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Wie Kolibris ihren Flug stabilisieren  
  Nach wie vor fragen sich Wissenschaftler, warum Kolibris und andere fliegende Tiere nicht in der Luft "umkippen". Nun dürfte ein Teil des Rätsel geklärt sein: Werden sie durch einen Windstoß aus der Lage gebracht oder wollen sie eine absichtliche Drehbewegung wieder beenden, müssen sie weniger tun, als bisher angenommen. Die Physik hilft ihnen dabei.  
Vom Winde verweht
 
Bild: Edwin Joo

In der Luft stehend nähert sich ein Kolibri einer Blüte, um den begehrten Nektar mit der Zunge aufzulecken. Eine leichte Böe kann da zur lästigen Plage werden: Sie dreht den Vogel zur Seite und schon erreicht dieser die Blüte nicht mehr.

Man könnte nun annehmen, dass der Kolibri vor allem durch asymmetrische und korrigierende Flügelschläge dagegen rudert. Die Tiere haben es jedoch viel einfacher, wie nun Biologen um Tyson L. Hedrick von der Universität North Carolina in Chapel Hill im Fachjournal "Science" (Bd. 324, S. 254) berichten: Wenn Vögel, Fledermäuse und Insekten mit ihren Flügeln gleichmäßig weiterschlagen, wirkt dies der störenden Drehung automatisch entgegen und bremst einen Großteil davon ab. Das zeigt ein mathematisches Modell, das Hedrick & Co. anhand von Videoaufnahmen überprüft haben.
Natürlicher Schleuderschutz
Die Wissenschaftler nennen den helfenden Mechanismus "schlagendes Gegendrehmoment" ("flapping counter-torque"). Er beruht darauf, dass sich die Flügel des Vogels mit unterschiedlicher Geschwindigkeit durch die Luft bewegen, auch wenn sie in Relation zum Körper gleich schnell sind.

So entsteht durch einen symmetrischen Flügelschlag dennoch eine asymmetrische Kraft. Auf der einen Seite addiert sich nämlich die Geschwindigkeit der Drehbewegung zu jener des Flügelschlags, auf der anderen Seite wird sie davon abgezogen. Da der schneller durch die Luft bewegte Flügel eine größere Kraft ausübt als der langsamere, bremst jeder Flügelschlag die Drehbewegung automatisch ab.
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Tyson L. Hedrick und sein Team haben auch Ausschnitte ihrer Videoanalysen zur Verfügung gestellt. Auf Video1 ist ein weiblicher Rubinkehlkolibri (Archilochus colubris) bei einer Drehbewegung zu sehen, auf Video 2 ein Tabakschwärmer (Manduca sexta) bei einem Dreh- und Seitwärtsmanöver. Beide Zeitlupen laufen mit drei Prozent der tatsächlichen Geschwindigkeit.
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Universales Prinzip
 
Bild: Jose Iriarte-Diaz

Dieses Prinzip scheint bei allen fliegenden Tieren zu funktionieren. Hedrick und seien Kollegen haben sieben Arten untersucht: vier Insekten-, zwei Vogelarten und eine Fledermaus. Wie stark der korrigierende Effekt ausfällt, hängt dabei nicht von der Große des Tieres ab. Entscheidend sind das Verhältnis von Flügelfläche und Körpergröße.

So brauchen etwa Fruchtfliegen und Kolibris ungefähr gleich viele Flügelschläge, um eine vergleichbare Drehung abzubremsen. Kakadus, die untersuchte Fledermaus und der beobachtete Schwärmer kamen aufgrund der im Vergleich zum Körper größeren Flügelfläche mit weniger Schlägen aus. Entscheidend ist auch die Frequenz der Flügelschläge - je schneller das Tier mit den Flügeln schlägt, umso stärker der bremsende Effekt.
Dämpfung mit Energiesparmodus
Durch diesen automatischen Torkelschutz verbrauchen die Tiere im Flug weniger Energie. Zudem wird ihr gesamter Stoffwechsel entlastet, weil die neurophysiologische Koordination zwischen Wahrnehmung und Muskeln nicht so aufwendig ist, wie wenn die Tiere ihre Flugstabilität ausschließlich aktiv steuern müssten.

Hedrick und seine Kollegen betonen, dass das von ihnen beschriebene Prinzip nur für langsame Fluggeschwindigkeiten und Seitwärtsbewegungen gilt. Wie die Tiere ihre Flugstabilität beim schnellen Flug steuern, könne damit nicht erklärt werden. Etwa, wenn männliche Kolibris um Weibchen werben, sich dabei in die Tiefe stürzen und kurz vor dem Boden wieder abbremsen.

Männliche Kolibris werden bei solchen Manövern jedoch durch ihren Körperbau unterstützt: Sie haben im Vergleich zu den Weibchen einen kleineren Körper in Relation zu den Flügeln und schlagen schneller mit diesen, wie die Studienautoren schreiben.

Beides erhöht die Stabilität, ist aber auch mit Nachteilen verbunden: Schnellere Flügelschläge brauchen mehr Energie. Während der neu entdeckte Mechanismus prinzipiell den Energieverbrauch senkt, führt das Ausnutzen des Prinzips durch schnellere Flügelschläge also auch zu einem gegenteiligen Effekt.
Designhilfe für Flugroboter
Derzeit öffnen neue technische Verfahren, mit denen Flügelbewegungen genau vermessen werden, eine ganze Welt der vergleichenden zoologischen Forschung, schreibt Bret W. Tobalske von der Universität Montana in Missoula in "Science" (Bd. 324, S. 190).

Die Autoren sehen zudem eine technische Anwendung ihres Modells: Mit dem Wissen könnten Flugroboter verbessert werden, die sich wie ein Insekt oder Vogel mit schlagenden Flügelbewegungen fortbewegen.

Entscheidend ist, dass es sich um schlagende Flügel handelt. Diese haben ihre eigene Dynamik und funktionieren - wie das Modell zeigt - nach eigenen Gesetzen. Flugzeuge und segelnde Vögel nutzen andere Mechanismen und sind daher eine andere Geschichte.

Mark Hammer, science.ORF.at, 10.4.09
->   Tyson L. Hedrick
->   Bret W. Tobalske
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01.01.2010