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"Hobbits": Etappensieg für die neue Spezies  
  Seit dem Fund von Überresten eines zwergwüchsigen Skeletts auf der indonesischen Insel Flores im Jahr 2003 ist eine Debatte zwischen den Fachleuten entbrannt: Die einen meinen, der Homo floresiensis sei eine eigene, bisher unbekannte Menschart. Andere hingegen halten ihn einfach für einen "degenerierten" Homo sapiens.  
Gleich zwei aktuelle Studien liefern neue Belege für die erste These. Sie stammen aus einer Analyse der Fußknochen des Zwergmenschen sowie aus einer Studie an ausgestorbenen Zwergnilpferden.
"Verzwergte" Art?
Die "Hobbits" - so haben seine Anhänger die neu entdeckte Menschart liebevoll getauft - lebten vor etwa 95.000 bis 17.000 Jahren. Sie waren ausgesprochen kleine Menschen, ungefähr einen Meter groß und nur 30 Kilogramm schwer. Am erstaunlichsten ist allerdings ihr winziges Gehirn, mit 470 Kubikzentimeter entspricht es etwa dem eines Schimpansen. Es liegt damit deutlich unter dem für alle Säugetiere typischen Verhältnis zwischen Gehirn- und Körpermasse.

Manche Forscher vermuten, dass er sich aus einem vormodernen Hominiden, wie etwa dem Homo erectus, entwickelt habe. Der Kleinwuchs sei lediglich eine Folge seines isolierten Daseins, man nennt dieses Phänomen "Inselverzwergung", bekannt auch bei anderen Säugetieren. Dabei nimmt die Körpergröße von auf Inseln lebenden Zweigen im Verhältnis zu Festlandbewohnern über Generationen hinweg ab.
Krankhafte Fehlbildung?
Gefunden wurden die Überreste der "Hobbits" alle in derselben Höhle. Sie stammen von etwa einem halben Dutzend Individuen. Nicht zuletzt deshalb haben andere Wissenschaftler eine neue Erklärung für die Existenz des Zwergwesens gesucht.

Sie meinen, es handle sich um eine sehr kleine Population menschlicher Pygmäen. Ihre körperliche "Fehlbildung" halten sie für das Symptom eines krankhaften Gendefekts. Dafür spreche auch das winzige Gehirn.
->   "Hobbits": Kleinwüchsig aufgrund von Gendefekt? (4.1.08)
Neue Belege durch Analysen des Skeletts
 
Bild: Nature, Djuna Ivereigh/ARKENAS

Entschieden ist der Streit bis heute nicht, fieberhaft wird nach weiteren Beweisen in den spärlichen Relikten gesucht. Die Forscher rund um W.L. Jungers vom Stony Brook University Medical Center in New York haben nun zu diesem Zweck eine detailierte Beschreibung des Fußes des Homo floresiensis erstellt (Nature, Bd. 459, S.81).

Dabei sind einige interessante Details aufgetaucht: Manche Teile wie die Zehen oder der Mittelfuß sind in ihrer Form laut den Forschern zwar sehr menschenähnlich. Andere Einzelheiten seien aber ganz und gar "unmenschlich". So ist der Fuß mit seinen 20 Zentimetern extrem lang, das Verhältnis zur Körpergröße ähnelt dem bei Schimpansen oder beim Australopithecus, auch andere Eigenschaften muten demnach eher tierisch an.

Aufrecht gehen konnte der "Hobbit" aber mit ziemlicher Sicherheit auf diesem Fuß, laufen hingegen war für den Zwergmensch schwierig bis unmöglich, meinen die Paläontologen.
Abspaltung früher als vermutet
Diese Ergebnisse bringen die Forscher auf eine ganz neue Hypothese. Aktuelle Funde von Fußabdrücken in Kenia deuten darauf hin, dass der Fuß des modernen Menschen in seiner heutigen Form schon vor ungefähr 1,5 Millionen Jahren beim Homo erectus entstanden ist.

Wenn sich der Fuß des Flores-Menschen also nicht "zurückentwickelt" hat, muss sich der "Hobbit" eigentlich noch früher von der menschlichen Linie abgespalten haben als bisher vermutet.
->   Ältester Beweis für modernen Gang (26.2.09)
Diverse Indizien
Auch die Untersuchung anderer Skelettteile, wie etwa dem Schädel (Journal of Human Evolution Dezember 2008)oder der Schultern (Journal of Human Evolution, Dezember 2007), sprechen für die These, dass der "Hobbit" in vielem frühen Menschenvorfahren gleicht.

Wie Daniel E. Lieberman von der Harvard University in einem Begleitartikel im "Nature" schreibt, legen die Ergebnisse tatsächlich nahe, dass sich der Homo floresiensis entweder aus einem sehr frühen Homo erectus entwickelt hat oder aus dem noch älteren Homo habilis.
Sparsames Schrumpfhirn
Warum aber das Gehirn der vermutlichen Spezies derartig klein war, konnten all diese Detailstudien noch immer nicht klären. Eine andere aktuelle Arbeit verspricht nun eine etwas ungewöhnliche Erklärung.

Eigentlich haben Eleanor Weston und Adrian Lister vom Natural History Museum in London die Inselverzwergung bei einigen ausgestorbenen Nilpferdarten auf Madagaskar untersucht (Nature, Bd. 459, S.85). Auch diese hätten ein sehr kleines Gehirn gehabt, das deutlich unter dem für Säugetiere typischen Verhältnis zur Körpermasse lag.

Die Paläontologen vermuten, dass diese zusätzliche Schrumpfung einfach ökonomisch war. Wenn Ressourcen knapp sind, werde eben an den stoffwechselintensivsten Orten gespart. Beim "Hobbit" könnte die Verkleinerung laut den Forschern einen ganz ähnlichen Grund gehabt haben.
Suche nach mehr Belegen
Das letzte Wort ist in der Debatte über die Zwergmenschen vermutlich noch lange nicht gesprochen. Im Moment scheinen jedenfalls die Anhänger die Nase vorne zu haben.

Um seinen Abstammung und seine Entwicklung allerdings irgendwann restlos aufklären zu können, braucht es aber laut Lieberman dringend noch zusätzliche fossile Belege. Bis jetzt gebe es eben nur die Funde in Flores. Bindeglieder zu anderen Hominiden wurden bisher noch keine gefunden.

Eva Obermüller, science.ORF.at, 6.5.09
->   W.L. Jungers
->   Daniel E. Lieberman
->   Eleanor Weston
->   Adrian Lister
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->   Handknochen zeigen: Der "Hobbit" war eine eigene Art (20.09.07)
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->   Studie: "Hobbits" sind keine eigene Menschenart (22.8.06)
->   "Werkzeug-Beweis": Nächste Runde im Hobbit-Streit (1.6.06)
 
 
 
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01.01.2010