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Spanische Habsburger: Inzucht führte zum Ende  
  Im frühen 16. Jahrhundert unter Karl V. war es dank der Kolonien in Südamerika noch ein "Reich, in dem die Sonne niemals untergeht". Schon bald aber sollte sich der Himmel über den Habsburgern verfinstern. Mit dem Tod von Karl II. 1700 starb die spanische Linie des österreichischen Adelsgeschlechts aus. Eine Kombination von Unfruchtbarkeit und Impotenz verhinderte die natürliche Thronfolge.  
Das Schicksal von Karl II., der unter dem Spitznamen "Der Verhexte" in die Geschichtsbücher eingegangen ist, wurde schon oft mit der starken Inzucht des Herrscherhauses in Verbindung gebracht.

Eine statistische Untersuchung der habsburgischen Inzuchtquotienten und ihrer Auswirkungen gibt dem nun recht, wie eine Forschergruppe um den Genetiker Gonzalo Alvarez von der Universität Santiago de Compostela in Spanien berichtet.
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Die entsprechende Studie "The Role of Inbreeding in the Extinction of a European Royal Dynasty" ist am 15. April in der Open-Access-Zeitschrift "PLoS ONE" erschienen (doi:10.1371/journal.pone.0005174).
->   Die Studie
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Der Stammbaum der spanischen Habsburger
 
Grafik: Gonzalo Alvarez et al, PLoS One

Die Könige sind in Großbuchstaben angegeben
Karl II.: Viel Leid vor dem Erbfolgekrieg
Karl II. dürfte es von Beginn an nicht leicht gehabt haben, er wurde als "großköpfiges, schwaches und brustgestilltes Baby" beschrieben. Bis er vier war, konnte er nicht sprechen, erst mit acht lernte er laufen, wie die spanischen Forscher berichten.

Und auch später hatte er jede Menge Eigenheiten, die manche Biologen als Degeneration bezeichnen: Neben der berühmten Habsburgerlippe - eigentlich eine Fehlstellung des Unterkiefers - litt er unter Magen- und Darmerkrankungen, Blut im Urin, Ödemen und anderen Unannehmlichkeiten.

Die historisch folgenschwerste war seine Kinderlosigkeit, die nach seinem Tod zum Spanischen Erbfolgekrieg führen sollte. Seine erste Ehefrau klagte über seine vorzeitige Ejakulation, die zweite über seine Impotenz. Als mögliche Ursache für eine Reihe seiner Symptome haben Forscher schon bisher den hohen Grad an Blutsverwandtschaft unter den Vorfahren von Karl II. genannt.
Inzuchtkoeffizient von 3.000 Verwandten
Wie der genau ausgesehen hat, haben die spanischen Genetiker nun in der bisher umfassendsten Weise untersucht. Dazu haben sie genealogische Daten von 3.000 Habsburg-Verwandten über 16 Generationen zusammengetragen. Beinhaltet waren nicht nur die "spanischen Habsburger", sondern auch das Haus Österreich sowie weitere Herrschergeschlechter wie die französischen Bourbonen und die Avis von Portugal.

Aus den Daten errechneten die Forscher für jedes Individuum einen Inzuchtkoeffizienten (F), der die Wahrscheinlichkeit angibt, dass an einem bestimmten Genort aufgrund blutsverwandter Vorfahren zwei gleiche Genvarianten vorliegen (homozygot) - und nicht zwei verschiedene wie üblicherweise (heterozygot).

Diese Inzuchtgröße sah bei Philip I. (1478 bis 1506), dem Gründer der spanischen Dynastie, mit 0,025 noch relativ normal aus. Bei dem beklagenswerten Karl II. (1661 bis 1700) erreichte F den Rekordwert von 0,254. Das bedeutet nichts anderes, als dass mehr ein Viertel seiner Gene in nur einer - Erbkrankheiten wahrscheinlicher machenden - Variante vorgelegen sein dürfte. Bei den Frauen der spanischen Habsburger lag F deutlich unter den Werten der Männer.
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Keine direkten Beweise
Direkte Beweise für den Zusammenhang von Inzucht und Erbkrankheiten erbringen der Genetiker Gonzalo Alvarez und seine Kollegen nicht. Wie sie schreiben, können die Symptome der Habsburger auch Effekte von Umwelteinflüssen oder anderer genetischer Ursachen sein. Sie relativieren auch die Aussagekräftigkeit ihrer eigenen Zahlen, indem sie Beispiele gegenwärtiger Gesellschaften zitieren, in denen es ebenfalls sehr hohe Raten an Hochzeiten unter Blutsverwandten gibt. Über den aktuellen Stand der Forschung zu blutsverwandten Ehen und ihren gesundheitlichen Effekte gibt die Website Consang.net des australischen Genetikers Alan Bittles Auskunft:
->   Consang.net
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Kindersterblichkeit als Gradmesser
Die Auswirkungen der Inzucht haben die Forscher indirekt anhand der Kindersterblichkeit von acht Familien der spanischen Habsburger untersucht. 80 Prozent der Kinder wurden nicht älter als zehn Jahre, während die vergleichbare Kindersterblichkeit in der spanischen Bevölkerung bei 20 Prozent lag. Hauptverantwortlich waren dabei nicht Unfälle oder Missgeschicke bei der Geburt, sondern Krankheiten zwischen dem ersten Lebensmonat und dem zehnten Lebensjahr.

Hauptargumentationsgebiet für die Forscher ist aber Karl II. Gleich zwei seltene Erbkrankheiten (Kombinierter Hypophysenhormonmangel, Distale renale tubuläre Azidose) könnten ihnen zufolge für die Symptome des letzten spanischen Habsburgers verantwortlich sein.

Damit begeben sie sich zwar nach Eigenaussage auf das Gebiet der Spekulation: Aber die jahrhundertelange Inzucht könnte auch zu den Sexproblemen von Karl II. geführt haben, die letztlich das Ende des Hauses Habsburg in Spanien bedeutet haben.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 15.4.09
->   Karl II. (Wikipedia)
->   Gonzalo Alvarez, Universität Santiago de Compostela
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Warum die Österreicher so gerne lamentieren
->   Habsburger: Ein unrühmliches Herrschergeschlecht?
 
 
 
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01.01.2010