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Romni feiert Uni-Abschluss in Wien  
  Die Universität Wien hat am Donnerstag eine seltene Stunde erlebt: Iovanca Gaspar wurde zur Soziologin "ernannt" - sie ist eines der ersten Mitglieder der Roma-Volksgruppe Österreichs mit Hochschulabschluss.  
Schon zuvor hatte es einige wenige Uniabsolventinnen der Volksgruppe gegeben, wie der Kulturverein Österreichischer Roma gegenüber science.ORF.at erklärte.
Klassenbeste, obwohl "Zigeuner"
Durchgeboxt hat Iovanca Gaspar sich von Anfang an. Schon das Geburtsdatum, der 1. Jänner 1967, verrät einen gewissen Sturschädel. Und den hatte Gaspar auch bitter nötig. Aufgewachsen in dem kleinen rumänischen Dorf Pojejena, das nicht nur an der Donau sondern auch an der Grenze zu Serbien liegt, wurde ihr bald klargemacht, was es bedeutet, ein "Zigeuner" zu sein und in der Schule schlechtere Noten zu bekommen als die "Gadje", die Weißen - obwohl sie stets die Klassenbeste war.

Wie selbstverständlich wuchs die kleine Iovanca dreisprachig auf, lernte wie verrückt, ließ keine Hausübung sausen - und wurde von den Lehrern dennoch behandelt, als wäre sie Ausschussware. "Ich kann mich erinnern, ich war acht. Sie haben vor mir über mich gesprochen, weil sie glaubten, ich verstehe kein serbisch."

Ihrem Sitznachbarn wurden trotz offenkundiger Gedächtnislücken die Noten raufgesetzt, während bei ihr akribisch nach kleinsten Fehlern gesucht wurde, um sie nur ja mit einem "Minus" zu bestrafen. "Ich bin heimgerannt und hab fürchterlich geweint. Nie wieder wollte ich in die Schule gehen."
"Nicht so schnell aufgeben"
Doch ihr Vater, den Gaspar immer wieder ins Spiel bringt, wenn es um ihren Erfolg geht, hat sie aufgebaut, stark gemacht. "Nicht so schnell aufgeben" wurde schnell zum Motto des Mädchens.

"Viele schaffen das aber nicht und rebellieren gegen all diese Ungerechtigkeiten. Sie denken sich: Sollen sie mich doch gern haben, ich bin doch eh nicht gut genug, egal was ich anstelle."

Dies mag einer der Gründe dafür sein, dass heute in Osteuropa Millionen von Roma als geächtete Analphabeten in desolaten Barackensiedlungen und Ghettos dahinvegetieren. "In rumänischen Wörterbüchern wird der Begriff 'schmutzig' mit 'cigani', also Zigeuner, übersetzt."
Seit 13 Jahren in Wien
Iovanca Gaspar hat nicht resigniert. Sie hat gekämpft. Und gewonnen. Bald nach der Matura lernte sie ihren Mann kennen. Als Fußballprofi hatte er seine ganz eigenen Erfahrungen gemacht, wie es sich anfühlt, wenn man als Rom in einer gänzlich "weißen" Welt des Leistungssports Fuß fassen möchte. Dann kam Adrian zur Welt, ihr Sohn, dessen musikalische Begabung sich schon im Kindesalter zeigte.

1996 war das Jahr der Entscheidung. Für Adrian gab es nämlich in Rumänien keine Möglichkeit, sein Talent zu fördern. Es folgten harte Zeiten für Familie Gaspar: Haus verkaufen, Sachen packen, Abschied nehmen vom bisherigen Leben, viel Geld für Visa hinblättern - und die Reise ins Ungewisse antreten.

13 Jahre sind seither vergangen, in denen Iovanca Gaspar langsam zu einer Wiener Romni wurde. Die Community der Bundeshauptstadt kennt sie ausgezeichnet, sie weiß um die Sorgen und Bedürfnisse der fast 50.000 Menschen, schließlich ist sie bei der Magistratsabteilung 17 für "Integrations-und Diversitätsangelegenheiten" zuständig.
NGO's als Lösung?
Doch Gaspar's Gedanken sind auch bei all den anderen Roma in der Slowakei, in Ungarn, in Rumänien, Bulgarien, am Balkan. Sie ist überzeugt: Nur, wenn die wenigen reichen Roma ein soziales Gewissen entwickeln, kann den vielen armen Roma geholfen werden.

"Es muss halt einmal einer anfangen, dann wird das schon." Die intelligentesten unter ihnen, sagt sie, seien in die Politik gegangen. "Sie haben gut angefangen, wollten etwas bewegen, verändern - doch jetzt sind sie korrupt und niemand vertraut ihnen mehr. Das ist sehr schade."

Hilfe untereinander gebe es ja, nur eben keine dauerhafte. Soziale Organisationen, NGOs, gegründet von Roma, das wäre die Lösung, da ist sie sich ganz sicher.
Diplomarbeit: "Der Schlüssel zur Integration"
Vorerst aber darf Iovanca Gaspar im Kreis ihrer Familie und Freunde feiern. "Der Schlüssel zur Integration" lautet der Titel ihrer Diplomarbeit, die vom bekannten Soziologen Roland Girtler betreut wurde, der sowohl vom Thema als auch vom Endprodukt rundum begeistert war.

Das 110 Seiten starke Manuskript sei ein optimaler Leitfaden für ihren Arbeitgeber, die Stadt Wien. Man darf also gespannt sein, mit wie viel Aufmerksamkeit ihre Vorgesetzten das Werk lesen.

Andreas Tröscher/APA, 25.6.09
->   Universität Wien
->   Kulturverein Österreichischer Roma
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01.01.2010