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Effizienz allein ist zu wenig  
  Die vorgeschlagene Lösung zu vielen Energieproblemen lautet: Effizienzsteigerung. Mit sparsameren Autos ließe sich der Energieverbrauch reduzieren. Die Wirtschaft soll schneller wachsen, während gleichzeitig der Verbrauch an natürlichen Ressourcen sinken soll. Der Schweizer Ökonom Mathias Binswanger zeigt, dass diese Strategie nicht immer aufgeht. Oft reagieren Menschen auf erhöhte Effizienz mit mehr Nachfrage. Am Ende ist vielleicht nichts gewonnen - und das ist nicht nur beim Energieverbauch so.  
Führt eine höhere Effizienz zu einer Reduktion des Energie- und Ressourcenverbrauchs?
Von Mathias Binswanger

Nachhaltige Entwicklung verlangt die verstärkte Entkopplung des Energie- und Ressourcenverbrauchs vom Wirtschaftswachstum. So steht es in der Österreichischen Strategie zur Nachhaltigen Entwicklung und das ist zweifellos richtig. Denn wenn man Nachhaltige Entwicklung mit noch höherem Wirtschaftswachstum kombinieren will, und das ist das Ziel, dann muss die Effizienz in Zukunft gewaltig erhöht werden, damit es tatsächlich einmal zu einem Rückgang des Energie- und Rohstoffverbrauchs kommt. Liest man Bücher wie "Faktor vier", dann ist das jedoch keine Utopie sondern durchaus realistisch.

An diese Möglichkeit scheint man auch in Österreich zu glauben, denn bis ins Jahr 2010 (ja das ist bald!) wird als Etappenziel eine Steigerung der Ressourcenproduktivität um den Faktor vier angestrebt. Bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts soll der Verbrauch nicht erneuerbarer Rohstoffe und Energieträger bei gleichbleibender Lebensqualität (von Wachstum ist hier plötzlich keine Rede mehr) sogar auf ein Zehntel des gegenwärtigen Ausmaßes reduziert werden.
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"Faktor vier" ist ein Maß für Ökoeffizienz. Die Idee wurde mit einem Buch von Ernst Ulrich von Weizsäcker, Amory und Hunter Lovins aus dem Jahr 1995 populär. Sie verstanden unter Faktor vier doppelten Wohlstand bei halbiertem Verbrauch an natürlichen Ressourcen und Energie.
->   Faktor-vier-Seite des Wuppertalinstituts für Klima, Umwelt, Energie
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Menschen reagieren auf Effizienzsteigerungen mit mehr Verbrauch
Von einem rein technischen Gesichtspunkt aus betrachtet gibt es tatsächlich gewaltige Potenziale zur Steigerung der Energieeffizienz, wenn wir etwa an die Bereiche Verkehr (1,5-Liter-Auto) oder Wohnen (Superfenster) denken. Doch leider führen in der Realität Effizienzerhöhungen nicht automatisch auch zu einer entsprechenden Reduktion des Verbrauchs. Schuld daran ist der so genannte Rebound-Effekt. Er kommt dadurch zustande, dass Menschen im allgemeinen auf Effizienzerhöhungen mit einer Zunahme des Verbrauchs reagieren.

So konnte die Treibstoffeffizienz vieler Fahrzeuge beträchtlich gesteigert werden, was bedeutet, dass eine bestimmte Distanz, also beispielsweise 100 Kilometer, im Vergleich zu früher mit bedeutend weniger Treibstoff gefahren werden kann.

Diese Effizienzerhöhung heißt jedoch auch, dass die Fahrt über 100 Kilometer billiger geworden ist. Und wenn etwas billiger wird, dann wird es auch vermehrt nachgefragt. In unserem Fall wird mehr Mobilität nachgefragt, was bedeutet, dass im Vergleich zu früher mehr gefahren wird.
Gesteigerte Nachfrage macht technische Einsparung zunichte
Genau genommen gibt der Rebound-Effekt an, wie viel Prozent des technisch möglichen Einsparpotenzials dadurch verloren gehen, dass sich die Nachfrage aufgrund der Effizienzerhöhung ausdehnt. Ein Reboundeffekt von 50 Prozent bedeutet somit, dass aus einem Faktor vier ein Faktor wird, der kleiner als zwei ist. Und wenn der Rebound-Effekt größer als 100 Prozent ist, dann führt eine Erhöhung der Effizienz sogar zu einer Zunahme des Verbrauchs.

Wie groß ist nun der Rebound-Effekt in der Realität? Am genauesten untersucht wurde diese Frage für den privaten Motorfahrzeugverkehr und je nach Studie liegt der Rebound-Effekt zwischen zehn Prozent und 50 Prozent. Vermutlich ist dieser traditionell untersuchte Rebound-Effekt heute jedoch nicht einmal von so großer Bedeutung.

