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ORF ON Science :  News :  Umwelt und Klima 
 
"Da werden persönliche Angriffe gefahren"
Womit Klimaforscher so leben müssen
 
  In Posen wird dieser Tage über einen Nachfolgevertrag zum Kyoto-Protokoll verhandelt. Klimaforscher raten zu raschen Maßnahmen, um das Schlimmste zu verhindern. Klimaskeptiker hingegen bezweifeln, dass der Klimawandel vom Menschen verursacht wird oder sich derart negativ auswirkt. Im Interview mit science.ORF.at erzählt der Klimaforscher Stefan Rahmstorf, was er von den Skeptikern hält und warum die Quote für Biokraftstoffe abgeschafft werden sollte.  
Stefan Rahmstorf war in Wien zu Gast beim Telekom Austria Klimadialog, der heuer zum zweiten Mal stattfand. Dort wurde diskutiert, ob Klimaschutz und wirtschaftliche Entwicklung einen unvereinbaren Gegensatz darstellen und welchen Beitrag Kommunikationstechnologien zum Klimaschutz leisten können.
science.ORF.at: Klimaskeptiker zweifeln an den von Ihnen und vom Weltklimarat veröffentlichten Aussagen zum Klimawandel. In Deutschland haben Sie sich letztes Jahr über die Medien einen Disput mit den Skeptikern geliefert. Warum gibt es nach jahrelanger Forschung immer noch Kritik?

Stefan Rahmstorf: Man muss sehen, wo die Kritik herkommt. Die kommt nicht von Fachwissenschaftlern. Das ist keine seriöse Kritik, die natürlich immer zu begrüßen ist. Hier bestreiten Leute generell, dass der Mensch für den Klimawandel verantwortlich ist. Solche Thesen werden noch lange Zeit zirkulieren, weil es einfach einen Markt dafür gibt. Es gibt genug Menschen, die sich lieber beruhigende Märchen erzählen lassen, als einer unbequemen Wahrheit ins Auge zu blicken.
In einem Spiegel-Artikel wurden Ihnen rabiate Methoden im Umgang mit den Medien nachgesagt. Man warf Ihnen vor, Einfluss auf die Berichterstattung nehmen zu wollen.

Ich weise immer sachlich und in konkreten Punkten darauf hin, wenn eine Information falsch ist. Das gefällt natürlich einigen dieser so genannten Klimaskeptiker nicht, weil sie wissen, dass ich recht habe. Dann werden persönliche Angriffe gefahren. Das ist leider so. Damit muss man als Klimaforscher leben.
Was gilt derzeit als gesichert und wo bestehen offene Fragen?

Gesichert ist, dass der Mensch die CO2-Konzentration erhöht und dass CO2 ein Treibhausgas ist, das das Klima aufheizt. Diese Dinge sind aber schon seit Jahrzehnten bekannt. Die einzige halbwegs plausible andere Erklärung für die Erwärmung wäre die Sonnenaktivität, aber die nimmt seit Jahrzehnten ab und liegt auf einem Tiefpunkt seit Beginn der Messungen in den 1970er-Jahren.

Unsicher sind die regionalen Auswirkungen des Klimawandels und die Auswirkungen auf Extremereignisse. Die sind komplexer und statistisch nicht so leicht zu belegen wie Veränderungen der Durchschnittstemperaturen. Zum Dritten geht es um die sogenannten Kipppunkte im Klimasystem. Das sind Punkte, wo sich Dinge vielleicht dramatisch beschleunigen, wo nicht-lineare Reaktionen stattfinden.
Dazu gehört die Methanfreisetzung aus dem Permafrost. In den bisherigen Szenarien des IPCC ist noch nicht enthalten, dass durch die Erwärmung vielleicht zusätzliches Methan in die Atmosphäre gelangt und die Erwärmung weiter verstärkt. Zu den Kipppunkten gehören auch die Stabilität der Meeresströmungen und die Auswirkungen auf die Landvegetation. Insbesondere der Amazonaswald ist hier gefährdet. Wenn ein bestimmter Trockenstress überschritten wird, könnte der Wald verdorren oder in Flammen aufgehen.

Bei den Kippunkten verliert man die Kontrolle, wenn es einmal soweit ist. Wenn diese Punkte überschritten sind, kann man es sich nicht mehr anders überlegen und sagen, jetzt wollen wir aber schnell die Emissionen herunter fahren. Dann lassen sich die Folgen nicht mehr verhindern.
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Zur Person
Stefan Rahmstorf, 48, ist Professor für die Physik der Ozeane am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Er ist einer der Autoren der Berichte des Weltklimarates IPCC und hat unter anderem Bücher zum Klimawandel und zur Gefährdung der Ozeane geschrieben. Rahmstorf erhielt 2007 den Umwelt-Medienpreis der Deutschen Umwelthilfe.
->   Stefan Rahmstorf
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In Posen wird gerade über ein neues Klimaabkommen verhandelt. Was wünschen Sie sich von der Klimapolitik?

Die Regierungschefs haben die Notwendigkeit der Klimapolitik erkannt, vielleicht noch nicht die volle Dringlichkeit des Problems. Die Politik hat sich die richtigen Ziele gesetzt: 80 Prozent Emissionsreduktion bis 2050 in der EU; Barack Obama hat für die USA dasselbe Ziel verkündet.

