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Erdwärme: Fundamentale Energiequelle
Könnte in Österreich drei Wärmekraftwerke ersetzen
 
  Löcher für Tunnel und Gebäudefundamente in die Erde zu graben hat einen praktischen Nebeneffekt: Die Wärme der Erde kann Gebäude heizen. Die TU Wien untersucht im Lainzer Tunnel und in Wiener U-Bahn-Stationen, wie diese Technik verbessert werden kann.  
Nach Ansicht von Geologen könnte Erdwärme bis zu drei große konventionelle Wärmekraftwerke in Österreich ersetzen und zudem Strom erzeugen. Das genaue Potenzial wird gerade in einer Studie erhoben.

In Deutschland und der Schweiz zerbricht man sich derzeit hingegen darüber den Kopf, ob Tiefenbohrungen für Erdwärme Häuser zerstören und Erdbeben auslösen können.
Wie ein umgekehrter Kühlschrank
Wenn die Schüler der Sportmittelschule Hadersdorf in Wien im Winter in ihren warmen Klassenräumen sitzen, müssen sie keine Angst haben, aufgrund von ausbleibenden Gaslieferungen einmal zu frieren. Die Energie, mit der die Schule beheizt wird, kommt nicht aus dem fernen Russland sondern aus dem nahen Lainzer Bahntunnel.

Einige Meter unter der Erdoberfläche hat es das ganze Jahr über eine gleichmäßige Temperatur um die zehn Grad Celsius. Das Prinzip, Erdwärme zu nutzen, ist einfach: Man verlegt Schläuche in Tunnelbauteilen oder in Fundamenten von Gebäuden. In den Schläuchen fließt Wasser, das durch die Wärme der Erde erwärmt wird.

In einem Wärmetauscher wird dem Wasser die Wärmeenergie entzogen, die dann zum Heizen verwendet wird. "Das funktioniert wie ein umgekehrter Kühlschrank", sagt Richard Kaller vom Institut für Grundbau und Bodenmechanik der TU Wien.
Wärme und Daten aus dem U-Bahn-Schacht
Auch die Wiener Linien haben Erdwärme für sich entdeckt. In den neuen U2-Stationen Schottenring, Taborstraße, Praterstern und Messe/Prater kommt ein guter Teil der Wärme aus der umliegenden Erde. Der Fachbegriff dafür heißt Tunnelthermie.

Die Wiener Linien und die ÖBB helfen aber auch der TU Wien bei ihrer Forschung. Im Lainzer Tunnel und in der Station Taborstraße hat man Temperatur- und Dehnungssensoren eingebaut; die Daten werden an Kallers Institut ausgewertet. Auf Basis dieser Daten sollen zukünftige Projekte zur Tunnelthermie im Voraus virtuell getestet werden.
Kühles Erdreich
Große Bürogebäude können sich selbst mit Wärme versorgen. Dazu werden Leitungen in den Fundamenten und Stehern verlegt. Was zum Heizen dient, kann aber auch kühlen: Im Sommer wird Wärme aus U-Bahn-Stationen und Büroräumen in die Erde geleitet.

Laut Kaller klimatisieren mehrere Firmen in Wien auf diese Art ihre Bürogebäude - etwa Strabag, Uniqua und Generali. Auch das Kunsthaus in Bregenz setzt auf diese Energieform.
600 Megawatt Wärme, 15 Megawatt Strom
Wie viel Energie aus der Erde in Österreich genutzt werden könnte, ist derzeit nicht klar. Laut Gregor Götzl von der Geologischen Bundesanstalt könnten 600 Megawatt an Wärme und bis zu 15 Megawatt an Strom produziert werden.

Götzl weist aber darauf hin, dass in der Schätzung neue Techniken noch nicht berücksichtigt sind. Zum Vergleich: Die größten Verbund-Kraftwerke erzeugen bis zu 400 Megawatt an Strom und gegebenenfalls um die 250 Megawatt Wärme.
Geothermie in Österreich
 
Bild: Boehlau Verlag

Karte mit Erdtemperaturen und Kraftwerken aus: Geo-Atlas Österreich - Die Vielfalt des geologischen Untergrundes, T. Hofmann & H.P. Schönlaub (Hrsg.), Böhlau Verlag Wien.
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Studie
Das Institut für Grundbau und Bodenmechanik der TU Wien erhebt derzeit gemeinsam mit der TU Graz, der Uni Wien, Arsenal Research und der Geologischen Bundesanstalt das Potential der oberflächennahen Geothermie in Österreich. Ergebnisse sollen Kaller zufolge 2010 vorliegen. Gefördert wird das Projekt von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG.
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Bohrungen in Deutschland: Risse im Gemäuer
Weniger gut auf Erdwärme zu sprechen dürften derzeit die Bewohner des Ortes Staufen in Baden-Württemberg sein. Der Ort in der Nähe der französischen und schweizerischen Grenze wollte vorbildlich sein und die Energie für sein Rathaus aus der Erde holen. Seit den ersten Bohrungen durchziehen jedoch Risse mehr als hundert Häuser im Ort.

