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Historische Fotos bäuerlicher Kulturlandschaft
Blick zurück um 60 Jahre
 
  Die Geografin Erika Hubatschek hat über 60 Jahre lang Bergbauern und Landschaften in den Alpen fotografiert. Die Fotografien bieten einen Blick in eine vergangene Welt, auf heute nicht mehr existierende Landschaften und auf alte Formen der Landwirtschaft. Einige der Bilder sind nun an der Universität für Bodenkultur ausgestellt.  
Bild: Erika Hubatschek
Mistklocken, Stöcklenalm, Stubaier Oberberg
Die Geschichte der über 12.000 Bilder, die sie im Laufe ihres Lebens geschossen hat, erzählt sie in einem science.ORF.at-Interview.

Wie ist es dazu gekommen, dass Sie Bergbauern fotografieren?

Hubatschek: Als Geografin hab ich mich früh für Bergbauern interessiert. Ich war schon in der Jugend viel in den Bergen und im Rahmen des Studiums habe ich die Umgestaltung der Landschaft durch die Bergbauern als Thema gewählt. Ich habe mir gedacht, am besten ist es dann, wenn ich hinausgehe und mit ihnen arbeite. Als erstes habe ich am Hof meines Großvaters mitgearbeitet. Ich hab mich als Fotografin viel mit der Landschaft beschäftigt. Das hat mir einen Blick ein paar hundert Jahre weit zurück ermöglicht. Damals hat sich ja in ein paar hundert Jahren weniger verändert, als heute in ein paar Jahrzehnten.

Wie war die Arbeit bei den Bauern?

Hubatschek: Da ich nicht aus der Landwirtschaft komme, habe ich erst einmal melken und mähen lernen müssen. Damals wurde noch alles mit der Sense gemäht und mit der Hand gemolken. Wenn man mit den Bauern arbeitet, gehört man irgendwie dazu. Das alles habe ich in der Freizeit gemacht - ohne Projekte oder Sponsoren. Ich konnte dann Fotos machen, die sonst niemand hat. Meistens hat man damals in den 1930er-Jahren schöne Höfe und Menschen in Trachten fotografiert, aber nicht die Arbeit und die Geräte. Viele Geräte wurden damals noch von den Leuten selbst erfunden und hergestellt. Es gab keine Kataloge zum Aussuchen.
"Löw verninftig - gedenck an das Künftig"
 
Bild: Erika Hubatschek

Muhrer Mahdleut', Lungau (1939)
Bild: Erika Hubatschek
Kulturlandschaft mit Getreideanbau
Vor einigen Jahren hat Ihre Tochter viele der alten Bilder vom gleichen Standort aus wiederholt. Was hat sich in der Landschaft verändert?

Hubatschek: Man sieht auf den Bildern, dass sich nicht alles nur zum Schlechten verändert hat - etwa wie manche Landschaften durch das Landschaftsschutzgesetz erhalten geblieben sind. Auf einem Gasthaus im Ötztal habe ich einmal den Spruch gelesen: "Löw verninftig - gedenck an das Künftig". Heute muss alles nachhaltig sein; die Bauern hatten schon damals diesen Weitblick. Wenn man das übersetzt - lebe vernünftig und denk an die Zukunft - ist das heute ein sehr wichtiger Spruch. Sowas haben die Bauern schon vor Jahrhunderten auf ihr Haus geschrieben.

Wie hat sich die Landwirtschaft in den Jahrzehnten verändert?

Hubatschek: Im Jahr 1953 habe ich in Kärnten 4.000 Bauernhöfe siedlungskundlich untersucht. Dann bin ich 1962 wieder hingekommen. Alleine in diesen zehn Jahren sind viele jahrhundertealte Holzbauten verschwunden. Sicher, praktischer und hygienischer ist das Jetzige, aber die modernen Gebäude sind nicht so gewachsen wie die alten. Sie schauen sehr kahl und nüchtern aus. Das lässt sich nicht vermeiden, aber ich bin froh um die alten Bilder, die zeigen, wie die Leute früher gewohnt haben. Früher haben die Anbauten immer dazu gepasst, heute lassen viele Eingriffe die Höfe nicht mehr erfreulich erscheinen.
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Zur Ausstellung
In der Hauptbibliothek der Universität für Bodenkultur in Wien sind Bilder von Erika Hubatschek in der Ausstellung "Kulturlandschaft im Fokus" bis 20.5.09 zu sehen. Die Ausstellung wurde von Studenten des Doktoratskollegs für Nachhaltige Entwicklung organisiert, die im Rahmen eines Seminars am 4. und 11.5.2009 zwei ihrer Arbeiten zum Thema Kulturlandschaft vorstellen.
->   Weitere Informationen
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Jeder Bauernhof eine "Hauspersönlichkeit"
 
Bild: Erika Hubatschek

Flachjäten bei Going, Tirol

Bedauern Sie, dass sich die Welt der Bergbauern und die Kulturlandschaft verändern?

