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Erwachsen werden mit "Starmania"  
  Etwa 855.000 Zuschauer haben Anfang dieses Jahres den Sieg von Oliver Wimmer bei der vierten Staffel von "Starmania" verfolgt. Das Format zählt insgesamt zu den erfolgreichsten heimischen Fernsehproduktionen aller Zeiten, nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen jugendlichen Zuschauer.  
Wie junge Menschen derartige multimediale Formate für ihre Identitätsbildung nutzen, hat eine österreichische Forscherin in einer aktuellen Studie untersucht. Demnach würden Sendungen wie diese ein breites soziales Spielfeld eröffnen, aber ohne eine Anleitung zur kritischen Reflexion seien sie kontraproduktiv und vermittelten eine reduzierte Weltsicht.
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Die Studie "Crossmedia-Identitäten - Ergebnisse einer Aneignungsstudie zur Castingshow Starmania" von Caroline Roth-Ebner ist in der "SWS"-Rundschau (Heft 2/2009) erschienen.
->   Zum Abstract der Studie
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Schwierige Suche nach eigener Identität
Erwachsenwerden war vermutlich niemals leicht, aber vielleicht nie so schwer wie heute. Die Welt, in der wir leben, suggeriert den Heranwachsenden, unzählige Lebensentwürfe, Werte und Kulturen stünden zur Auswahl. Potenzielle Vorbilder gebe es wie Sand am Meer.

Diese unüberschaubare Vielfalt macht die Suche nach einer eigenen Identität für junge Menschen nicht gerade unkompliziert. Manche basteln ein Leben lang daran. Für viele stellt sich die Frage: Wie sich orientieren in diesem scheinbar grenzenlosen Möglichkeitsraum?
Medienstars als Lebensvorlagen
Medien spielen bei dieser Identitätsfindung eine immer stärker werdende Rolle. Der Erfolg von Casting-Shows und anderer Realityformate unterstreicht diese Tatsache. Dabei kann man über einen längeren Zeitraum mit eigentlich fremden, aber "echten" Personen - also Menschen wie du und ich - mitfiebern und mitleben. Kein Wunder also, dass "Starmania" seine treuesten Zuschauer bei den unter 15-jährigen hat.

Sie saugen die Show mit all ihren Details förmlich auf. Das Anschauen der Sendung selbst stellt dabei nur einen Teil dar. Sie sind es auch, die die zusätzlichen Angebote im Internet nutzen, die meisten SMS bei den Votings versenden und Merchandising-Artikel erwerben.
Verschiedene Kategorien der Identitätsbildung
Um zu erheben, wie die jugendlichen Fans dieses Angebot für die Konstruktion ihres Selbst verwenden, hat Caroline Roth-Ebner von der Universität Klagenfurt 21 Leitfadeninterviews mit Jugendlichen zwischen zehn und 15 geführt.

Zur Erhebung der Nutzungsintensität der verschiedenen Medien wurden außerdem Fragebögen in vier Kärntner Schulen verteilt.
Anhand verschiedener Kategorien hat die Autorin dann die Bedeutung der Show bei der Persönlichkeitsbildung erfasst. Dazu zählten unter anderem Identifikation und Abgrenzung, Selbstdarstellung, soziale sowie kulturelle Zugehörigkeit.
Identifikation mit subjektiver Brille
Bei der Frage nach Identifikation zeigte sich, dass sich die Jugendlichen die Show meist mit "subjektiver Brille" aneignen. Die "Starmaniacs" dienen als Folie für ihre Wünsche. Nicht wenige Fans träumen von einer eigenen Gesangskarriere.

Die Stars werden aber auch in Hinblick auf Interessen und Vorlieben mit der eigenen Person in Verbindung gebracht. Manche orientieren sich am Styling und an den vorgelebten Geschlechterrollen.
Diskussion und Abgrenzung trainieren
Auch die Entwicklung von sozialen und intellektuellen Fähigkeiten ist ein wichtiger Teil des Heranwachsens. Laut der Studie lassen sich mit "Starmania" Kompetenzen wie Selbstreflexion und Meinungsaustausch trainieren. Die jungen Zuschauer werden angeregt, über die eigene Person und ihre Handlungsoptionen nachzudenken.

Die Sendung biete zudem viel Stoff, um mit Freunden zu diskutieren, eigene Standpunkte zu entfalten und zu vertreten. Dabei spielt auch Abgrenzung eine wesentliche Rolle, wenn man etwa mit manchen Inhalten nicht einverstanden ist. Kritik und Beurteilung sind weitere persönlichkeitsrelevante Aspekte.
Tun als wäre man ein Star
Die jungen Fans nehmen die Stars auch als Vorbilder, was ihre Strategien der Selbstdarstellung betrifft, laut Roth-Ebner ebenfalls eine wichtige Kompetenz in einer individualisierten Gesellschaft. "Starmania" motiviert die Jugendlichen, mit Rollen zu spielen und ihre eigene Wirkung zu testen. Und das sei durchaus wichtig ihre Entwicklung.

Auch das Gefühl der Zugehörigkeit zu sozialen oder kulturellen Gruppen werde durch die Show verstärkt.
Shows als Teil von individuellen Identitätsprojekten
Wesentlich beim "Starmania"-Fantum sind laut der Autorin das "darüber-Sprechen" und die auf diversen Medien basierende Fankultur. Ihre Studie zeigt, dass die damit verbundene Integration der Show ins alltägliche Leben tatsächlich relevant für die individuellen Identitätsprojekte der Heranwachsenden ist.

Der kreative Umgang der Jugendlichen mit Medien sei aber nicht unbedingt ein Grund für Euphorie. Denn gerade weil die Sendung so prägend ist, sollte man diese Form der Identitätsaneignung kritisch hinterfragen.
Kritische Reflexion gefragt
Das Format selbst stelle nämlich inhaltlich betrachtet keine ideale Identifikationsvorlage dar. In Wirklichkeit präsentiert die Show laut Roth-Ebner keine authentischen Charaktere, wie viele der jungen Zuschauer meinen, sondern ausschließlich "genormte Medienfiguren".

Das Starsein werde gleichzeitig als Ideal, aber auch als reale Lebensmöglichkeit vorgeführt, die Schattenseiten seien vielen der Jugendlichen gar nicht bewusst. Die vermittelten Werte orientierten sich zudem ausschließlich an neoliberalen Gesellschaftsentwürfen: Konkurrenz, Leistung und Selbstinszenierung stehen im Mittelpunkt.

Für die Autorin sind das genug Gründe, eine reflektierte Mediennutzung zu fördern. Derartige Shows bieten zwar einerseits viele mediale Anknüpfungspunkte für die Suche nach der eigenen Identität, aber ohne Anleitung sei es für viele Jugendlichen schwierig, die darin vermittelten Inhalte kritisch zu hinterfragen.

Eva Obermüller, science.ORF.at, 25.6.09
->   Caroline Roth-Ebner
->   Starmania.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010