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Käufliche Liebe bei Schimpansen  
  Beim Liebesspiel der Schimpansen spielen offenbar auch materielle Aspekte eine Rolle. Schimpansenweibchen fetten ihre Kalorienbilanz durch ein Tauschgeschäft auf, das da lautet: "Fleisch gegen Sex".  
"Fleisch-gegen-Sex-Hypothese"
Kleine Geschenke erhalten bekanntlich die Freundschaft - und mitunter auch die sexuelle Aufgeschlossenheit, wie Studien zeigen. Untersuchungen an Jäger- und Sammlergesellschaften deuten etwa darauf hin, dass erfolgreiche Jäger mehr Frauen und somit auch mehr Nachwuchs haben.

Bei freilebenden Schimpansen, den engsten lebenden Verwandten des Menschen, scheint es ähnlich zu sein: Wenn die Weibchen nicht an der Jagd teilnehmen, weil sie beispielsweise Nachwuchs haben, teilen die Männchen mit ihnen ihre Jagdbeute. Aufgrund solcher Beobachtungen entwickelten Forscher die "Fleisch-gegen-Sex-Hypothese", der zufolge Männchen und Weibchen eine Art Tauschgeschäft eingehen. Bisher hat man jedoch nur lose Hinweise dafür gefunden.
Beweis im Nationalpark
Cristina M. Gomes und Christophe Boesch liefern nun nach 22-monatiger Beobachtungsarbeit im Taï Nationalpark an der Elfenbeinküste den ersten einschlägigen Beweis. Die beiden Forscher vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie wiesen nach, dass Weibchen häufiger mit jenen Männchen kopulierten, die wenigstens einmal ihre Jagdbeute mit ihnen geteilt hatten.

Männchen, die nie von ihrer Beute abgaben, gingen hingegen leer aus. Ein Tausch von "Fleisch gegen Sex" dürfte sich also auf den Paarungserfolg der Männchen günstig auswirken, berichten die beiden im Fachblatt "PLoS ONE" (Bd. 4, e5116).
Utan und Kinshasa
 
Bild: Cristina M. Gomes/Max-Planck-Institut f¿r evolution¿re Anthropologie

Eine typische Szene aus dem Taï Nationalpark ist auf obigem Bild zu sehen: Das Schimpansenmännchen Utan hält ein Stück Fleisch eines Roten Stummelaffen in der Hand. Daraufhin nähert sich das Weibchen Kinshasa mit seinem Baby Kirikou auf dem Rücken und bittet ihn um einen Teil der Beute. Utan willigt ein, seine Freigiebigkeit wird später mit körperlichen Zuwendungen belohnt.
Tausch auch in unfruchtbaren Phasen
Das Prinzip "Sex gegen Fressen" wäre nicht besonders überraschend, wenn Gomes und Boesch keinen Unterschied zwischen fruchtbaren und unfruchtbaren Phase gemacht hätten. Denn schon bisher wusste man: Befinden sich Weibchen im Östrus, agieren Männchen generell sehr großzügig.

Solche Episoden schlossen die beiden Biologen gezielt von ihrer Analyse aus, der Zusammenhang blieb aber dennoch bestehen. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass freilebende Schimpansen Fleisch gegen Sex tauschen, auch über einen längeren Zeitraum hinweg", sagt Cristina Gomes. "Männchen, die mit Weibchen ihre Jagdbeute teilen, verdoppeln ihren Paarungserfolg. Weibchen, denen es schwer fällt selbst zu jagen, können ihre Kalorienaufnahme erhöhen, ohne sich dem hohen Energieverbrauch und Verletzungsrisiko einer Jagd aussetzen zu müssen."

Ihr Kollege Christophe Boesch ergänzt: "Es gibt mehr und mehr Hinweise darauf, dass Schimpansen auch Vergangenheit und Zukunft in ihr Denken einschließen und dass dies ihr Verhalten in der Gegenwart bestimmt."
"Jeder kopuliert mit jedem"
Beim Menschen dient die Sexualität neben der Fortpflanzung bekanntlich auch der Paarbindung. Nicht so bei unseren nächsten Verwandten, dort ist die Reproduktion das einzig bestimmende Thema: "Sie haben zwar gewisse Partnerpräferenzen, aber es gibt keine monogamen Paare. Im Gegenteil: Bei Schimpansen kopuliert jeder mit jedem. Sie sind definitiv polygam", sagt Gomes im Gespräch mit science.ORF.at.

In Zahlen ausgedrückt: Weibchen haben durchschnittlich vier bis fünf Sexualpartner in ihrer Gruppe, Männchen sieben bis acht. Man darf vermuten: Nach erfolgreichen Beutezügen können es auch mal mehr sein.

Robert Czepel, science.ORF.at, 8.4.09
->   Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
->   Schimpansen - Wikipedia
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01.01.2010