Jetzt kommt es drauf an, dies auch konsequent umzusetzen. Da beobachte ich mit Sorge, dass sehr stark Lobbyinteressen berücksichtigt werden und Klimaschutz auf die lange Bank geschoben und abgeschwächt wird.
Der Klimaschutz könnte der Finanzkrise zum Opfer fallen. Was denken Sie als Klimaforscher, wenn Sie so etwas lesen?

Es gibt zwei Varianten: Regierungen können wegen der Finanzkrise ein Konjunkturprogramm schaffen, wie es Obama gerade angekündigt hat. In einer bemerkenswerten Größenordnung werden darin klimaschonende Technologien gefördert. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass Regierungen alte Technologien stützen, die uns letztlich das Klimaproblem gebracht haben. Ich denke hier zum Beispiel an die Autoindustrie. Das wäre eine kurzsichtige Politik.
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Schwerpunkt Energiegesellschaft
Die Initiative Risiko:dialog von Radio Österreich 1 und dem Umweltbundesamt widmet sich derzeit dem Thema Ressourcen. Bis März 2009 gibt es dazu den Dialogschwerpunkt Energiegesellschaft. Im Frühjahr 2009 wird dazu eine BürgerInnenkonferenz stattfinden. Im Zuge des Schwerpunkts werden auf science.ORF.at etwa alle zwei Wochen Beiträge zum Thema Energie erscheinen.
->   Risiko:dialog
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Manche Klimaschutzmaßnahmen ernten Kritik: Palmölplantagen zerstören den Regenwald, für Biotreibstoffe gibt es möglicherweise nicht genügend landwirtschaftliche Flächen. Was sind ihre Lösungsvorschläge?

Bioenergie kann zum Klimaschutz beitragen. Aber man muss strikte Nachhaltigkeitskriterien einhalten, etwa dass eben nicht Regenwald für Palmölplantagen abgeholzt wird. Das ist auch aus Sicht des Klimaschutzes vollkommen unsinnig. Die Treibhausgasbilanz von Palmöl nach der Abholzung ist negativ.

Zum zweiten ist es aus Sicht des Klimaschutzes nicht effizient, aus Biomasse Flüssigtreibstoff herzustellen. Dabei geht zu viel Energie verloren. Trockene Biomasse sollte besser verbrannt werden, zum Beispiel im Kohlekraftwerk als Beimischung. Damit ersetzt man direkt Kohle, was zum Klimaschutz mehr bringt, als Benzin zu ersetzen.

Feuchte Biomasse kann man durch Vergärung in Biomethan verwandeln, das man ins Erdgasnetz einspeisen kann. Die Beimischungsquote bei den Kraftstoffen sollte abgeschafft werden. Das war ein Irrweg, der vielleicht weniger mit Klimaschutz als mit Lobbyinteressen zu tun hatte.
Der IPCC-Bericht führt Kernkraftwerke als eine mögliche Maßnahme zum Klimaschutz an. Deutschland steigt möglicherweise doch nicht aus der Atomkraft aus. Lässt sich mit Atomkraftwerken der Klimawandel abwenden?

Kernenergie trägt zum gesamten Nutzenergiebedarf der Menschheit nur etwa drei Prozent bei. In den nächsten 30 Jahren wird ein Großteil der Kernkraftwerke aus Altersgründen abgeschaltet und man müsste mehrere hundert Kernkraftwerke bauen, um nur diesen Verlust auszugleichen. Wenn man den Anteil der Kernenergie bei wachsendem Energiebedarf ausweiten wollte - vielleicht auf fünf oder sechs Prozent - braucht man um die 1.000 neue Kernkraftwerke.

Das ist vollkommen illusorisch und aus Gründen der Terrorismusgefahr und nuklearen Proliferation auch nicht wünschenswert. Ökonomische Analysen an unserem Institut zeigen, dass das Ziel einer Erwärmung um maximal zwei Grad mit unterschiedlichen Energieszenarien erreichbar ist - mit oder ohne Kenenergie. Kostenmäßig unterscheidet sich das kaum, ob Kernenergie dabei ist oder nicht.
Es heißt immer wieder, der Klimawandel hätte auch Vorteile: Neue landwirtschaftliche Flächen durch auftauenden Permafrostboden, manche Pflanzen wachsen schneller durch mehr CO2 in der Atmosphäre. Was überwiegt, Vorteile oder Nachteile?

Die Nachteile überwiegen ganz klar, auch wenn es in kälteren Klimazonen vielleicht von Vorteil ist, wenn es wärmer wird. Ein Anstieg des Meeresspiegels wäre kein Problem, wenn wir viele große Städte nicht gerade an Küstenlinien gebaut hätten. Das Tauen des Permafrostes ist nicht nur ein Vorteil. Heute sind Infrastruktur, ganze Städte in Sibirien, Häuser in Alaska oder Pipelines in ihrer Stabilität gefährdet, weil der Boden weich wird. Ob man später dort eine riesige Schlammwüste bekommt oder fruchtbares Ackerland, das sei nochmal dahin gestellt.
Methanhydrat wird als neue Energiequelle gefeiert. Wie sehen Sie das?

Es ist genauso eine fossile Energiequelle, wie es Erdöl und Kohle auch sind. Ich denke, das Ziel ist, aus der fossilen Energiewirtschaft auszusteigen. Neue und von der Ausbeutung her noch riskantere fossile Energiequellen zu erschließen, halte ich für sinnlos.

Interview: Mark Hammer, science.ORF.at, 9.12.08
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Stefan Rahmstorf und Klimaskeptiker lieferten sich letztes Jahr einen Schlagabtausch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:
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01.01.2010