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Orang-Utan: Unser Bruder aus Asien?  
  Zwei Biologen sorgen mit einer gewagten These für Aufsehen: Ihrer Ansicht nach ist nicht der Schimpanse unser nächster Verwandter, sondern der Orang-Utan. Fachkollegen halten das für Humbug.  
Ketzerische These
"Der dritte Schimpanse": So hat einst der US-amerikanische Forscher und Buchautor Jared Diamond den Menschen bezeichnet. Der Titel seines 1992 erschienen Buches verweist auf die allgemein akzeptierte Ansicht, Schimpansen und Bonobos seien unsere nächsten Verwandten im Tierreich. Der nächstliegende Ast auf dem Stammbaum ist diesem Bild zufolge für den Gorilla reserviert, dann erst folgen die asiatischen Primaten - Orang-Utans, Gibbons, Siamangs. Soweit die orthodoxe Sicht der Dinge, die in den letzte Jahrzehnten angesichts der überdeutlichen Faktenlage niemand bestreiten wollte.

Eine Ausnahme gibt es allerdings. Der US-amerikanische Anthropologe Jeffrey Schwartz stört den einstimmigen Chor seiner Fachkollegen, bereits 2005 behauptete er in dem Buch "The Red Ape. Orangutans and Human Origins": Alles falsch, nicht der Schimpanse sei des Menschen nächster Verwandte, sondern der rothaarige Menschenaffe aus Asien.
Totale Neuordnung
 
Bild: dpa/A3471 Boris Roessler

Nun hat Schwartz mit seinem Kollegen John Grehan im "Journal of Biogeography" (online) eine Arbeit vorgelegt, die die Häresie mit weiteren Fakten unterfüttern soll. Darin führen Schwartz und Grehan ins Treffen, dass Orang-Utan und Mensch - und nur sie - eine Reihe von neu erworbenen Eigenschaften teilen. Beispiele dafür sind etwa dicker Zahnschmelz, lange Haare und Bartwuchs, verborgener Eisprung, Paarung mit Blickkontakt, sowie die Fähigkeit, Behausungen und Betten zu bauen.

Bislang wurden diese Übereinstimmungen als Parallelentwicklungen gedeutet, aber Schwartz und Grehan sehen darin Zeichen einer gemeinsamen Abstammung. Konkret heißt das: Menschen und Orang-Utans könnten aus einer Spezies hervorgegangen sein, die vor 13 Millionen Jahren Ostafrika, Südeuropa sowie einen Korridor bis Südostasien bevölkert hat.

Später sie dieser Korridor zerfallen, die Urmenschen hätten sich aus der afrikanischen Population entwickelt, die Orang-Utans aus der ostasiatischen. Dass "Orang-Utan" im Malaiischen "Waldmensch" bedeutet, würde gut zu diesem Bild passen. In anthropologischer Hinsicht bliebe allerdings kein Stein auf dem anderen.
Knochen vs. DNA
Stammbäume und evolutionäre Szenarien müssten komplett neu gestaltet werden, und es ist auch keineswegs klar, wie die bekannten Spezies in dieses Modell einzupassen wären. Der 20 bis 14 Millionen Jahre alte Proconsul etwa, bislang als Vorfahren aller großen Menschenaffen eingestuft, müsste auch ein neues Plätzchen in der neu verfassten Evolutionsgeschichte bekommen. Aber so ein Platz ohne Widersprüche ist nicht in Sicht, seine Existenz eigentlich ein Störfall für das neue Modell, wie etwas Robin Crompton von der University of Liverpool betont.

Das größte Problem ist allerdings: Sämtliche DNA-Analysen widersprechen der Theorie. Der Mensch teilt mit dem Schimpansen 98,4 Prozent seines Erbguts, mit dem Gorilla deren 97,5 und mit dem Orang-Utan lediglich 96,5. Das bestreitet auch John Grehan nicht. Er meint, die genetischen Unterschiede ließen sich durch eine besonders flotte Evolution des Orang-Utans nach Abspaltung von der Hominidenlinie erklären.

Außerdem würden die nackten Zahlen wenig aussagen, denn DNA-Forscher könnten nicht zwischen alten und neuerworbenen Merkmalen unterscheiden, so wie es mit dem guten alten Studium von Fossilien, Körpern und Verhalten möglich sei, sagt Grehan - und stilisiert die Debatte damit zu einem "clash of methods", zu einer Diskussion über die Angemessenheit von morphologischen und molekularen Arbeitsweisen.
Keine Zustimmung
"Nonsense", lautet die Reaktion der Harvard-Biologin Maryellen Ruvolo im aktuellen "New Scientist", man könne auch mit Gen-Daten solche Unterscheidungen treffen. Ähnlich ihr Kollege, der Genetiker David Reich: "Die molekularen Daten sprechen mit überwältigender Mehrheit gegen die Annahme, dass der Orang-Utan unser nächster Verwandter ist." Positive Reaktionen zitiert der "New Scientist" keine, "alle von uns kontaktierten Experten lehnen die Hauptaussage der Arbeit ab", heißt es da in einem entsprechenden Editorial.

Dennoch sei es gut, dass die kontroversielle These veröffentlicht wurde, denn: "Was der Mainstream als falsch ansieht, kann sich später als durchaus richtig herausstellen." Sollte das der Fall sein, wird vielleicht auch wieder Jared Diamond ein Buch über den Menschen und seinen nächsten Verwandten schreiben. Als Titel böte sich an: "Der zweite Orang-Utan."

Robert Czepel, science.ORF.at, 19.6.09
->   Jeffrey Schwartz
->   John Grehan
->   New Scientist
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01.01.2010