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Gesucht: Nachhaltige Forschungsstrategie  
  Der Rat für Forschung und Technologieentwicklung hat ein Papier vorgestellt, das die Zukunft der österreichischen Forschungslandschaft skizziert. Die beiden BOKU-Forscher Thomas Lindenthal und Helga Kromp-Kolb üben harte Kritik an der "Forschungsstrategie 2020". Sie orientiere sich an einem einseitigen Exzellenzideal und vergesse auf die wirklich drängenden Zukunftsprobleme: die Verflechtung von Technologie mit sozialem Wohl und Nachhaltigkeit.  
Kurz-Stellungnahme zur "Strategie 2020"
Von Thomas Lindenthal und Helga Kromp-Kolb

1.) Die einseitige Ausrichtung der "Strategie 2020" in Richtung Exzellenz, Innovationsleaderschaft und Spitzenstellung im wissenschafts-technologischen und ökonomischen internationalen Wettbewerb ist sehr kritisch zu sehen. Dabei ist auch der - an sich richtige - Ruf nach Verstärkung der technologischen Innovationsbasis in der "Strategie 2020" stark überbetont.

Denn dies geht angesichts der enormen globalen (und damit auch nationalen!) Probleme für heutige und kommende Generationen an der eigentlichen Herausforderung und an der Verantwortung Österreichs vorbei. Österreich könnte (im Verbund mit weiteren vergleichbaren Staaten Europas, in denen Technologieentwicklung gemeinsam mit Sozial- und Umweltbewusstsein stark ausgeprägt sind, wie z.B. in Schweden, Dänemark und der Schweiz) eine führende Rolle in Fragen der ökologischen, sozialen und ökonomischen Nachhaltigkeit und deren sozio-ökonomischen und technologischen Umsetzungspfade übernehmen.
Einseitiges Exzellenz-Paradigma
2.) Die in der "Strategie 2020" erwähnten gesellschaftlichen Herausforderungen bilden nur einen kleinen Ausschnitt einer Verflechtung von vielen gravierenden globalen Problemen die zumeist eng miteinander verknüpft sind. Diese enge Verflechtung, die Wachstums- und Technologie-bedingten Ursachen und auch mögliche Lösungsbeiträge der Forschung scheinen in der "Strategie 2020" nicht auf. Gerade Österreich, mit einer sehr umweltbewussten Bevölkerung, könnte hier eine Vorreiterrolle übernehmen.

3.) Stattdessen wird das international moderne "Exzellenz"-Paradigma in zu einseitiger Weise übernommen. Die negativen Aspekte der Exzellenzcluster u.a. im Hinblick auf einseitige lobbyorientierte Forschung, Stärkung der Mainstreamforschung und Verringerung der demokratische Kontrolle in der Forschung werden nicht erwähnt.
Ökologische und soziale Strategien nötig
4.) Eine vorausschauende und zukunftsorientierte Forschungspolitik müsste Österreich nicht nur als künftigen technologischen Innovationsleader, sondern vor allem als konsequent ökologisch/ökonomisch/sozial nachhaltig agierendem Beispielsgeber und Vorreiter zur Lösung der globalen Krisen stärken. Dies würde sich nicht zuletzt positiv auf die ökonomische Situation und Lebensqualität in Österreich auswirken wird.

5.) Neben der klassischen Sichtweise von "human capital" und seiner wissensbasierten Dimension ("bessere Qualifikation"), ist es zwingend erforderlich, die psychosoziale Dimensionen des Menschen (z.B. psychisches Wohlbefinden, Stärkung von Interessen, Motivation und soziale Kompetenzen, individueller Freiraum) in die Betrachtung mit einzubeziehen.

Sie bilden wie die ökologischen und ökonomischen Aspekte der Nachhaltigkeit die Voraussetzungen für zukunftsfähige Entwicklung.
Innovation durch Freiheit
6.) In zentralen Bereichen der universitären und außeruniversitären Forschung sind wieder verstärkt Möglichkeiten für dauerhafte Verträge für ForscherInnen notwendig, damit vorausschauendes oder gesellschaftliches Engagement wie auch Engagement in der Lehre nicht als "Luxus" empfunden wird.

Die zunehmende Abhängigkeit der ForscherInnen von Evaluierungen, Drittmittelaquisition und Publikationsdruck muss gestoppt werden. Denn "radikale Innovationen" haben einen gewissen Freiraum im wissenschaftlichen Denken und Arbeiten zur Voraussetzung.

