem eindeutigen Schluss der kanadischen Paläontologen, dass der Panzer am Bauch begonnen und sich nach oben ausgebreitet hat, zweifeln Robert Reisz und Jason Head, Biologen von der Universität Toronto, in einem begleitenden Kommentar.

Vielmehr sei es auch möglich, dass die als Fossil erhaltenen Tiere eine "Sonderart" dargestellt haben, die aufgrund ihres Lebens im Wasser nur den Plastron gebraucht und den Panzer auf der Oberseite einfach temporär "weggelassen" haben. Ihrer Ansicht nach ist es nicht sicher, dass Odontochelys semistestacea eine Urform der Schildkröte darstellt. Weitere Forschungsarbeiten zur Entwicklung der sympathischen Reptilien sind also sicher.

Elke Ziegler, science.ORF.at, 26.11.08
->   Canadian Museum of Nature
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01.01.2010