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Konferenz: Wie Nationen Stasi-Akten aufarbeiten  
  In sämtlichen Ländern des ehemaligen Ostblocks befinden sich umfangreiche Akten der Staatssicherheit. Die Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit geschieht jedoch höchst unterschiedlich.  
Das zeigt die Berliner Konferenz "Was sollen unsere Kinder wissen?". Am Rande der Veranstaltung stellten Journalisten die Situation in ihren Heimatländern bei einer Podiumsdiskussion vor. Ein Überblick.
Polen, Tschechien: Möglicher Missbrauch
"Ich glaube, die Frage der Akteneinsicht ist zu Ende", sagte etwa die Krakauer Journalistin Patrycja Bukalska. "Die Leute sind müde von dem Thema." In Polen bestehe die Befürchtung, Politiker könnten die Aktensammlung missbrauchen.

Ihr tschechischer Kollege Ludek Navara bedauerte, dass in seinem Heimatland das sogenannte Lustrationsgesetz, das den Eintritt in öffentliche Organisationen regle, zu Dokumentenfälschung missbraucht worden sei und es auch keine Sanktionen enthalte für Personen, die als Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes enttarnt würden.

Frühzeitig habe aber bereits eine "Jagd auf Namen" eingesetzt, sei mit dem Finger auf Menschen gezeigt worden, bevor man etwas über die Täter von damals erfahren konnte. "Ich bin überzeugt, dass wir da durch mussten, aber nicht, dass es so lange dauern musste", sagte Navara. Heute seien die Chancen wesentlich größer die Vergangenheit aufzuarbeiten, allerdings sei es jetzt nicht mehr so wichtig, wer auf welcher Seite gestanden sei.
Ukraine: Späte Aufarbeitung
In der Ukraine habe die Beschäftigung mit Unterlagen der Staatssicherheit erst in den letzten Jahren begonnen, sagte der ukrainische Journalist Juri Durkot. Es gebe auch keinen Ausdruck für das Wort "Aufarbeitung". "Anfangs war das Institut eine lahme Ente, heute bezeichnet man es als dritten Arm der Regierung", sagte er.

Die Akten befänden sich in geringerer Stückzahl dort als vielmehr beim Geheimdienst, der eine eigene wissenschaftliche Organisation zur Aufarbeitung seiner Vorgängerorganisation geschaffen habe. Auf 800.000 Akten wird der Umfang geschätzt, allerdings dürfte ein erheblicher Anteil 1991 nach Moskau geschafft worden sein. Angeblich sei geplant, die Akten im Internet zu veröffentlichen, sagte Durkot.
Rumänien: Asylanträge der Securitate
Auch erst zehn Jahre nach der Wende sei in Rumänien eine Behörde für die Geheimdienstakten gegründet worden, erzählte der Schriftsteller Richard Wagner. Das habe dazu geführt, dass die Angehörigen der Securitate inzwischen in Politik, Wirtschaft und wieder im Geheimdienst haben unterschlüpfen können.

Laut Amnesty International würden verstärkt Securitate-Mitarbeiter Asylansuchen stellen, mit dem Argument, ihnen drohe die Todesstrafe. Dennoch: "Die Behörde arbeitet den Umständen entsprechend gut", konstatierte Wagner.
Bulgarien: Zugang eingefroren
"Es ist niemals zu spät, Akten zu öffnen", sagte der bulgarische Journalist Hristo Hristov. Ein erstes Gesetz über Sicherheitsdienst-Akten in seinem Land sei 1997 beschlossen worden. Wenige Jahre später sei der Zugang eingefroren worden, jetzt sei dies wieder möglich. "Das Interesse an den Akten hat nie aufgehört", sagte Hristov.

Im damals der Sowjetunion treu ergebenen Bulgarien habe der sowjetische KGB sogar zwei Vertretungen, in Sofia und Varna, unterhalten. Im aus dem Ostblock ausgescherten Rumänien hingegen soll es eine eigene Abteilung der Securitate gegeben haben, die den KGB untersuchte, ob er die rumänische Gesellschaft zu infiltrieren versuche, erzählte Wagner.
Deutschland: Historische Kontinuität
Die Leiterin der deutschen Stasi-Unterlagenbehörde, Marianne Birthler, sagte, auf der Tagung sei hauptsächlich darüber gesprochen worden, wie die Unterlagen an die kommenden Generationen weitergegeben werden sollten.

In Wien oder Paris habe man vielleicht gemeint, "das war irgendwo hinter dem Ural, aber es war im Herzen Europas", so Birthler. "Ich glaube, dass Europa nur zusammen wachsen kann, wenn das als Teil der Geschichte Europas wahrgenommen wird."

[science.ORF.at/dpa, 24.6.09]
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01.01.2010