News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 
Blütephase in der Krise  
  Am Ende der Kreidezeit starben nicht nur die Dinosaurier, sondern auch 60 Prozent aller Pflanzenarten aus. Spuren der verantwortlichen Naturkatstrophe könne man heute noch finden, behaupten belgische Biologen: im Erbgut von Reis, Tomate und Ackerschmalwand.  
Verdoppelung auf einen Schlag
Gentechnik in der Landwirtschaft hat hierzulande kein so gutes Image, nicht zuletzt deshalb, weil damit unabsehbare ökologische Risiken verbunden sind. Der Gerechtigkeit halber muss man allerdings zugeben: Auch die Natur arbeitet mitunter mit brachialen genetischen Methoden. So geschehen etwa in der Evolution der Weizenpflanze, in der sich ein durchaus wilder Um- und Ausbau des Pflanzengenoms zugetragen hat.

Der Saatweizen Triticum aestivum, mit 29 Prozent der weltweiten Getreideernte eine der wichtigsten Kulturpflanzen überhaupt, hat gleich sechs Stück von jedem Chromosom - normal sind bei den meisten Pflanzen und Tieren zwei. Was "normal" ist, kann sich im Lauf der Zeit aber durchaus ändern, wie der belgische Molekularbiologe Yves Van der Peer im Fachblatt "PNAS" (sobald online) berichtet.

Er hat mit zwei Kollegen eine Reihe von Pflanzen - darunter etwa Reis, Tomate, Ackerschmalwand, Pappel und Baumwolle - unter die genetische Lupe genommen und nach Gemeinsamkeiten in deren Erbgut gesucht. Die fand er auch: So unterschiedlich die untersuchten Kräuter, Bäume und Gräser auch sein mögen, sie alle sind Nachfahren von Pflanzen, die vor 60 bis 70 Millionen Jahren ihr Erbgut auf einen Schlag verdoppelt haben.

Erdgeschichts-affine Menschen heben bei dieser Angabe die Augenbrauen: Denn genau in der Mitte dieses Intervalls, vor 65 Millionen Jahren, fand das letzte Massensterben der Evolution statt, bei dem mehr als 50 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten von der Bildfläche verschwunden sind, darunter auch die Dinosaurier. Zufall? Van der Peer glaubt nicht daran.
Szenarien des Niedergangs
Was damals genau passiert ist, bleibt umstritten. Die Lehrbuchversion der Katastrophe, die den Übergang von der Kreidezeit zum Tertiär markiert, lautet: Ein Asteroideneinschlag in der Nähe der Halbinsel Yucatán hat eine globale Feuersbrunst ausgelöst und derart viel Staub in die Atmosphäre befördert, dass sich der Himmel für Monate oder sogar Jahre verdunkelte. Darauf folgte eine Phase weltweiter Abkühlung, die Photosynthese brach zusammen, komplette Nahrungspyramiden und Ökosysteme wurden in kurzer Zeit vernichtet.

Nur niedere Organismen profitierten offenbar von dem urzeitlichen Desaster - Pilze etwa. Für sie muss die Welt in der postkatastrophale Periode mit all den abgestorbenen Pflanzen ein Schlaraffenland gewesen sein, das zeigen Spuren in 65 Millionen Jahren alten Sedimenten (Science, Bd. 303, S. 1489)
Krisenstrategie Polyploidie
Über die Ursachen des Massensterbens ist man wie gesagt nach wie vor uneins, alternativ diskutiert werden z.B. gigantische Vulkanausbrüche mit ähnlichen ökologischen Folgen. Möglich wäre freilich auch, dass beides passiert ist, also Vulkane plus der Asteroid. Yves Van der Peer jedenfalls ist der Meinung, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Makromutationen und der Katastrophe gibt.

Pflanzen mit verdoppeltem Erbgut hätten gegenüber ihren Verwandten mit "normalem" Genom einen Vorteil, weil sie besser auf die veränderten Bedingungen in der Krise reagieren könnten, argumentiert er. Tatsächlich weiß man aus genetischen Untersuchungen, dass bei polyploiden Pflanzen (so der Fachbegriff für einen vermehrten Chromosomensatz) etwa die Genaktivität neu arrangiert wird, was die Anpassung an neuartige Umstände durchaus beschleunigen kann.

Und dass Polyploidie außerdem die Selbstbestäubung fördert, dürfte sich in Zeiten, da die meisten potenziellen Sexualpartner tot sind, auch nicht nachteilig auswirken.
"Umstände müssen stimmen"
Im Prinzip ist das, was Van der Peer in seiner Studie an Argumenten zusammenträgt, eine alte Botaniker-Weisheit in neuem (molekularbiologischen) Gewand: Pflanzen mit verdoppeltem Erbgut sind nämlich gute Pioniere, insbesondere wenn die Lebensbedingungen unwirtlich sind. Um Belege für diese These zu finden, muss man auch gar nicht in Millionen Jahre alten Sedimentschichten graben.

Untersuchungen der arktischen Flora zeigen beispielsweise, dass ehemalige Gletscherflächen zunächst von Polyploiden besiedelt wurden. Ähnliches gilt für verlassene Industriestandorte in Großbritannien: Dort hat sich das Geiskraut Senecio eboracensis als besonders lebenstüchtig erwiesen - wenig überraschend ebenfalls ein polyploides Gewächs.

Gleichwohl sind zusätzliche Chromsomen im Erbgut kein Erfolgsrezept per se. Unter ungestörten Lebensbedingungen ende Polyploidie oft in einer evolutionären Sackgasse, betont Van der Peer: "Eine Verdoppelung des Genoms setzt sich nur dann durch, wenn die Umstände stimmen." Beim Niedergang der Dinosaurier war das offenbar der Fall.

Robert Czepel, science.ORF.at, 24.3.09
->   Yves Van der Peer
->   Polyploidie - Wikipedia
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Pflanzen-Sex: So finden die Spermien ihren Weg
->   Blattläuse als Bioingenieure
->   Pilz "produziert" Diesel aus Pflanzenresten
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010