Hubatschek: Bedauern oder nicht, es muss sich alles verändern, das lässt sich nicht aufhalten. Es kommt nur darauf an, dass die Würde, die die früheren Bauernhöfe gezeigt haben, sich auch in den neuen in irgendeiner Form weiterentwickelt. Es sind nie zwei Bauernhäuser ganz gleich. Jedes ist eine Hauspersönlichkeit für sich. Die alten Höfe hatten Raum für 13 oder 14 Leute, für die vielen Bediensteten. Heute wohnen dort oft nur mehr die Besitzer. Die Räume lassen sich dann ja gut für Urlaub am Bauernhof nutzen. Bei den Bergbauern zeigt die Landschaft, auch wenn sie besiedelt ist, immer noch etwas von der ursprünglichen Landschaft - etwa Gletscher oder Felsen. Im flachen Land ist von der Natur oft fast nichts mehr vorhanden.

Ist das Leben der Bergbauern heute einfacher oder härter als früher?

Hubatschek: Es ist nicht mehr so beschaulich, wie es trotz der vielen Arbeit früher war. Es ist gut, dass sie nicht mehr so hart und schwer arbeiten müssen, aber es geht natürlich auch so manches dadurch verloren. Zum Beispiel alte Geräte. Oder die Verarbeitung von Flachs zu Leinen. Heute denkt beim Essen eines Leinsamenbrots wahrscheinlich kaum jemand daran, dass die kleinen Körner der Grundstoff für Leinen sind. Die Leinenherstellung war unglaublich viel und eine heikle Arbeit: Der Acker musste schön hergerichtet sein, man musste mit der Hand jäten, dann kommen noch sehr viele weitere Arbeitsgänge hinzu. Im Stubai sagt man zu Leinen "der Haar". Die Bauern sagen "der Haar geht durch 72 Händ', bis er getragen wird".
"Schwarz-Weißfotos sind viel klarer"
 
Bild: Erika Hubatschek

Bergmahd, Passeiertal. Südtirol (1941)

Fotografieren Sie heute noch?

Hubatschek: Nein. Ich habe so viele Negative, dass ich mehr als genug damit zu tun habe, das alles evident zu halten. Ich habe ja in Kärnten, Salzburg, Tirol, der Steiermark, der Schweiz, aber auch in Nepal und Japan fotografiert. Wie ich die Fotos gemacht habe, habe ich nie gedacht, dass das einmal Bücher oder Ausstellungen werden könnten.
Bild: Erika Hubatschek
Erika Hubatschek
Wie viele Fotos haben Sie in ihrem Leben gemacht?

Hubatschek: Ich hab alleine 12.000 Schwarz-Weiß-Negative. In Farbe hab habe ich zum Glück wenig fotografiert. Die alten Farbaufnahmen verblassen meist. Die Schwarz-Weißfotos sind viel klarer und besser für eine späte Veröffentlichung geeignet.

Mit 71 Jahren habe ich meinen eigenen Verlag gegründet, weil ich mit den vorherigen Verlagen nicht zufrieden war. Mit den Büchern und Kalendern kann ich immer wieder anderen Leuten Freude bereiten. Manche der Aufnahmen wird man nie wieder machen können - etwa jene von Bergmähdern in 2.600 Metern Höhe.

Interview: Mark Hammer, science.ORF.at, 4.5.2009
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Erika Hubatschek (92) wurde in Klagenfurt geboren. Sie studierte Geografie, Volkskunde und Leibesübungen in Graz und Innsbruck, schrieb ihre Dissertation über Almen und Bergmähder im oberen Lungau und arbeitete als Gymnasiallehrerin in Innsbruck. Jahrzehnte lang fotografierte sie die Welt und das Leben der Bergbauern und veröffentlichte mehrere Bücher dazu. Ihre Fotografien wurden international in Fotoausstellungen ausgestellt.
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->   Ein Leben für die Bergbauern (über die Fotos Erika Hubatscheks, PDF)
->   Doktoratskolleg für Nachhaltige Entwicklung
->   Universitätsbibliothek Bodenkultur
Mehr zum Thema in science.ORF.at:
->   Klimaschutz per Landwirtschaft
->   NS-Volkskunde und Fotografie in Südtirol
 
 
 
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01.01.2010