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Von der "Berufung" zum Beruf  
  Hinter der Entscheidung, Lebenswissenschaftler zu werden, steckt meist eine gesellschaftlich geprägte Idealvorstellung vom "Wissenschaftlerdasein". Im Zuge der Veranstaltungsreihe "Wissenschaft im Wandel" skizzieren Wissenschaftsforscher anhand von Forscher-Porträts die unterschiedlichen Ansichten vom Sein und Werden eines Wissenschaftlers und die damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Vorstellungsmuster.  
Fragt man Barry Dickson nach dem Schlüssel für ein erfülltes Wissenschaftlerleben und eine erfolgreiche Forscherkarriere, weiß der Genetiker sofort eine Antwort: "Es ist definitiv Leidenschaft", fasst der Direktor des Wiener Forschungsinstituts für molekulare Pathologie (IMP) kurz zusammen. "Und es braucht ein Entdeckerherz: Man muss daran interessiert sein, Antworten auf offene Fragen zu finden."

Dickson spricht aus, was wohl die meisten Lebenswissenschaftler unterstreichen würden. Zum Wissenschaftler muss man irgendwie geboren sein. So glauben zumindest viele der Forscher -vom Dissertanten bis zum Senior Scientist -, die Ulrike Felt und ihr Team Joachim Allgaier, Maximilian Fochler sowie Ruth Müller vom Institut für Wissenschaftsforschung in den letzten Jahren interviewt haben.
Wege in die Wissenschaft
Im Zuge des ELSA-Projekts "Living Changes in the Life Sciences" haben sich die Sozialwissenschaftler unter anderem der Frage gewidmet, warum man Wissenschaftler wird und was es bedeutet, ein (Lebens)wissenschaftler zu sein. Dabei stellen sie insbesondere die Frage, wie sich Geschichten des Wissenschaftler-Werdens im Kontext wandelnder gesellschaftlicher Rahmenbedingungen verändern.

Auf Basis von rund 50 qualitativen Interviews mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in ganz Österreich haben Felt und ihr Team die Erzählungen der Forscher über ihren persönlichen Weg in die Wissenschaft dokumentiert und in Hinblick auf die damit in Zusammenhang stehenden gesellschaftlichen Bildern von Wissenschaft analysiert.
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Veranstaltung "Wissenschaft im Wandel"
"Wissenschaft im Wandel. Alte und neue Konturen des Lebens und Arbeitens in den (Lebens)Wissenschaften" nennt sich die vierteilige Veranstaltungsreihe des Wiener Instituts für Wissenschaftsforschung im Rahmen der Veranstaltungsreihe Konturen - Standpunkte zur öffentlichen Repräsentation von Wissenschaftler/Innen und in Kooperation mit der Ö1-Wissenschaftsredaktion. Im ersten Teil widmet man sich den Wegen in die Wissenschaft. Freitag, 27. März 2009, 19:30 Uhr im Böckelsaal der TU Wien (Karlsplatz 13, 1040 Wien).
->   Wissenschaft(ler) im Wandel
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Bild vom "Wissenschaftler sein"
Die Interviews zeigen, dass viele mit einer Idealvorstellung in das Feld der Lebenswissenschaften hineingehen: Es ist das Bild von der wissbegierigen Person, die schon von Klein auf ein großes Interesse für Natur und ihre Phänomene hegt.

"Die Forscher sprechen von besonderen Fähigkeiten, Neigungen oder einem klaren Interesse - Faktoren, die schon sehr früh sichtbar geworden sind", führt Felt aus. "Sie erzählen also, dass das 'Wissenschaftler-sein' schon immer in ihnen gesteckt ist."
Gesellschaftlich geprägt
Die Auseinandersetzung mit den "Wegen in die Wissenschaft" seien durchaus bedeutend: "Diese Vorstellungen beziehen sich immer auf bereits vorhandene Gedankenmodelle vom 'Wissenschaftler-Sein', die aus dem kulturellen Umfeld entnommen werden", so Felt. "Daher lassen sich aus den Erzählungen der Forscher nicht nur deren Vorstellungen über das Leben und Arbeiten in der Wissenschaft ablesen, sondern auch die nach wie vor gängigen gesellschaftlich geprägten Bildern des 'Wissenschaftler-Daseins'."