7.) Sehr problematisch ist, dass ökonomische, ökologische und soziale Folgewirkungen von Technologie in der "Strategie 2020" überhaupt keine Erwähnung finden, obwohl die globalen Folgen vieler moderner Technologien und ihre Anwendung in unregulierten Märkten mehr als offensichtlich sind. In diesem Zusammenhang fehlt auch die notwendige begleitende Risikoforschung zu neuen Technologiepfaden.
Humanistische Disziplinen fehlen
8.) Aktuelle Erfahrung bei der Implementierung neuer Energie-, Mobilitäts- oder Bewirtschaftungssysteme zeigen, dass Forschungsdefizite in sozio-ökonomisch-politischen und psychologischen Bereichen viel größer sind als die technologischen Defizite.

Lösungen aus diesen Bereichen würden dringlich benötigt, damit der notwenige Wandel im Verhalten der Politiker, Wirtschaftsakteure, Medien und KonsumentInnen in Richtung Klimaschutz, Arterhaltung, Bodenschutz u.a. noch rechtzeitig geschehen kann. Befremdend daher, dass Forschungsdefizite und -fragen aus den Bereichen der Kulturwissenschaften und humanistischen Disziplinen in dem Strategiepapier fehlen.
Themenvielfalt und demokratische Kontrolle
9.) Eine mögliche Zusammenlegung der Forschungsförderungsagenden erscheint nur vertretbar, wenn sichergestellt ist, dass wichtige gesellschaftliche Themen nicht ausgeklammert sowie die Themenvielfalt und demokratischer Kontrolle nicht reduziert werden.

Dies ist bei öffentlichen Forschungsgeldern unverzichtbar - vor allem angesichts der großen anstehenden gesellschaftlichen Probleme. Ausgewogen besetzte Advisory Boards wären hiefür ein mögliches Instrument.

10.) Neben den strategischen Leitlinien für Unternehmen (Absatz 201ff) sollte langfristige Forschung auch an den Universitäten und in Wissenschaftsvereinen gestärkt werden. Zudem sollten auch die Universitäten wieder verstärkt in die Lage versetzt werden, riskante "Nicht-Mainstreamforschung" zu machen.

Vorsicht ist beim Begriff der "unterkritischen Größe" (s. Absatz 211) zu üben. Die geeignete Größe von ForscherInnengruppen hängt generell stark von der thematischen und methodischen Ausrichtung ab. Zudem hat riskante oder Nicht-Mainstreamforschung die inhärente Eigenschaft, oft erst langsam in kleinen Gruppen zu wachsen.
Motivation statt Existenzangst
11.) Die vorgeschlagene Art der Profilbildung der Universitäten (Absatz 214 ff) ist abzulehnen. Statt Leuchtturmprojekte der Exzellenz müssen an österreichischen Universitäten Leuchtturmprojekte der Zukunftsorientierung und der Verantwortung für kommende Generationen entstehen (s. Punkt 1).

Statt auf immer noch weiter verstärkten Wettbewerb muss vielmehr auf nationale und internationale Kooperationen Wert gelegt werden und dabei auch den ForscherInnen und Instituten der nötige geistige Freiraum und das Umfeld für vertrauensvolle Kooperationen und Motivation durch optimale Arbeitsbedingungen gewährt werden (statt Existenzangst und Arbeitsdruck weiter zu steigern).
Evaluierung: Gesellschaftliche Kriterien
12.) Das FTI-System besteht nicht nur aus seinen Akteuren (Absatz 222), sondern auch aus gesellschaftliche Gruppierungen, die sich von der Wissenschaft und Forschung gesellschaftsrelevante Lösungen für die drängenden großen Probleme der Zeit erwarten.

Daher sind auch die im Strategiepapier geforderten "klaren Zielvorstellungen" für das Design der Struktur- und Governance-Kaskade (Absatz 229) nur in einem partizipativen, demokratisch stark verankerten Rahmen wirklich verantwortungsvoll für die gegenwärtige Gesellschaft und die kommenden Generationen gestaltbar.

Die Zusammenlegung der Forschungsagenden und die Autonomie der Agenturen (Absatz 231) wird diesem diskursiven Ziel aber nicht gerecht. Auch müssen Programmevaluierungen (Absatz 238) transparent und mit nachvollziehbaren, partizipativen, gesellschaftlich verankerten Kriterien erfolgen.
Abschließende Bemerkung
Die Vorstellung, dass man der Materie, die in der Strategie 2020 behandelt wird, durch Kommentierung der einzelnen Absätze gerecht werden kann, mutet befremdlich an, Auch dass das Nicht-kommentieren von Absätzen als Zustimmung gilt, muss wohl als mangelnde Kenntnis wissenschaftlicher Methoden im sozio-ökonomischen Bereich interpretiert werden.

[5.6.09]
->   Forschungsstrategie 2020
 
 
 
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01.01.2010