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Hirnrhythmen: Mäuse am optischen Gängelband  
  Neurobiologen vermuten, dass Krankheiten wie Schizophrenie und Autismus von Rhythmusstörungen im Gehirn ausgelöst werden. US-Forscher haben nun spektakuläre Versuche mit jenen Neuronen durchgeführt, die im Hirn den Takt angeben. Sie scheinen die These zu bestätigen.  
Verbindende Wellen
Herzrhythmusstörungen sind jedem ein Begriff, aber Hirnrhythmusstörungen? Dass Rhythmen im Gehirn eine wichtige Rolle spielen könnten, ist so ungewöhnlich nicht: Schließlich wurden schon vor Jahrzehnten in EEG-Studien so genannte Gammawellen in der Großhirnrinde nachgewiesen, die durch die synchrone Aktivität von Nervenzellen entstehen.

In jüngerer Zeit haben einige Forscher die Vermutung geäußert, dass die schwingenden Neuronen gar für die Einheit unseres Bewusstseins verantwortlich sein könnten, weil sie verschiedene Areale des Gehirns durch ihren Gleichschritt quasi "zusammenbinden". Es gibt auch eine etwas bescheidenere Version dieser Hypothese, die da lautet: Gammawellen im Gehirn regulieren den Informationsfluss im Hirn.

Doch selbst diese Variante ist nicht so einfach zu überprüfen, denn dazu müsste man die mit 40 Hertz schwingenden Gammawellen im Hirn gezielt manipulieren können.
Genetische Lichtschalter
 
Bild: Stanford University

Wie der US-Biologe Karl Deisseroth im Fachblatt "Nature" (online) berichtet, ist das nun offenbar kein Problem mehr. Das Zauberwort in diesem Zusammenhang heißt "Optogenetik". Dabei stattet man bestimmte (Hirn-)Zellen zunächst mit einem lichtempfindlichen Protein aus, mit Lichtblitzen kann man dann gezielt deren Aktivität steuern, während die restlichen Gewebeteile davon völlig unbeeinflusst bleiben.

Der an der University of Oxford tätige Österreicher Gero Miesenböck hat etwa vor fünf Jahren gezeigt, dass man auf diese Weise eine Art Fernsteuerung für Taufliegen bauen kann (Cell, Bd. 121, S. 141).

Schwieriger wird es indes, wenn man Lichtpulse als Signal im Mäusehirn einsetzen möchte. "Wireless" geht das nämlich nicht (siehe Bild oben), man muss die Tiere anästhesieren, ihnen die Schädeldecke öffnen und ein lichtleitendes Kabel implantieren. Die Vorgehensweise klingt zwar ein wenig grausig, allerdings bringt sie auch spektakuläre Ergebnisse.
Manipulierter Taktgeber
 
Bild: Feng Zhang, Vikaas Sohal, Ofer Yizhar, Karl Deisseroth

Deisseroth und seine Kollegen haben sogenannte Interneurone im Mäusehirn manipuliert, die man schon länger als Auslöser der Gammawellen im Verdacht hatte (im Bild oben rot markiert). "Das Ganze war ein richtiges Mysterium", sagt Deisseroth. "Es gab diese Zellen, von denen man annahm, dass sie mit der Informationsverarbeitung zu tun haben, es gab die Gammawellen. Aber niemand konnte bisher die Puzzlesteine zusammensetzen."

Wie es aussieht, kann der US-Forscher von der renommierten Stanford University nun diese Pioniertat für sich verbuchen. Er und seine Kollegen drehten per Lichtsignal an der Aktivitätsschraube der Interneurone, was wiederum die Gammawellen im Hirn veränderte.

"Wenn man die Interneurone bremst, dann entstehen weniger 40-Hertz-Oszillationen", erklärt Deisseroth. "Wenn man sie ankurbelt, erhält man hingegen mehr davon. Das ist der erste echte Beweis, dass die Interneurone mit der Entstehung der Gammawellen zu tun haben."

Bemerkenswerterweise lässt sich auch ein direkter Zusammenhang zum Informationsfluss im Denkorgan nachweisen, zumindest in der vorderen Hirnrinde der Mäuse war die Kommunikation zwischen diversen Netzwerken von den Gammawellen abhängig.
Krankheit als Rhythmusstörung
Ob das auch für andere Hirnareale und vor allem den Menschen gilt, bleibt noch nachzuweisen. Dennoch machen diese Versuche nun zwei Hypothesen plausibel, die vor einiger Zeit in diesem Zusammenhang geäußert wurden.

Demnach könnten sowohl Autismus als auch Schizophrenie eine Form der Rhythmusstörung im Gehirn sein - als Auslöser vermutet man im ersten Fall aus dem Ruder gelaufene Intensitäten der Gammawellen, im zweiten Fall könnte eine zu geringe Zahl von (Interneuron-)Taktgebern verantwortlich sein.

"Das heißt, bei Autismus- und Schizophrenie-Patienten erreichen zwar die Informationen die entsprechenden Hirnbereiche, aber sie werden nicht immer korrekt verarbeitet", so Deisseroth.
Süchtig nach Licht
In eine ganz andere Richtung geht eine zweite Studie, die Deisseroth diese Woche (online) in "Science", dem amerikanischen Konkurrenzblatt der britischen "Nature", veröffentlicht hat. Darin weist der US-Biologe nach, dass die optogenetische Methode auch bei ganz anderen Neuronen im Mäusehirn funktioniert, nämlich jenen in der "Area ventralis tegmentalis".

Diese Region ist eine wichtige Schaltstelle bei der Entstehung von Süchten: Wie man schon früher wusste, entfalten dort Drogen wie Kokain, Heroin und Alkohol einen Teil ihrer Wirkung und erzeugen ein angenehmes Gefühl. Ähnliche Empfindungen müssen wohl auch die Versuchsmäuse gehabt haben, die an derselben Stelle per Lichtsignal stimuliert wurden.

Zumindest gibt es einen starken Hinweis darauf: Die Tiere hatten offenbar im Verlauf der Versuche gelernt, in welcher Box die intensivsten Lichtsignale in ihrem Suchtzentrum ankamen. Genau diese Box wählten sie als ihre zukünftige Bleibe aus.

Robert Czepel, science.ORF.at, 26.4.09
->   Deisseroth Lab
->   EEG - Wikipedia
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01.01.2010