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20 Jahre "L'Homme"
Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft
 
  1990 erschien zum ersten Mal "L'Homme, Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft". Von österreichischen Historikerinnen initiiert, konzipiert und organisiert, war sie das erste deutschsprachige Periodikum zu diesem Forschungsbereich. In den zweimal jährlich erscheinenden Themenheften mit internationalen Beiträgen werden Diskussionen und Forschungsergebnisse der Frauen- und Geschlechtergeschichte aus verschiedenen Blickwinkeln erörtert.  
Am Samstag, den 13. Juni, wird der 20. Jahrgang von "L'Homme" mit einem Fest am Campus der Universität Wien gefeiert.
Von wegen "Mann = Mensch"

Das Sujet am Cover der Zeitschrift ist gut gewählt: Ein Viereck eingeschrieben in einen Kreis - Assoziationen mit dem berühmten "Homo Quadratus" des Leonardo da Vinci werden geweckt, doch statt des nackten Männerkörpers ist da nur gähnende Leere.

Der Mensch, oder vielmehr: der Mann als "Maß aller Dinge" fehlt, den leeren Platz gilt es erst zu besetzen. In diesem Sinn ist auch der Titel der Zeitschrift zu verstehen.

Edith Saurer, Professorin für neuere Geschichte an der Universität Wien und eine der Gründerinnen der Zeitschrift: "'L'Homme' bedeutet ja auf Französisch "Mann" und "Mensch", im Unterschied zum Deutschen, wo es diese Trennung gibt, aber genau das wollten wir zum Ausdruck bringen, dass wir gegen dieses Konzept der Gleichsetzung von Mann und Mensch antreten. Deshalb heißt die Zeitschrift "L'Homme", und das ist auch ein bisschen eine Ironie unsererseits gewesen."
Wissenschaftliche und politische Anliegen
Zeitlich reicht der Themenbereich von "L'Homme" vom ausgehenden Mittelalter bis in die Gegenwart, räumlich geht es in erster Linie um Europa - aber in einzelnen Beiträgen wird immer wieder über dessen Grenzen hinausgeschaut.

Motivation für die Gründung der Zeitschrift war seinerzeit das Bedürfnis, Frauen- und Geschlechtergeschichte, einen damals noch jungen Forschungsbereich, in einer institutionalisierten Form - das heißt kontinuierlich - darzustellen und zu diskutieren.

Neben dem wissenschaftlichen gibt es aber auch ein politisches Anliegen: Es liegt laut Edith Saurer darin, "dass wir diese Asymmetrie in den Geschlechterbeziehungen, die es gegeben hat und die es noch immer gibt - wenn auch auf andere Weise - abschaffen, abtragen möchten. Und das ist etwas, was wir in der Rubrik 'Aktuelles und Kommentare' immer wieder artikulieren. Also wir möchten immer wieder auch einen Überblick über die Lage der Frau, in diesem Fall in der ganzen Welt, geben."
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Radio-Hinweis
Dem 20. Jahrgang von "L'Homme" widmet sich auch ein Beitrag des Ö1 Dimensionen Magazins am Freitag, 12.6, 19.05 Uhr, Radio Österreich 1.
->   Mehr zu der Sendung
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20 Herausgeberinnen aus acht europäischen Ländern
Kaum ein Fach, so die Historikerin, sei so international wie die Frauen- und Geschlechtergeschichte. Um dem Rechnung zu tragen, wurde die Gruppe der Herausgeberinnen, die zunächst alle aus Österreich stammten, nach und nach erweitert:

Es sind zuerst Historikerinnen aus Deutschland und der Schweiz beigetreten, in der Folge aber auch aus anderen europäischen Ländern, aus den Niederlanden und Frankreich, Polen, Bulgarien und Tschechische Republik - zurzeit besteht das Team aus 20 Herausgeberinnen aus acht europäischen Ländern.

Das wird von den Forscherinnen als große Bereicherung empfunden, eröffnen sich dadurch doch Einblicke in unterschiedliche Wissenschaftskulturen, die "L'Homme" auch sichtbar macht. Bei Bedarf werden die Beiträge aus den verschiedenen Ländern ins Deutsche übersetzt; maximal ein Drittel der Texte pro Heft ist englisch.
Themenpalette: Von Religion bis Glück und Krieg
"L'Homme" hat zeit seines Bestehens auch immer wieder Themen aufgegriffen, die in der Forschung nur wenig Beachtung fanden, wie zum Beispiel im ersten Heft 1990 das Thema Religion. "Das war damals ein sehr vernachlässigtes Thema. Überdies auch das Thema 'Ernährung'. Sehr früh haben wir zum Beispiel "Körper" thematisiert, ehe die Körpergeschichte wirklich ins Rollen gekom-men ist, oder 'Gewalt', aber zum Beispiel auch das Thema 'Glück' - wir haben also immer wieder ganz vernachlässigte Gebiete angeschnitten.

Oft, so erzählt die Historikerin, hätten sich aber auch Themen durch gesellschaftliche und politische Ereignisse "aufgedrängt". So war der Jugoslawienkrieg 1990 Anlass für das Themenheft "Krieg". Ebenso durch aktuelle Entwicklungen bedingt waren die Ausgaben "Post/Kommunismen", "Ost-West-Feminismen" und "Auf der Flucht".
Tagung zu Prostitution
Jedes Jahr findet in einer europäischen Stadt auch eine "L'Homme"-Tagung zu einem bestimmten Thema statt. Heuer war die Stadt Wien, das Thema "Prostitution in Forschung und sozialpolitischer Praxis".

Das inhaltliche Spektrum reichte dabei von Darstellungsformen der italienischen Kurtisane im 16. Jahrhundert über Sex-Zwangsarbeit in NS-Konzentrationslagern bis hin zu Prostitution und Sexarbeit im Zusammenhang mit Migration: "Ich denke, das ist ein großer, wunder Punkt. Und zwar deshalb, weil hier Frauen ziemlich rechtlos sind und weil die Eingriffe von Seiten der Politik und Gesellschaft, vor allem was den Frauenhandel betrifft, der ein wesentlicher Teil der Prostitution ist, einfach nicht greift", so die Historikerin Edith Saurer.

Gerade dieses Thema zeigt, dass "L'Homme" auch im 20. Jahrgang seinem Grundprinzip treu geblieben ist: wissenschaftliche Forschung auf hohem Niveau zu bündeln und mit aktuellen politischen Anliegen zu verbinden.

Sabrina Adlbrecht, Ö1 Wissenschaft, 12.6.09
->   L'Homme
->   Edith Saurer, Uni Wien
->   Fest zum 20. Jahrgang L'Homme
 
 
 
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01.01.2010