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Fast lebendige Moleküle  
  US-Forscher sind der Vision vom Leben im Reagenzglas einen Schritt näher gekommen. Sie haben Moleküle hergestellt, die sich fortpflanzen und sogar eine Miniaturevolution durchlaufen. So ähnlich könnten auch die Urkeime des Lebens auf der noch jungen Erde ausgesehen haben.  
"Software des Lebens"
"Die Vorstellung vom 'Buch des Lebens' ist sicher ganz falsch. Wenn überhaupt, dann ist die DNA so etwas wie die Software des Lebens", sagte der Genomforscher Graig Venter kürzlich in einem Interview mit dem "Zeit-Magazin". "In einem Buch finden Sie sofort den Text, der Sie interessiert. Die Software hingegen zeigt nur, was bei der Datenverarbeitung am Ende herauskommt. Das Programm selbst, das dahintersteht, bleibt Ihnen verborgen."

Das Programm, um bei diesem Vergleich zu bleiben, das sind unter anderem all die Proteine in der lebenden Zelle, die biochemische Reaktionen durch Katalyse antreiben. Die DNA kann das nicht, dafür ist sie chemisch viel zu träge. Das macht sie allerdings zu einem idealen Kandidaten für eine ganz andere Aufgabe, nämlich die Aufbewahrung genetischer Information.
Henne und Ei in Personalunion
Diese Trennung in Legislative (DNA) und Exekutive (Proteine) gab es nicht immer. Vor drei bis vier Milliarden Jahren müssen in der lauwarmen Ursuppe Moleküle entstanden sein, die sowohl das eine als auch das andere konnten. Und es ist durchaus denkbar, dass in den Zellen unseres Körpers Relikte dieser Zeit herumschwirren.

Gemeint sind die RNA-Moleküle, ähnlich wie die DNA aus normierten Bausteinen aufgebaut, nur eben räumlich vielfältiger und deutlich reaktionsfreudiger. Seit den 80er Jahren weiß man, dass RNAs bisweilen ähnlich wie (Protein-)Enzyme wirken und Reaktionen in Gang setzen.

"RNA-Welt" heißt die entsprechende Theorie, die angesichts dieser Erkenntnis die RNA zum besten Kandidaten für die Lebensentstehung kürte. Bislang galt die Theorie zwar als plausibel, aber es fehlte die "smoking gun", der definitive Beweis, dass man mit diesen Molekülen die Schwelle vom Unbelebten zum Lebendigen überwinden kann.
Vermehrung im Reagenzglas
Was Tracey Lincoln und Gerald Joyce nun im Fachblatt "Science" (online) präsentiert haben, lässt zwar die Herzen der RNA-Welt-Theoretiker höher schlagen, wenngleich man zugeben muss: Auch ihre Molekülmischung gehört noch immer mehr zur Chemie als zur Biologie, Leben im engeren Sinn ist das nicht - noch nicht.

Die beiden Biochemiker vom Scripps Research Institute haben RNA-Moleküle namens R3C hergestellt, die chemische Bausteine aneinanderfügen - und zwar jene Bausteine, aus denen sie selbst aufgebaut sind. Würde dieser Prozess direkt ablaufen, könnte man von "Selbst-Replikation" sprechen: Das haben Lincoln und Joyce zunächst auch versucht, im ursprünglichen Entwurf sollte R3C nämlich Klone seiner selbst herstellen. Dieser Ansatz versandete jedoch nach zwei Generationen, weil der Kopiervorgang offenbar zu ungenau war. "Es lief wirklich mies", sagt Joyce gegenüber dem Magazin "New Scientist".

Besser lief hingegen Ansatz Nummer zwei, bei dem die Last der Vermehrung auf zwei Molekülvarianten A und B aufgeteilt wurde. A fügte zwei Bausteine aneinander und erzeugte B, B vereinigte ebenfalls zwei Bausteine, die wiederum A ergaben usw.
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Survival of the Quickest
Die beiden US-Forscher ließen auch verschiedene Arten dieser "Kreuz-Replikation" gegeneinander im Reagenzglas antreten - und siehe da: Es setzte sich nicht nur die effektivste durch, es entstand auch eine neue durch Rekombination. Auf diese Weise seien überdies Moleküle mit neuen biochemischen Funktionen entstanden, sagt Joyce - welche genau das sind, lässt er sich allerdings nicht entlocken. Eine Publikation sei in Vorbereitung, vorher dürfe er nichts sagen.
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Im Anfang war der Zyklus
Interessant an den Versuchen ist jedenfalls, dass sie eine Theorie zur Lebensentstehung zu bestätigen scheinen, die in den 70er Jahren vom deutschen Nobelpreisträger Manfred Eigen und vom Österreicher Peter Schuster, dem heutigen Präsidenten der Akademie der Wissenschaften, entwickelt worden ist.

Damals kamen die beiden aufgrund theoretischer Überlegungen zu dem Schluss, dass der direkte Weg zum Leben nach wenigen Generationen scheitern muss, weil die Kopiervorgänge von so primitiven Molekülen zu unpräzise sind. Eigen und Schuster präsentierten allerdings einen Ausweg aus diesem Dilemma, den sie "Hyperzyklus" nannten. Darin wird die Last der Arbeit ebenfalls auf mehrere Moleküle verteilt, und zwar in einer ringförmig geschlossenen Reaktion - daher der Name.

Ob es Lincoln und Joyce jemals gelingt, den deutlich komplexeren Hyperzyklus nachzubauen, bleibt abzuwarten. So etwas wäre ohne Zweifel fantastisch, sagt Joyce und gibt zu bedenken: "Die Frage nach dem tatsächlichen Ursprung des Lebens ist ein historisches Problem. Wir können nicht zusehen, daher werden wir auch niemals eine endgültige Antwort haben."

Robert Czepel, science.ORF.at, 9.1.09
->   The Scripps Research Institute
->   Chemische Evolution - Wikipedia
->   Hyperzyklus - Wikipedia
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Beginn des Lebens: Ursuppe hatte mehr Zutaten
->   Automaten auf den Spuren der DNA
->   Renee Schroeder: Die RNA-Welt
 
 
 
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01.01.2010