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Kampf ums Dasein: Die Dungfliegen-Story  
  Schwächliche Dungfliegen haben ein hartes Leben. Die überlegenen Konkurrenten gönnen ihnen weder ein eigenes Heim noch eine Fliegenfrau. Eine Studie zeigt nun, wie sie dennoch überleben.  
Konkurrenz ohne Gnade
Für uns sind Kuhfladen bloß Ausscheidungen von Wiederkäuern, aber für die Gelbe Dungfliege, Scathophaga stercoraria, sind sie zumindest dreierlei: Kinderstube, Speisekammer und Liebesnest. Dungfliegenweibchen legen nämlich ihre Eier in die dampfenden Darmprodukte, wo sich die Larven bis zur Adultform entwickeln. Frischer Kot ist überdies der Dungfliege liebste Mahlzeit, und nicht zuletzt dient die gemeine Flade auch als Plattform der Partnerfindung inklusive anschließender Begattung.

Kurzum: Die Flade ist der zentrale Schauplatz im Leben der Kotfliege, kein Wunder also, dass dort auch die Selektion recht wundersame Blüten treibt. Konkret ist damit die unerbittliche Konkurrenz zwischen den Männchen gemeint, die, wie der US-Biologe Scott Pitnick in den "Proceedings of the Royal Society B" (Abstract, sobald online) berichtet, die Fliegengesellschaft in zwei Klassen teilt.

Da gibt es zum einen die großen, aggressiven und starken Männchen, die alles abräumen, was es abzuräumen gibt. Sie sichern sich die attraktivsten Fladen, attackieren etwaige Nebenbuhler, sofern sie nur in Erwägung ziehen, sich dort ebenfalls niederzulassen. Und sie kopulieren auch mit deutlich mehr Weibchen, sei es nun während eines ihrer häufigen Erkundungsflüge oder auf der angestammten Heimflade.
Der Matthäus-Effekt
 
Bild: Luc Viatour

Scathophaga stercoraria; (Bild: Luc Viatour)

Die anderen, eher minderbemittelten Männchen müssen indessen nehmen, was kommt. Aber selbst ihrer seltenen Eroberungen können sie sich nicht sicher sein. Werden sie von einem überlegenen Konkurrenten bei einem Tête-à-tête erwischt, schnappt der ihnen auch diese Partnerin weg. Würden Dungfliegen Bibelstellen zitieren, dann wohl diesen Satz aus dem Matthäus-Evangelium (25,29): "Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, dass er Fülle habe; wer aber nicht hat, von dem wird auch genommen, was er hat."
Erholung im Kompost
Angesichts dieser Schieflage hat der Brite Geoffrey Parker bereits 1978 die Vermutung geäußert, dass die schwächeren Männchen irgendeine Alternativstrategie in petto haben müssten, um den permanenten Niederlagen auszuweichen. Nun, mehr als 30 Jahre später, kann auch dieses letzte Rätsel der Dungfliegenforschung beantwortet werden: Parker hatte recht, die unterlegenen Fliegen gründen abseits der begehrten Kotfladen einen Club der Verlierer, frei nach dem Motto: "Besser der erste in der Provinz als der letzte in Rom".

Wie Scott Pitnick von der Syracuse University herausgefunden hat, besteht die Provinz in der Lebenswelt von Dungfliegen vornehmlich aus Obstkompost. Er hat mit seinen Studenten bei einem nahe der Universität gelegenen landwirtschaftlichen Betrieb entdeckt, dass sich körperlich schwache Fliegenmännchen auf den aufgetürmten Resten ausgepresster Äpfel treffen - und ihnen gar nicht so wenige Weibchen dorthin folgen.

Pitnick gibt allerdings zu bedenken, dass die Parker'sche Hypothese erst dann als bestätigt anzusehen sei, wenn man ähnliche Ausweichquartiere in natürlichen Lebensräumen gefunden habe. Denn: Kuhfladen kennt die Evolution der Fliege schon deutlich länger als Apfelsaftpressen.

Robert Czepel, science.ORF.at, 24.6.09
->   Scott Pitnick
->   Geoffrey Parker
->   Gelbe Dungfliege - Wikipedia
 
 
 
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01.01.2010