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Wenn Sandwiches gefährlich werden  
  Anfang dieses Jahres sahen sich britische Mediziner mir einem ungewöhnlichen Fall konfrontiert: eine offenbar gesunde junge Frau, die seltsamerweise immer dann, wenn sie ein Sandwich aß oder ein kohlensäurehaltiges Getränk zu sich nahm, in Ohnmacht fiel und das bereits seit zehn Jahren.  
Nun diagnostizierten die Forscher: Die Frau leidet an einer seltenen "Schlucksynkope", ein Kreislaufkollaps durch Schlucken.
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Die Fallstudie "Dangerous sandwiches" von Christopher John Boos et al. ist in der aktuellen Ausgabe des "Lancet" (Bd. 372, 19. Dezember 2008) erschienen.
->   Die Studie im "Lancet" (zahlungspflichtig)
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Unerklärbare Symptome
Schon vor zehn Jahren entwickelte die heute 25-jährige Frau laut den Medizinern vom University Hospital Birmingham ihre eigenartigen Symptome: Anfallartig überkamen sie Schwindelgefühle, leichte Übelkeit. Manchmal kollabierte sie und verlor das Bewusstsein.

Das Ganze dauerte etwa zehn Sekunden, dann war der Spuk wieder vorbei. Abgesehen davon zeigte sie keinerlei körperlichen Veränderungen, wie etwa Krämpfe oder Zuckungen, die auf eine Epilepsie hätten schließen lassen.
Unauffällige Untersuchungsergebnisse
Manchmal hatte sie mehrere Anfälle pro Woche. In den nächsten Jahren verbrachte sie viele Tage in Krankenhäusern. Dort durchlief sie alle nur möglichen Tests: Standardblutwerte, Schilddrüsenfunktionstests, Hormonprofile, Zuckerspiegel, Blutdruckmessung, Gehirnstrommessungen und vieles mehr - alles unauffällig.

Allein ein einwöchiges Elektrokardiogramm (EKG) zeigte, dass die eigenartigen Zustände immer von zweieinhalbsekündigen Aussetzern des Herzschlags begleitet waren. Dennoch blieben die wiederholten medizinischen Bemühungen bis zu diesem Jahr völlig ergebnislos.
Bestimmte Speisen führten zum Anfall
Als die junge Patientin Anfang dieses Jahres ins University Hospital Birmingham eingewiesen wurde, rollten die beteiligten Mediziner rund um Christopher John Boos den Fall neu auf. Abgesehen von ihren Anfällen war nichts Auffälliges zu finden: weder in ihrer gesundheitlichen oder psychiatrischen Geschichte noch im Familienhintergrund.

Sie nahm keine Medikamente außer der Pille, rauchte nicht, trank nur wenig Alkohol und hatte nach eigenen Angaben noch nie illegale Drogen konsumiert. Bei genauerer Nachfrage stellte sich allerdings heraus, dass die Anfälle immer dann auftraten, wenn sie bestimmte Speisen zu sich nahm, nämlich Sandwiches oder sprudelnde Getränke. Erst kürzlich hatte sie so während einer Autofahrt das Bewusstsein verloren.

Ihre nachvollziehbare Reaktion auf diese Selbstbeobachtung: Sie aß immer weniger. Deshalb wog sie auch kaum mehr als 46 Kilogramm, hatte aber sonst keinerlei Anzeichen von Magersucht oder irgendwelchen Magenerkrankungen.
Seltene Krankheit
Also beschlossen die Ärzte die Situation eines Anfalls unter kontrollierten Bedingungen zu erzeugen, sprich: Sie musste unter Aufsicht ein Sandwich essen, während ihr EKG aufgezeichnet wurde. Und tatsächlich: Der Verzehr führte zum Aussetzen des Herzschlags für mehr als zwei Sekunden. Bei der Patientin führte das zu Schwindelgefühlen.

Die Diagnose der Ärzte: "Schlucksynkope", mit anderen Worten: Kollaps durch Schlucken. Bei dieser sehr seltenen Krankheit kommt es zu einer Fehlsteuerung durch den Nervus vagus, den größte Nerv des Parasympathikus, der die Tätigkeit fast aller inneren Organe reguliert. Vermutlich führt das Schlucken zu einer Überstimulation des Nervs, was wiederum zu den kurzfristigen Aussetzern des Herzens führt.

Üblicherweise tritt diese Krankheit gemeinsam mit anderen auf, wie etwa Zwerchfellbrüchen oder Reflux, seltener anderen Erkrankungen innerer Organe. Das macht den Fall der jungen Frau noch außergewöhnlicher. Geholfen wurde ihr letztendlich durch das Einsetzen eines Herzschrittmachers, der den Schluckkollaps künstlich überbrückt.

Eva Obermüller, science.ORF.at, 22.12.08
->   Nervus vagus (Wikipedia)
->   University Hospital Birmingham
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   50 Jahre implantierbare Herzschrittmacher (26.9.08)
 
 
 
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01.01.2010