Die jetzt nach einem Zwischenhoch wieder relativ niedrigen Energiepreise sorgen dafür, dass es vielen Menschen egal ist, ob sie nun für 100 Kilometer zehn Liter oder sieben Liter verbrauchen, und man fährt nicht allein deshalb mehr, weil eine Fahrt von 100 Kilometern dank Effizienzverbesserungen einige Euro weniger kostet.
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Schwerpunkt Energiegesellschaft
Die Initiative Risiko:dialog von Radio Österreich 1 und dem Umweltbundesamt widmet sich derzeit dem Thema Ressourcen. Bis März 2009 gibt es den Dialogschwerpunkt Energiegesellschaft, im Frühjahr 2009 eine BürgerInnenkonferenz. Im Zuge des Schwerpunkts erscheinen in science.ORF.at zirka alle zwei Wochen Beiträge zum Thema Energie.
->   Risiko:dialog
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Zeitsparende Erfindungen bringen keinen Zeitgewinn
Bedeutsam ist jedoch ein anderer Rebound-Effekt: jener bei zeitsparenden Innovationen, der dafür sorgt, dass viele zeitsparende Erfindungen nie wirklich zu Zeitersparnissen führen.

Wie ist das zu verstehen? Nehmen wir wieder den Verkehr als Beispiel: In den letzten 200 Jahren sind die Verkehrsträger immer schneller geworden, d.h. eine bestimmte Distanz kann in immer kürzerer Zeit zurückgelegt werden und die Zeiteffizienz wurde somit gewaltig erhöht. Das hat jedoch zu keinen Zeitersparnissen geführt, denn jede Effizienzerhöhung wurde sofort durch vermehrtes Reisen kompensiert. Der Reboundeffekt beträgt hier ungefähr 100 Prozent und ist auch als "Constant Travel Time Hypothese" bekannt.

Weltweit reisen die Menschen ungefähr 70 Minuten pro Tag und zwar sowohl in Tansania als auch in den USA. Das einzige was sich mit dem technischen Fortschritt und den damit verbundenen Effizienzerhöhungen ändert, ist die zurückgelegte Distanz, die in den USA um ein Vielfaches höher ist als in Tansania. Der hier geschilderte Rebound-Effekt führt somit dazu, dass der Energieverbrauch des Verkehrs ständig zunimmt, da dank schnelleren Transportmitteln in der gleichen Zeit immer mehr und immer weiter gereist werden kann.
Anachronistische Verhaltensweisen
Was sind die Schlussfolgerungen für eine nachhaltigkeitsorientierte Wirtschaftspolitik? Der eben geschilderte Rebound-Effekt im Verkehr zeigt deutlich, dass eine Entkopplung nicht allein durch eine Erhöhung der technischen Effizienz erreicht werden kann, und dass Visionen wie "Faktor vier" dazu tendieren, die tatsächlich möglichen Entkopplungspotenziale zu überschätzen. Die möglichen Rebound-Effekte müssen bei der Entwicklung von Nachhaltigkeitsstrategien von Anfang an mitberücksichtigt werden. Wichtig ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen die Rebound-Effekte möglichst klein ausfallen oder nicht mehr vorkommen.

Im Nahverkehrsbereich bedeutet das beispielsweise, dass das Heil nicht in stets schnelleren Transportmitteln zu suchen ist, denn die Beschleunigung führt vor allem dazu, dass die Distanz zwischen Wohnort und Arbeitsort immer grösser wird (Rebound-Effekt). Hier muss ganzheitlicher gedacht werden.

Beispielsweise indem man sich überlegt, ob es im Computerzeitalter nach wie vor notwendig ist, dass die Mehrheit der Menschen sich jeden morgen um die gleiche Zeit in Bewegung setzt, um sich dann in städtischen Ballungsgebieten acht bis neun Stunden in gewissen Räumen aufzuhalten und nachher auch gleichzeitig wieder zurückkehrt. An dieser mit dem Industriezeitalter entstandenen, anachronistischen Arbeitsweise wird nach wie vor stur festgehalten, obwohl das in vielen Berufen absolut keine Notwendigkeit mehr darstellt.

[19.12.08]
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Über den Autor
Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten und Privatdozent an der Universität St. Gallen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Makroökonomie, Finanzmarkttheorie, Umweltökonomie sowie in der Erforschung des Zusammenhangs zwischen Glück und Einkommen. Zu diesem Thema erschien im Jahre 2006 das Buch "Die Tretmühlen des Glücks", welches in der Schweiz zum Bestseller wurde.
->   Mathias Binswanger
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->   Alle Beiträge zum Schwerpunkt Energiegesellschaft:
 
 
 
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01.01.2010