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Bioenergie: Ja, aber richtig!  
  Die Preisrekorde bei Landwirtschaftsprodukten im Vorjahr führten zu einer heftigen Debatte: Gefährdet Bioenergie die Lebensmittelsicherheit und die globalen Ökosysteme? Zugespitzt: Essen, Autofahren oder Naturschutz? Der Wiener Humanökologe Helmut Haberl meint: Es kommt drauf an. Energie aus Biomasse muss weder Ernährungssicherheit noch Ökosysteme gefährden. Dafür sind allerdings die richtigen Konzepte nötig: Vor allem aus Reststoffen sollte Energie gewonnen werden, nicht aus eigens dazu angebauten Pflanzen. Übertriebene Erwartungen und Fehlentwicklungen wie der Agrosprit-Boom sollten vermieden werden.  
Bioenergie nachhaltig nutzen
Von Helmut Haberl

Ein großer Teil der weltweiten Landoberfläche wird heute von Menschen genutzt: Rund drei Viertel der Landoberfläche der Erde (ohne Grönland und Antarktis) sind Siedlungsraum, Ackerland, Grasland oder Forst. Vom Rest ist etwa die Hälfte praktisch unproduktiv - Trocken- oder Kältewüsten - bzw. zählt zur letzten verbliebenen Wildnis, darunter die Reste der noch vorhandenen naturbelassenen tropischen Regenwälder.

Auf den genutzten Flächen wird vor allem Biomasse genutzt. Siedlungs- und Infrastrukturflächen machen nur einen kleinen Prozentsatz aus. Allerdings handelt es sich bei diesen fast ausschließlich um höchst fruchtbares Land.
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Globale Landnutzung im Jahr 2000 (in 1.000 km2)
Menschlich genutztes Grasland (Wiesen und Weideland): 46.911 (36,0 Prozent)
Forstwirtschaftlich genutzter Wald: 34.958 (26,8 Prozent)
Ackerland (inklusive Dauerkulturen und Brache): 15.225 (11,7 Prozent)
Siedlungs- und Infrastrukturflächen: 1.360 (1,0 Prozent)
Flächen ohne menschliche Landnutzung: 31.951 (24,5 Prozent)
* davon: Wildnisgebiete (Wald, Grasland, etc.): 15.788 (12,1 Prozent)
* davon: unproduktiv (Wüsten, Schnee, etc.): 16.163 (12,4 Prozent)

Quelle: Erb et al. "Journal of Land Use Science", 2007, Bd. 2, S.191.
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Randerscheinung Agrosprit
Menschen benötigen Biomasse vor allem für ihre Ernährung, entweder direkt (Lebensmittel vom Acker) oder indirekt (Futter für die Nutztiere). Dazu kommt Biomasse als Rohstoff für Produkte, zum Beispiel für Holz oder Faserpflanzen wie Baumwolle.

Nur mit einem Teil der Biomasse wird Energie erzeugt. Nutztiere fressen ungefähr die Hälfte der jährlich geernteten Biomasse, von etwas weniger als 15 Prozent ernähren sich Menschen, aus 20 Prozent wird Energie produziert. Biomasse deckt derzeit etwa zehn Prozent des technischen Energiebedarfs der Menschheit.

Doch wer dabei vor allem an Agrosprit denkt, irrt gewaltig: Ein Großteil der Bioenergie wird in Entwicklungsländern auf offenen Feuerstellen zum Kochen eingesetzt. Mit katastrophalen Folgen: Man schätzt, dass weltweit jährlich etwa 1,5 Millionen Menschen durch Lungenkrankheiten sterben, die der Rauch der offenen Feuer in Innenräumen verursacht. Auf Agrosprit entfallen nur etwa ein bis zwei Prozent der globalen Bioenergie.
Menschheit eignet sich Viertel der Biomasseproduktion an
 
Grafik: Haberl et al., PNAS, 2007

Globale Aneignung von pflanzlicher Biomasseproduktion durch den Menschen (HANPP) als Prozentsatz der natürlichen Biomasseproduktion (NPP) der Ökosysteme. Quelle: Haberl et al., PNAS, 2007, Bd. 104, S. 12942.

Biomasse ist nicht nur für den Menschen wichtig: Die jährliche Produktion von Biomasse durch Photosynthese stellt die gesamten Nahrungsressourcen bereit, die in Ökosystemen zur Verfügung stehen. Die Vielfalt des Lebens in Landökosystemen hängt direkt von dieser Biomasse ab.

Die Menschheit beansprucht schon jetzt fast ein Viertel der Biomasseproduktion der Pflanzen. Oberhalb der Erdoberfläche - also zum Beispiel ohne Wurzeln - ist es sogar fast ein Drittel. Gemessen wird dieser Eingriff mit Hilfe der so genannten "Aneignung von Nettoprimärproduktion" (kurz HANPP für "Human Appropriation of Net Primary Production"). NPP bezeichnet die Netto-Biomasseproduktion der Pflanzen. Das ist jene Produktion, die nach dem Eigenbedarf der Pflanzen dem Ökosystem oder anderen Lebewesen zur Verfügung steht.

Rund 40 Prozent der Biomasse gehen dadurch verloren, dass viele Agrarökosysteme weniger produktiv sind als die natürlichen Ökosysteme, an deren Stelle sie getreten sind (zum Beispiel wegen Bodendegradation oder Versiegelung). Der Rest entfällt auf die Ernte von Biomasse samt ihren Kollateralschäden (Biomasse, die während der Ernte zerstört, aber nicht geerntet wird).

