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Evolution: Wie der Fisch zu seinen Zähnen kam  
  US-Forscher haben jene Gene entdeckt, denen Tiger, Maus und Hai ihre Beißerchen verdanken. Langfristiges Ziel dieser Forschungen: unbegrenzt nachwachsende Zähne für den Menschen.  
Wachsen statt Bohren
"Denn noch bis jetzt gab's keinen Philosophen, der mit Geduld das Zahnweh konnt' ertragen", wusste bereits William Shakespeare. Und man könnte hinzufügen: Bei der Wurzelbehandlung sind alle gleich. Ob Kanzler, Künstler oder Kirchenmann - weh tut sie allen. Allerdings könnten die Tage des egalisierenden Zahnschmerzes durchaus gezählt sein, sofern die Vision von Todd Streelman konkrete Gestalt annimmt.

Der Genetiker vom Georgia Institute of Technology arbeitet daran, eine dem Tierreich entlehnte Fähigkeit auf den Menschen zu übertragen: Wäre es nicht praktisch, anstatt des leidvollen Bohrens im Bedarfsfall einfach einen neuen Zahn wachsen zu lassen?

"Wenn man einen Körperteil wirklich verstehen will, dann muss man wissen, wie er entstanden ist. Das gilt besonders für Zähne. Denn Zähne gibt es nicht nur in den verschiedensten Größen und Formen, sie werden bei Fischen auch repariert, abgeworfen und ersetzt", sagt Streelman.

"Aber diese einst verbundenen Eigenschaften wurden im Lauf der Zeit entkoppelt, die höheren Lebewesen haben die Fähigkeit zur Regeneration von Zähnen meist verloren. Wir wollen diese Eigenschaften im Zahnlabor wieder herstellen."
Konservative Genetik
Einen ersten Schritt in diese Richtung präsentiert Streelman im Fachblatt "PLoS Biology" (Bd. 7, S. e1000031). Er und seine Mitarbeiter haben nun jene Gene ausfindig gemacht, die für die Bildung von Zähnen notwendig sind. Die Evolution der Zähne, schreiben die US-Forscher in einer Aussendung, sei vergleichbar mit der Entwicklung der primitiven Vierzylindermotoren bis zu den Wunderwerken moderner Autotechnik.

Hier wie dort seien nämlich Bausteine ausgetauscht und neu arrangiert worden, um jene Vielfalt der Formen zu erzeugen, die man gegenwärtig beobachten könne. Doch so unterschiedlich die Zähne von Maus und Hai auch sein mögen, sie haben offenbar eine ganz ähnliche genetische Grundlage.
Zwei Arten von Zähnen
Nach allem, was man über die Naturgeschichte der zahntragenden Tiere weiß, war das nicht unbedingt zu erwarten: Zähne sind in der Entwicklung der Wirbeltiere erstmals vor rund 500 Millionen Jahren entstanden, von Fossilfunden weiß man jedenfalls, dass zuerst die Zähne da waren und erst danach der Kiefer kam. Dementsprechend kann man auch zwei Arten von Zähnen unterscheiden, nämlich solche, die aus dem Kiefer wachsen (wie bei Mäuse und Menschen), und solche, die in der Rachenhöhle sitzen (wie bei Zebrafischen).
Barsche, Taufliegen der Zahnforscher
Manche Tiere haben auch beides - etwa die Buntbarsche, die Streelman und Co. nun für ihre genetische Analyse verwendet haben. Neben der praktischen Doppelzähnigkeit sind die Fische auch aus einem anderen Grund ein ideales Untersuchungsobjekt für derlei Forschungen: Die Evolution der Cichliden, wie diese Fischgruppe auch genannt wird, ist in den letzten ein bis zwei Jahrmillionen so rapide verlaufen, dass man fast von Naturgeschichte im Schnellvorlauf sprechen möchte.

1.200 Arten gibt es zur Zeit, dementsprechend groß ist auch die Vielfalt ihrer Zähne: "Die Buntbarsche sind ziemlich einzigartig", sagt Gareth Faser, ein Co-Autor der Studie. "Manche Cichliden haben mehr als 3.000 Zähne in ihrem Mund und Rachen. Dennoch hat jeder Zahn seine eigene Stammzellnische und wird alle 50 bis 100 Tage durch einen anderen ersetzt."

Ein wenig von dieser beneidenswerten Regenerationsfähigkeit würde wohl auch dem Menschen gut anstehen. Als nächstes wollen die US-Forscher herausfinden, ob die Dentalgene auch noch in anderen Geweben aktiv sind. Streelman: "Wir glauben, dass das gleiche Netzwerk von Genen auch an der Bildung von Haaren und Federn beteiligt ist."

[science.ORF.at, 11.2.09]
->   Todd Streelman
->   Zahn - Wikipedia
 
 
 
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01.01.2010