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Rekordhalter der Artenbildung  
  Brillenvögel können wesentlich rascher neue Arten bilden als die meisten anderen Vögel. Das ergibt eine neue Untersuchung, die damit möglicherweise ein altes Paradox der Evolutionsbiologie löst.  
Kaum übertroffen
Etwas mehr als zwei neue Arten entstehen durchschnittlich in einer Million Jahren bei den Brillenvögeln, die große Teile Afrikas, Australiens, Südostasiens und des Pazifiks bewohnen. Damit halten die Singvögel mit dem weißen Ring um die Augen einen Rekord unter Vögeln, wie Wissenschaftler um den Evolutionsbiologen Jared Diamond berechnet haben (PNAS, sobald online).

Andere Vögel brauchen zwei bis drei Millionen Jahre, um eine neue Art hervorzubringen. Aber auch im Vergleich mit anderen Organismen ist der Beitrag der Brillenvögel zur Biodiversität nahezu unübertroffen: Schneller schaffen es nur Lupinen in den Anden oder Buntbarsche im Victoria- und Malawi-See.
Ein altes Paradox...
Jared Diamond arbeitete schon vor 30 Jahren zu den Brillenvögeln, gemeinsam mit dem Evolutionsbiologen Ernst Mayr (PNAS, online). Theorien der Besiedlung von Inseln beschäftigten sich damals unter anderem damit, wie Vögel neue Inseln besiedeln und neue Arten hervorbringen.

Während sich manche Vogelarten kaum in neue Arten aufspalten, geschieht dies bei anderen sehr rasch. Letztere werden für diese Eigenschaft great speciators genannt. Bekannt dafür sind die Brillenvögel auf den Salomon-Inseln.

Mit den great speciators standen die Wissenschaftler aber auch vor einem Paradox: Die Bildung neuer Arten wird meist begünstigt, wenn Populationen räumlich getrennt werden und zueinander keinen Kontakt mehr haben. Die Brillenvögel entwickelten aber neue Arten auf Inseln, die nur wenige Kilometer voneinander entfernt liegen und von den Vögeln leicht erreicht werden können. Daher müssten neue Arten seltener entstehen.
...und seine späte Lösung
Nun hatten die Forscher zur Beantwortung der Frage eine neue Methode zur Hand: Sie haben die DNS der Vögel analysiert und aus den genetischen Unterschieden eine Systematik erstellt. Anhand des Alters der von den Vögeln besiedelten Salomon-Inseln wurde die Systematik kalibriert, da das Alter einzelner Inseln den frühest möglichen Zeitpunkt der Besiedlung und damit den Beginn der Artbildung darstellt. Auf dieser Basis konnte der zeitliche Abstand zu Knotenpunkten in der Systematik berechnet werden, an denen neue Arten entstanden sind

Da sich die Vögel genetisch sehr ähnlich sind, müssen die Arten vor kurzer Zeit entstanden sein. Die Ergebnisse legen nahe, dass es den Vögeln sozusagen in denen Genen liegt, rasch neue Arten zu bilden. Doch damit passen sie nicht recht zu wissenschaftlichen Paradigmen der Artenbildung. Vielmehr unterstützen sie die Sichtweise, dass es linienspezifische Charakterzüge gibt, durch die neue Arten bei manchen Tiergruppen rascher entstehen. Diese Charakterzüge lassen in Kombination mit geografischen Faktoren neue Arten entstehen.
Unklare Ursachen
Was genau aber nun die Brillenvögel dazu bringt, derart rasch neue Arten zu bilden, können die Studienautoren nicht beantworten. Sie vermuten, dass zum Beispiel die soziale Ader der Vögel dazu beigetragen haben könnte: Sozial lebende Vögel wie die Brillenvögel hätten als Gruppe bessere Chancen, neue Lebensräume zu besiedeln, wo dann neue Arten entstehen.

Zudem besitzen die Brillenvögel eine der kürzesten Generationsdauern unter Vögeln und würden sich sehr leicht an neue Lebensräume anpassen können, indem sie etwa flexibel bei der Auswahl von Nahrung sind.
Reisemuffel
Darüber hinaus dürften die Vögel die Lust am Fliegen verloren haben: Während alte Vorfahren noch Inseln besiedelten, die 1.500 Kilometer weit weg liegen, sind manche Arten heute zu faul, um zwei Kilometer Wasser zu überqueren.

"Verhaltensbedingte Flugunfähigkeit" nennen das die Forscher, da die Vögel durchaus noch über funktionsfähige Flügel verfügen. Durch diese Reiseunlust würden mehr neue Arten im bereits besiedelten Gebiet entstehen.

Mark Hammer, science.ORF.at, 27.1.09
->   Jared Diamond
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01.01.2010