Die Folgen für die Ökosysteme sind erheblich: Nach einer internationalen Bestandsaufnahme des Zustands der globalen Ökosysteme, dem so genannten "Millennium Ecosystem Assessment", gefährdet die globale Landnutzung zahlreiche wichtige Ökosystemleistungen - etwa Wasser zurückzuhalten sowie die Biodiversität oder die Fruchtbarkeit des Bodens zu erhalten.
Biomasse in Kaskaden nutzen
Bioenergie kann im Wesentlichen durch drei Pfade gewonnen werden: (1) aus Holz aus Wäldern oder Forsten, (2) aus biogenen Reststoffen, vor allem aus der Landwirtschaft, aber auch aus Nahrungsmittelindustrie und Haushalten, und (3) aus Energiepflanzen vom Ackerland. Alle drei Pfaden stoßen an Nachhaltigkeitsgrenzen. Am besten wird Biomasse in Kaskaden genutzt, indem verschiedene Nutzungswege - wie Ernährung, stofflicher Nutzung und Energie - integriert werden.

In der Forstwirtschaft ist dies vielerorts bereits üblich: Hoch qualitatives Holz wird für Bauwirtschaft oder Möbelproduktion verwendet, schlechtere Qualitäten für die Papier- und Plattenindustrie oder für die Energieproduktion. Reststoffe werden großteils energetisch verwertet, etwa bei der Ablaugeverbrennung in der Papierindustrie oder bei der Pelletsproduktion.
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Schwerpunkt Energiegesellschaft
Die Initiative Risiko:dialog von Radio Österreich 1 und dem Umweltbundesamt widmet sich derzeit dem Thema Ressourcen. Bis März 2009 gibt es dazu den Dialogschwerpunkt Energiegesellschaft. Im Frühjahr 2009 wird dazu eine BürgerInnenkonferenz stattfinden. Im Zuge des Schwerpunkts werden auf science.ORF.at etwa alle zwei Wochen Beiträge zum Thema Energie erscheinen.
->   Risiko:dialog
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Reststoffe statt Abholzung
Gravierende Nachhaltigkeitsprobleme entstehen, wenn wertvolle Primärwälder abgeholzt werden - nicht nur in tropischen Gebieten, sondern auch den Wäldern Sibiriens und Kanadas. Mit der Holzernte können erhebliche CO2-Emissionen verbunden sein, die sich mitunter erst im Lauf vieler Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, durch Einsparung von CO2-Emissionen aus Fossilenergie wieder "bezahlt" machen.

Wenn Energie jedoch aus biogenen Reststoffen gewonnen wird, müssen keine oder nur geringe zusätzliche natürliche Flächen in Ackerland umgewandelt oder Wälder abgeholzt werden.
Soziale und ökologische Grenzen
Der verstärkte Anbau von Energiepflanzen stößt an soziale und ökologische Grenzen. Eine Ausweitung der Landnutzung in derzeit ungenutzte Gebiete ist kaum möglich - entweder weil diese völlig unproduktiv sind oder weil dies ökologisch nicht vertretbar wäre, da es sich um die letzten Wildnisgebiete handelt.

Teile des Weidelandes könnten in Energieplantagen umgewandelt werden, was allerdings erhebliche ökologische Folgen haben könnte und die dort betriebene traditionelle Viehwirtschaft betreffen würde. Ein sensibler Umgang mit diesen Themen wird für die Akzeptanz derartiger Entwicklungsprojekte entscheidend sein.

Soziale und ökologische Folgen der Nahrungs- und Energieproduktion lassen sich verringern, wenn beide Systeme gemeinsam betrachtet werden, wie der deutsche "Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen", kurz WBGU, in seinem aktuellen Jahresbericht feststellt.
Ineffiziente Agrotreibstoffe
Die knappen Flächen sollten so viel Energie wie möglich liefern. Unter diesen Bedingungen sehen Agrotreibstoffe allerdings alt aus: Ihre Produktion konkurriert direkt mit der Nahrungsmittelproduktion und die Flächenerträge sind gering, wenn feste Biomasse aufwendig in flüssige Kraftstoffe umgewandelt wird. Dazu kommt, dass für ihre Produktion anspruchsvolle Pflanzen benötigt werden, von denen wiederum nur ein Teil überhaupt Kraftstoffe liefert.

Biomasse kann mehr Fossilenergie ersetzen, wenn wenig anspruchsvolle, möglichst mehrjährige Pflanzen genutzt werden und wenn die ganze Pflanze zur Energieproduktion verwendet wird. Dies ist etwa bei der Produktion von Wärme und Strom der Fall. Im Idealfall geschieht in Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen beides. Diesen Nutzungspfaden sollte daher der Vorzug gegeben werden.

[science.ORF.at, 20.2.09]
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Über den Autor
Helmut Haberl ist a.o. Professor für Humanökologie am Wiener Institut für Soziale Ökologie der Universität Klagenfurt. Er beschäftigt sich mit Fragen gesellschaftlicher Ressourcennutzung und globaler Landnutzung. Helmut Haberl ist Mitglied im Scientific Committee der Europäischen Umweltagentur und im Scientific Steering Committee des Global Land Project. Er ist Autor von über 65 Artikeln in internationalen Peer-Review-Fachzeitschriften sowie zahlreicher anderer wissenschaftlicher Publikationen.
->   Helmut Haberl
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->   Millennium Ecosystem Assessment
->   Global Land Project
->   Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WGBU)
->   Alle Beiträge zum Schwerpunkt Energiegesellschaft
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Umweltexperten: Biosprit schadet der Natur
->   Die Menschheit als Last für die Erde
->   Eine Weltkarte des Biomasseverbrauchs
 
 
 
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01.01.2010