Viele empfinden ihre "Berufung" als in die Wiege gelegt - beispielsweise, weil Eltern oder Verwandte ebenfalls Wissenschaftler sind. Andere wiederum sehen sich durch ihr soziales Umfeld geprägt: Der berühmte Biologie-Lehrer, der einem die Augen für die Wissenschaft geöffnet hat. "Aus diesem Gefühl, immer schon dort, in der Wissenschaft, gewesen zu sein, entwickeln die Forscher ihre Geschichten und beziehen daraus auch ihr Selbstverständnis als Wissenschaftler", ergänzt Felt.
Familiäre Muster
Wie stark vorgelebte Muster das Selbstbild als Wissenschaftler prägen, beweisen die Erzählungen von Beatrix Grubeck-Loebenstein: "Meine Großmutter war klassische Philologin, meine Großtante war Medizinerin, meine Mutter war Direktorin der Papyrussammlung an der Österreichischen Nationalbibliothek. Auch meine beiden Tanten waren Akademikerinnen", zählt die Immunologin.

Die Forscherin ergänzt: "In meiner Familie hatte es nie Zweifel gegeben, dass Frauen ebenso eine erfolgreiche wissenschaftliche Karriere einschlagen können wie Männer." Heute ist Grubeck-Loebenstein Direktorin des Innsbrucker Instituts für Biomedizinische Alternsforschung der ÖAW, eines der europaweit führenden Forschungseinrichtungen dieser Art.
Unklares SOWI-Bild
Wie unterschiedlich die Vorstellungen der "Wege in die Wissenschaft" sein können, wird klar, wenn man sich im Vergleich zu den Lebenswissenschaftlern die Erzählungen von Sozialwissenschaftlern ansieht. "Viele meinen, sie haben sich über Umwege in ihr Fach 'hineinverirrt', manche sehen sich als immer noch auf der Suche nach dem eigenen Platz", führt Felt aus. "Die meisten finden es schwierig, klar zu definieren, welche Voraussetzungen man mitbringen muss, um ein guter Sozialwissenschaftler zu werden."

Ganz im Gegenteil zu den Lebenswissenschaftlern gibt es kaum "Schlüsselerlebnisse" in der Kindheit und auch die innerfamiliäre Prägung wird weniger als Argument für die eigene Laufbahn herangezogen. Dementsprechend passiert die Weichenstellung für eine wissenschaftliche Laufbahn bei Sozialwissenschaftlern weitaus später. "Außerdem verändert sich das Selbstverständnis eines Sozialwissenschaftlers im Laufe seiner Karriere immer wieder", ergänzt die Wissenschaftsforscherin.
Über Umwege
Michael Nentwich beispielsweise entschied sich während seines Jus- und Politikstudiums ursprünglich dazu, Diplomat zu werden. Erst knapp vor Studienabschluss änderte der Wissenschaftler seine Richtung: "Ich bekam das Angebot, in einem kleinen Projekt an einer Forschungsstelle der Österreichischen Akademie der Wissenschaften mitzumachen", erzählt Nentwich. Heute ist er Leiter dieser Forschungsstelle, des Instituts für Technikfolgen-Abschätzung.

Die unterschiedliche Wahrnehmung von Lebens- und Sozialwissenschaftlern spiegelt sich auch in der Gesellschaft wider: "Während wir vom Naturwissenschaftler ein klares, stereotypisches Bild haben - die etwas entrückte, aber leidenschaftliche Person im weißen Kittel mit Brille - haben, existiert im Gegenteil dazu vom Sozialwissenschaftler kein Bild", so Felt. In Ermangelung dieses Bildes sind Laufbahnerzählungen von Sozialwissenschaftlern wesentlich diverser und von persönlichen Unterschieden geprägt, als dies bei den Lebenswissenschaftlern der Fall ist.
Ausnahmen von der Regel
Ausnahmen bestätigen bekanntermaßen die Regel: Barry Dickson entschied sich erst im "zweiten Anlauf" für die Laufbahn des Lebenswissenschaftlers. "Eigentlich hatte ich zuerst nicht Biologie, sondern Mathematik und Informatik bis zum Magister studiert", so der IMP-Direktor.

Dickson: "Zur Biologie kam ich schließlich Mitte der 1980er Jahre über ein Buch: ´The eight day of creation` hatte mich komplett begeistert. Heute bin ich mit Leib und Seele Biologie. Die Mathematik und die Informatik haben mich aber durch meine gesamte wissenschaftliche Laufbahn begleitet. Denn Biologie ist längst eine Disziplin, bei der Computermodelle und Statistiken längst zum wissenschaftlichen Alltag gehören."

Eva-Maria Gruber, science.ORF.at, 23.3.09
->   Institut für Wissenschaftsforschung
->   Mehr zur ELSA-Studie
 
 
 
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01.01.2010