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Das Geheimnis der schwankenden Brücke  
  Warum die Londoner Millennium Bridge kurz nach ihrer Eröffnung so stark zu schwingen begann, dass sie wieder gesperrt werden musste, hat neben Architekten auch Wissenschaftler beschäftigt. Ein britischer Techniker sagt nun: Die synchrone Schrittfolge der Fußgänger ist nicht daran schuld - sondern deren Pendelbewegung beim Gehen.  
Fehlstart 2000
Wer schon einmal von der Londoner Tate Gallery bis zur Saint Paul's Cathedral spaziert ist, hat sie vermutlich schon benutzt: die Millennium Bridge. Die Fußgängerbrücke sollte ein skulpturales Gustostückerl des modernen London werden - und das wurde sie auch, Dank des Entwurfs des Stararchitekten Norman Foster und des britischen Bildhauers Anthony Caro.

In statischer Hinsicht hat man allerdings mit dem edlen Stück einen veritablen Fehlstart verzeichnet, musste die Brücke doch bereits zwei Tage nach ihrer Eröffnung am 10. Juni 2000 schon wieder gesperrt werden. Der Grund: Hohe, unkontrollierbare Schwankungen durch den Fußgängerverkehr.
Schaukeln synchronen Schrittes
 
Bild: EPA

Zwei Jahren später wurde sie erneut eröffnet, das war der Startschuss für wissenschaftliche Ursachenforschung, schließlich wollte man beim Bau ähnlicher Brücken nichts dem Zufall überlassen. Ein Team um den US-Mathematiker Steven H. Strogatz, einer der Begründer der "Small-World"-Theorie in sozialen und anderen Netzwerken, präsentierte vor drei Jahren eine Erklärung.

Strogatz' Befund bestätigte zunächst, was man bereits von anderen Brücken wusste: Das Problem ist, dass Fußgänger ihre Schritte mitunter unbewusst synchronisieren, das führt zu einem Aufschaukelungseffekt und kann tatsächlich Schwingungen auslösen, die jenseits der statischen Limits liegen. Im Fall der Millennium Bridge war die Sache insofern besonders unangenehm, weil die Synchronisation der Fußgänger durch die Eigenschwingungen der Brücke verstärkt, womöglich sogar erst erzeugt wurde (Nature Bd. 438, S. 15).

"Das Schwanken und die Synchronisation entstehen simultan", sagte Strogatz damals und forderte: Brückenbauer müssten nicht nur die Statik des Objekts, sondern eben auch das Verhalten von Menschen berücksichtigen.
Neue Erklärung
Das war bis dato die akzeptierte Theorie. Nun hat ein britischer Ziviltechniker ein neues Modell vorgestellt, das in gewisser Hinsicht noch unangenehmer für die Statiker ist. John Macdonald von der University of Bristol zeigt in einer Studie, dass gefährliche Schwingungen auch dann auftreten, wenn die Fußgänger ganz zufällig (also weitgehend unsynchron) über Brücken spazieren (Proceedings of the Royal Society, Online-Veröffentlichung).

Macdonald meint, die eigentliche Ursache liege in der Gehbewegung, die man biomechanisch auch als kontrolliertes Fallen auffassen kann. Beim breitbeinigen Seemannsschritt ist der damit einhergehende Schaukeleffekt wohl besonders stark ausgeprägt, aber ein bisschen gilt das offenbar für uns alle.
Gleichschritt nicht notwendig
Außerdem führt er ins Treffen, dass das Synchronisationsmodell zwar in der Theorie funktionieren mag, aber wenig mit der wirklichen Welt zu tun habe. Überprüfungen hätten jedenfalls ergeben, dass Fußgänger nur sehr selten im gleichen Rhythmus spazieren würden. Seine Concusio: Lässt man nur genug Fußgänger auf die Brücke, dann agieren sie in Summe als "negativer Dämpfer", sprich: Sie bringen das Ding zum Schwingen, egal ob mit oder ohne Gleichschritt.

Im Fall der Millennium Bridge kommt diese Erkenntnis wohl zu spät. Die Ingenieure mussten bis zur Wiedereröffnung 91 zusätzliche Stoßdämpfer einbauen. Kostenpunkt: mehr als acht Millionen Euro.

Robert Czepel, science.ORF.at, 17.12.08
->   Steven H. Strogatz
->   John Macdonald
->   Millennium Bridge - Wikipedia
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01.01.2010