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Die Quantenwelt wird mechanisch  
  Die Quantenverschränkung zählt zu den äußerst seltsamen Phänomenen der Quantenwelt. US-Forschern ist es nun gelungen, diesen Zustand in einem mechanischen System herzustellen.  
Schwer vorstellbare Phänomene
Die erlebte Welt besteht aus Systemen, deren Verhalten mit klassischer Physik erfasst und berechnet werden kann. Quantenmechanik hingegen beschreibt den Mikrokosmos von Atomen und Elementarteilchen. Viele der von ihr beschriebenen Phänomene wirken beinahe esoterisch und es ist schwer vorstellbar, dass unser tägliches Lebens darauf basiert.

Dazu zählt unter anderem die Quantenverschränkung, bei der zwei oder mehr physisch unabhängige Objekte wechselseitig und unauflösbar miteinander verbunden sind. Verschränkt man beispielsweise zwei Lichtteilchen und bestimmt die Polarisation (Schwingungsebene des Lichts) des einen Teilchens, kennt man augenblicklich auch den Zustand des anderen Teilchens.

Einstein nannte das "spukhafte Fernwirkung", weil dabei keine Ursache im eigentlichen Sinn wirkt oder wirken darf. Das verbietet die spezielle Relativitätstheorie.
Auf Teilchenebene schon Routine
In den letzten zehn bis 15 Jahren ist die künstliche Herstellung dieses Effekts schon fast so etwas wie Routine geworden, zumindest auf Teilchenebene. Die Distanzen zwischen den verschränkten Teilchen erzielen dabei regelmäßig neue Rekorde. Den jüngste hat das Team um Anton Zeilinger erst vor einem Monat geliefert: 144 Kilometer zwischen den Inseln La Palma und Teneriffa.

In der sichtbaren Natur ließ sich das Phänomen bisher noch nicht beobachten. Dies könnte technische Gründe haben, nämlich, dass sich das verschränkte System in dieser Größenordnung einfach nicht von seiner Umwelt isolieren lässt. Es könnte aber auch an anderen Faktoren liegen, die eine Verschränkung unmöglich machen, wie etwa die Zahl der involvierten Elemente.
->   Quanteneffekte in Rekorddistanz (4.5.09)
Suche nach der Grenze
"Wo aber eigentlich die Grenze zwischen Quantenwelt und klassischer Welt liegt, weiß niemand", meint der Hauptautor der aktuellen Studie John Jost von der University of Colorado at Boulder. Daher versucht er und sein Team sozusagen konkret herauszufinden, welche Dinge sich miteinander verschränken lassen und welche nicht.

Für ihre aktuelle Studie ("Nature", Bd. 459, S. 683) haben die Physiker nun die Vibrationen zweier physisch getrennter mechanischer Oszillatoren verschränkt. Derartige Schwingungserzeuger gibt es in vielen Gestalten: Dazu zählen etwa die Saiten von Streichinstrumenten, Quarzkristalle in Uhren oder das Pendel. Auch in der sogenannten klassischen Welt kann man zwei oder mehrere davon synchronisieren, aber in Wirklichkeit bleiben sie voneinander unabhängig.
Mechanische Vibrationen verschränkt
 
Bild: Jon Jost

Zwei miteinander verschränkte Ionen-Paare schwingen im Gleichklang

Die zwei mechanischen Oszillatoren, die die Quantenphysiker in ihren Experimenten miteinander verschränkten, bestanden jeweils aus einem Beryllium- und einem Magnesium-Ion. Jedes der Paare verhielt sich wie zwei Objekte, die durch eine vier Mikrometer lange Feder verbunden sind. Dabei bewegten sich die beiden Ionen in entgegengesetzten Richtungen: aufeinander zu, voneinander weg.

Durch gezielte physikalische Manipulationen schwangen die zwei Paare dann gleichförmig an verschiedenen Orten. Sie waren sozusagen aneinander gefesselt, in einem gemeinsamen verschränkten Quantenzustand.

Laut den Forschern vollzogen die beiden Paare die gemeinsame Bewegung auch, wenn sie 240 Mikrometer voneinander entfernt waren. Es gelang ihnen in 57 Prozent der Fälle, diesen Verschränkungszustand herzustellen. Die Experimente legen nahe, dass mechanische Oszillatoren "Mischwesen" sind, also sowohl Teil der klassischen als auch der Quantenwelt.
Vielversprechende neue Technologien
Um diese mikromechanische Verschränkung zu erzeugen, haben die Forscher einige neue Techniken angewandt. Diese könnten den Weg für Speichertechnologien in zukünftigen Quantencomputern ebnen, wie der Innsbrucker Quantenphysiker Rainer Blatt in einem begleitenden Kommentar in derselben Ausgabe von "Nature" (Bd. 459, S. 653) schreibt.

Auch zahlreiche andere Anwendungsmöglichkeiten würden sich daraus ergeben: von der Verteilung von Quanteninformationen auf Atom-oder Ionenchips, über mechanische Sensoren bis zu optomechanischen Schnittstellen.

Laut Blatt wird die mechanische Verschränkung ganz generell einen Hauch von "Quantennatur" in die mechanische Realität bringen. Die bizarre Welt der Quanten könnte so zumindest etwas greifbarer werden.

Eva Obermüller, science.ORF.at, 4.6.09
->   Time & Frequency Division (NIST)
->   Rainer Blatt
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01.01.2010