Das warme Wasser in etwa 140 Meter Tiefe, das das Rathaus wärmen sollte, ist möglicherweise aufgrund der Bohrungen in Gipsschichten eingedrungen. Nun quillt der Gips und hebt Teile des Orts um bis zu zwölf Zentimeter im Jahr. Das Energieprojekt liegt auf Eis. Ob die Bohrungen oder natürliche Ursachen Schuld an den Bodenbewegungen sind, ist nicht klar. In den nächsten Wochen werden Messungen durchgeführt, um der Sache auf den Grund zu gehen.
Kein Problem bei oberflächennahen Projekten
Dass es auch bei Kallers Projekten zu solchen Problemen kommen kann, fürchtet er nicht. "Dort geht es um Tiefengeothermie, bei uns um oberflächennahe", sagt Kaller. Zudem werde nur die ohnehin bestehende Struktur der Bauten genutzt.

Gefährlich wäre nur, wenn sich durch das Kältemittel in den Rohren die Erde unter Null Grad Celsius abkühlt und Wasser gefriert. Dann könnte sich auch hier die Erde heben. Aber dieses Problem kenne man und habe man im Griff.
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Schwerpunkt Energiegesellschaft
Die Initiative Risiko:dialog von Radio Österreich 1 und dem Umweltbundesamt widmet sich derzeit dem Thema Ressourcen. Bis März 2009 gibt es dazu den Dialogschwerpunkt Energiegesellschaft. Im Frühjahr 2009 wird dazu eine BürgerInnenkonferenz stattfinden. Im Zuge des Schwerpunkts werden auf science.ORF.at etwa alle zwei Wochen Beiträge zum Thema Energie erscheinen.
->   Risiko:dialog
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Beben in Basel
Nicht allzu weit weg von Staufen liegt Basel. Am Abend des 8. Dezember 2006 rüttelte ein Erdbeben der Stärke 3,4 die Bewohner der Stadt durch. Seither steht auch hier die Erdwärme in einem schlechten Licht. Mit dem "Deep-Heat-Mining"-Projekt wollte man die Wärme in über 4.000 Meter Tiefe nutzen.

Wasser sollte in 200 Grad heißen Gesteinsschichten in Hohlräume gepumpt werden und als Dampf wieder nach oben gelangen. Um die Hohlräume im Gestein zu erweitern, wurde Wasser mit hohem Druck hineingepumpt. Kurz danach trat das Erdbeben auf. Das Projekt steht derzeit. Die Risiken werden analysiert, einstweilen finden weiterhin Messungen in den Bohrlöchern statt.
Bekannte Nebenwirkung
Laut Gregor Götzl von der Geologischen Bundesanstalt weiß man, dass bei solchen Bohrungen Erdbeben auftreten können. Diese würden aber keine schweren Schäden verursachen. Die Bewohner Basels reagieren auf Beben aber sensibel. 1356 zerstörte ein Brand nach einem solchen einen Großteil der Stadt.

"Die Betreiber der Anlage hätten die Bewohner einfach vor den Bohrarbeiten über die Möglichkeit schwacher Erdbeben informieren und beruhigen müssen, dann würde das Projekt heute nicht still stehen", sagt Götzl.

Das Projekt in Basel nutzt ein Verfahren, dass sich "Hot Dry Rock" (HDR) oder "Enhanced Geothermal System" (EGS) nennt. In Europa gibt es derzeit nur ein weiteres Kraftwerk mit dieser Technik im elsässischen Soultz-sous-Forêts. Seit Juni 2008 produziert es Strom.
Heiße Quellen
Wer tiefer bohrt, findet mehr Wärme. Die Erde wird in ihrem Inneren alle hundert Meter um circa drei Grad wärmer. Das nutzen Kraftwerke, die in 2.000 bis 3.000 Meter Tiefe Thermalquellen anzapfen. Mehrere dieser Anlagen stehen in Österreich und produzieren Strom und Wärme. An der Grenze zwischen Oberösterreich und Bayern betreiben die Gemeinden Braunau und Simbach ein solches Projekt länderübergreifend.

Manchmal erschloss sich die neue Energiequelle auch zufällig. In der oststeirischen Gemeinde Bad Waltersdorf suchte man 1978 nach Erdöl. Dieses fand man nicht, dafür jedoch heiße Quellen, mit denen man ein Thermalbad betreibt und Gebäude heizt. Götzl zufolge ist das Anbohren von Thermalquellen sicher. "In der nahezu 2.000-jährigen österreichischen Tradition der Thermalwassernutzung gab es keinen bekannten Personenschaden", sagt Götzl.
Tanz auf dem Vulkan
Die heißeste Quelle wollen isländische Wissenschaftler im Rahmen des Iceland Deep Drilling Projekts anbohren. Im Vulkan Grafla suchen sie in 5.000 Meter Tiefe Wasser, das vom Magma des Bergs erhitzt wird. Das wäre so genanntes überkritisches Wasser " über 400 Grad heiß und unter hohem Druck, ein chemisch aggressiver Stoff, der weder flüssig noch gasförmig ist. Derzeit laufen aber erst Testbohrungen.

Für die Schüler der Sportmittelschule Hadersdorf könnte die sichere Geothermie des Lainzer Tunnels nur einen kleinen unangenehmen Nebeneffekt haben: Mit Kälteferien, wie sie in manchen südosteuropäischen Ländern im Zuge der Gaskrise von Jänner 2009 auftraten, können sie eher nicht rechnen.

Mark Hammer, science.ORF.at, 10.2.09
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01.01.2010