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Erstmals synthetisches Erdgas aus Holz erzeugt  
  Während Europa mehr oder weniger tatenlos der ukrainisch-russischen Gas-Posse zusehen muss, ist in Güssing ein Meilenstein auf dem Weg zu einer möglichen Unabhängigkeit von fossilem Gas geglückt.  
Ein schweizerisch-österreichisches Forschungskonsortium hat kurz vor Weihnachten nach eigenen Angaben weltweit zum ersten Mal synthetisches Erdgas (SNG) aus Holz erzeugt und damit den Nachweis für die industrielle Umsetzbarkeit des Verfahrens erbracht.
Brennbares Gasgemisch
Zu diesem Zweck wurde im Vorjahr eine eigene 1-MW-Demonstrationsanlage direkt am Biomassekraftwerk, das die Gemeinde Güssing mit Strom und Fernwärme aus der Vergasung von Hackschnitzeln versorgt, errichtet.

Konkret haben die Forscher des schweizerischen Paul Scherrer Instituts (PSI) und der Technischen Universität (TU) Wien einen Teilstrom des im Kraftwerk gewonnenen Holzgases "abgezweigt". Dieses Gasgemisch entsteht bei der Vergasung von Hackschnitzeln bei 900 Grad. Es ist zwar brennbar, aber noch nicht "Endkunden-tauglich".

Dazu muss es erst in einem zweistufigen Verfahren in Methan umgewandelt werden, das als ein Hauptbestandteil von Erdgas problemlos in bestehende Gasleitungen eingespeist werden kann. Aus 360 Kilo Holz entstehen 300 Kubikmeter Holzgas, daraus wiederum werden 120 Kubikmeter Erdgas erzeugt.
Verfügbarkeit und wenig Schadstoffe
Angesichts der zunehmenden Versorgungsprobleme mit Erdgas ist das internationale Interesse groß. Mit Spannung blickt man etwa bereits aus dem hohen Norden auf das Gelingen des Projekts. In Göteborg (Schweden) ist eine 100-MW-Biogasanlage nach Güssinger Vorbild geplant. "Sie warten nur noch auf unsere Erfahrungen", erklärte Christian Keglovits, Sprecher des Europäischen Zentrums für erneuerbare Energie Güssing (EEE).

In der burgenländischen Gemeinde selbst gibt es noch kein öffentliches Erdgasnetz, wo man das SNG einspeisen könnte. Aus diesem Grund geht im April eine Erdgastankstelle in Betrieb, bei der erdgasbetriebene Autos zu Versuchszwecken betankt werden.

Das aus Holz gewonnene Erdgas sticht das fossile nicht nur in der unmittelbaren Verfügbarkeit und den deutlich geringeren Schadstoffemissionen (v.a. Feinstaub), sondern auch durch seine Qualität aus. "In der Methanierungsanlage können wir den Methananteil auf 98 Prozent bringen. Die Russen müssen dem Gas, das bei ihnen aus der Erde kommt, erst Methan zusetzen, damit es europäische Standards erreicht", ist der EEE-Sprecher von den Vorteilen des SNG aus Holz überzeugt.
Einsatz im ländlichen Raum
Als Einsatzgebiete für das synthetische Erdgas sieht Keglovits mittelfristig eher den ländlichen Raum mit nachhaltiger Holzwirtschaft. Was die Städte und die Industrie betrifft, hat er noch Zweifel. "Wenn man ganze Wälder roden muss und sehr lange Transportwege hat", sei das Konzept der Nachhaltigkeit in Frage gestellt.

Ganz nebenbei testen die Güssinger im Rahmen des internationalen Forschungsprojekts "Renew" auch eine Methode, wie aus dem ohnehin ständig produzierten Holzgas Benzin gewonnen werden kann (BTL, Biomass to Liquid). Obwohl die derzeit erzeugten Mengen noch sehr gering sind, zeichnet sich der Sprit durch seine sofortige Einsetzbarkeit in ganz normalen Pkw-Motoren aus. Eine technische Umrüstung wie bei Biodiesel ist nicht notwendig, umgekehrt sei der Treibstoff sogar auf den Motor abstimmbar.
Mögliche Eigenversorgung
Trotz großer Erfolge in der Eigenversorgung geht man in der Energie-Vorzeigegemeinde mit dem "bereits etwas negativ behafteten" Begriff Autarkie mittlerweile vorsichtig um. Der im Biomassekraftwerk erzeugte Strom deckt zwar insgesamt 150 Prozent des Güssinger Bedarfs ab, wird aber ins öffentliche Netz eingespeist und steht damit nicht nur dem Erzeugungsort zur Verfügung. Streng genommen könne man also nicht von Autarkie. Anders könnte sich die Situation mit der Gasversorgung darstellen: Aufgrund der nachwachsenden Ressource Holz sei zumindest im ländlichen Raum eine komplette, österreichweit dezentrale Eigenversorgung möglich.

Die Zukunftsvisionen der Güssinger Energie-Revoluzzer gehen aber noch darüber hinaus. Erweisen sich die neuen Verfahren langfristig als stabil und wirtschaftlich, steht dem Konzept eines Kraftwerks neuen Typs als flexibel nutzbarem "Energiezentrum" prinzipiell nichts mehr im Wege. An diesem zentralen Standort werden sowohl Strom, Wärme, Gas als auch Treibstoff hergestellt, und zwar in variablen Mengen - je nach Bedarf des Marktes.

Grundsätzlich ist die Verwendung von Holzgas als Energieträger seit Jahrzehnten bekannt. Um das Jahr 2000 griffen Wissenschaftler am Paul Scherrer Institut die Idee wieder auf und entwickelten eine neue Methode zur Methanierung des Gases. 2004 wurde zur Umsetzung der Forschungsergebnisse das schweizerisch-österreichische Konsortium "Methan aus Holz" gegründet, mit der Aufgabe, die Technik der effizienten Umwandlung von Holz zu synthetischem Erdgas zu entwickeln.

[science.ORF.at/APA, 16.1.09]
->   Europäisches Zentrum für erneuerbare Energie Güssing
->   Paul Scherrer Institut
->   TU Wien
 
 
 
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01.01.2010