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Studie: "Wasserosteoporose" bedroht Süßwasserseen  
  Der sinkende Kalkgehalt in Süßwasserseen stellt für das gesamte Ökosystem eine bisher übersehene Bedrohung dar, berichten kanadische Biologen. Sinkt das Kalzium unter eine bestimmte Grenze, können sich einige für die Gesundheit der Gewässer zentrale Arten nicht mehr reproduzieren. Die "Wasserosteoporose", wie die Forscher das Phänomen nennen, könnte Revitalisierungsversuche für Binnengewässer scheitern lassen.  
In Österreich sei die Wasserosteoporose kein Problem, erklärt Martin Dokulil, Experte des Instituts für Limnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, im Gespräch mit science.ORF.at. Zurückzuführen sei das auf die Lage der meisten Seen: Inmitten von Kalkalpen sei die Versorgung mit Kalk durch den Untergrund gesichert.
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Die Studie "The Widespread Threat of Calcium Decline in Fresh Waters" ist am 28. November 2008 in "Science" erschienen (Band 322, S. 1374-1377, DOI: 10.1126/science.1164949).
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Modelltierchen: Wasserfloh Daphnia
Bild: Shelley Amott, Queen's University
Wasserfloh Daphnia
Um die Auswirkungen des sinkenden Kalkgehalts zu untersuchen, haben die Biologen um Adam Jeziorski von der Queen's University in Kingston (Ontario) als "Musterorganismus" den Wasserfloh Daphnia ausgewählt.

Im Labor testeten sie, welche Kalkkonzentration das im Wasserkreislauf wichtige Tier zum Leben braucht und ab wann es für ihn lebensgefährlich wird.

Mit diesem Wissen nahmen sie hunderte Proben von Seen in der kanadischen Provinz Ontario.
200 Jahre Umweltgeschichte recherchiert
 
Bild: Kris Hadley, Queen's University

Es zeigte sich, dass der Großteil der Seen bereits von der Wasserosteoporose befallen war, wobei die "Entkalkung" in vielen Fällen bereits begann, bevor ein genaues Monitoring der Wasserqualität gestartet wurde.

Um sich dennoch ein genaues Bild machen zu können, griff der Paläoökologe John Smol auf Sedimente auf dem Boden der Seen zurück: Dadurch konnten sie die Umweltgeschichte der letzten 200 Jahre rekonstruieren, und es zeigte sich, dass viele wirbellose Tiere mit dem sinkenden Kalkgehalt der Seen verschwunden sind.
Übersäuerung von Böden und saurer Regen
Nachdem die Wasserosteoporose in den meisten Fällen in den 1970er Jahren begonnen hat, stellt sich natürlich die Frage nach dem menschlichen Einfluss, und da gelangen die Forscher zu eindeutigen Aussagen:

Sowohl die Übersäuerung der die Seen umgebenden Waldböden als auch der Niederschlag von saurem Regen direkt in die Seen habe zum Kalkabbau beigetragen.
Gefahr auch für Krustentiere
 
Bild: Michael Turner, Fisheries and Oceans Canada

Die kanadischen Forscher betonen, dass der Kalkschwund aus den Seen die Nahrungsketten dauerhaft verändern kann, schließlich würden zahlreiche Tiere auf Kalzium angewiesen sein: nicht nur kleine wirbellose wie der untersuchte Wasserfloh, sondern auch Krustentiere wie Krebse sowie Muscheln und Fische.

Für sie - und damit das gesamte Ökosystem Süßwassersee - ist die Wasserosteoporose laut Studie eine nicht zu unterschätzende Bedrohung, die letztlich auch die Revitalisierung ökologisch bedrohter Wassergebiete wenn nicht verhindern, so doch stark verzögern kann.
Kanadisches Problem
Der Limnologe Martin Dokulil von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sieht in der Wasserosteoporose ein primär kanadisches Problem: Die dortigen Seen sind auf Urgestein entstanden, der Kalkmangel also naturgegeben. Hinzu komme noch die Versauerung des Wassers aufgrund umliegender Industrien - beides Punkte, die laut Dokulil für die österreichischen Seen nicht zutreffen.

Einige wenige Hochgebirgsseen bzw. Gewässer im Mühl- und Waldviertel ausgenommen bekommen alle österreichischen Seen genügend Kalzium durch die umliegenden Kalkalpen. Und die Industrie habe laut Dokulil in Österreich so früh ihre Emissionen reduziert, dass die Wasserqualität durch sauren Regen nicht in Gefahr war.

[science.ORF.at, 27.11.08]
->   Department of Biology, Queen's University
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01.01.2010