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Gene: Vom Schlechten des Guten  
  Das Konzept der "guten Gene" spielt eine zentrale Rolle in der Evolutionsbiologie. Versuche mit Käfern zeigen jedoch: Gute Fitnesswerte können in manchen Situationen auch schlecht sein - und umgekehrt.  
Schuldenmachen verboten
Warum paaren sich Weibchen mit mehreren Männchen, wenn doch in den meisten Fällen ein Sexualpartner für die Befruchtung ausreichen würde? In Bezug auf den Menschen würde man diese Frage wohl so nicht stellen, aber bei einfacheren Lebewesen, Käfern etwa, sehr wohl. In der Evolutionsbiologie wird Verhalten - so wie alle anderen Merkmale auch - in eine imaginäre Buchhaltung eingetragen, die keine langfristigen Schulden erlaubt. Sprich: Wo Kosten entstehen, muss es auch einen evolutionären Nutzen geben.

Nun verursacht die Suche nach Sexualpartnern sehr wohl Kosten, sie braucht Zeit und Energie und ist unter Umständen sogar mit Risiken verbunden, beispielsweise der Übertragung von Geschlechtskrankheiten. Nachdem menschliche (Begründungs-)Kategorien wie Spaß oder Lust für die meisten Tiere eher nicht gelten, bleibt eben nur mehr der buchhalterische Ansatz.
Geschenke oder gute Gene
 
Bild: Fleur Champion de Crespigny

Samenkäfer beim Liebespiel - links das Männchen, rechts das Weibchen.

Also: Warum gibt es im Tierreich promiske Weibchen? Antwort Nummer eins lautetet: Weil sie von ihnen Geschenke erhalten. Glühwürmchen der Art Photinus ignitus überreichen ihren Partnerinnen in spe ein Lunchpaket mit lebenswichtigen Aminosäuren bevor sich die beiden näher kommen, ähnliches gibt es auch bei Heuschrecken und Tanzfliegen. Im Fall des Samenkäfers Callosobruchus maculatus (Bild oben) gilt diese Argumentation jedoch nicht, wie die dänische Biologin Trine Bilde im Fachblatt "Science" ( Bd. 324, S. 1705) berichtet.

Die Weibchen dieser Art pflegen zwar ebenfalls regelmäßigen Partnerwechsel, außer Sex bekommen sie aber nichts von den Männchen. Hier kam bis jetzt Antwort Nummer zwei zum Einsatz, die da lautet: Sich mit mehreren Männchen zu paaren muss genetische Vorteile haben, ein Weibchen kann auf diese Weise eben den tauglichsten, fittesten ihrer Verehrer auswählen. Viele Tierarten haben zu diesem Behufe eine Samentasche entwickelt, um die Spermien vor der Befruchtung zunächst mal in die Warteschleife zu schicken, falls ein noch attraktiverer Kandidat auftaucht.
Widersprüchliche Anpassungen
Eine weitere Möglichkeit ist, dass die verschiedenen Spermien im Körper des Weibchens eine Art Wettrennen veranstalten. Implizite Annahme dabei war bislang: Die fittesten Spermien stammen auch vom fittesten Kandidaten, der wiederum die fittesten Kinder und Enkel zeugt. Nur ist das Konzept der "guten Gene" leider nicht immer so einfach gestrickt, wie Trine Bilde herausgefunden hat. Sie hat bei Samenkäfern zunächst die Güte der Gene durch einfache Paarungen bestimmt und dann eine zweite Begattungsrunde mit Partnertausch durchgeführt.

Das überraschende Resultat: Diejenigen Männchen, die in Runde eins besonders viele Nachkommen gezeugt hatten, rangierten in Runde zwei unter ferner liefen. Sie hatten zwar die besseren Gene, aber ihre Spermien waren offenbar gegen jene ihrer weniger fitten Konkurrenten chancenlos. Das zeigt, dass Anpassungen nicht immer gleichsinnig verlaufen müssen. Zumindest bei Samenkäfern gilt die Regel: Entweder man hat konkurrenzstarke Spermien oder man ist selbst besonders fit, beides zugleich ist nicht zu haben.
Kompromissbereite Käfer
Bilde hat sich nach der zweiten Paarungsrunde auch die Fitness der Enkelinnen angesehen und ähnliche Gegensätze entdeckt. Offenbar könne Gene, die für Männchen gut sind, bei Weibchen negative Effekte haben - der umgekehrte Fall ist natürlich ebenso möglich. Damit ist allerdings wieder unklar, warum Weibchen dennoch Partnerwechsel betreiben.

Wie Trine Bilde im Gespräch mit science.ORF.at erläutert, gibt es hier offenbar einen Konflikt. "Ich glaube, die Weibchen sind einfach deswegen promisk, weil die Männchen nicht aufhören, sie zu umwerben. Aber die Optima ihrer Paarungsraten sind unterschiedlich." Etwas weniger wissenschaftlich ausgedrückt: Männchen wollen viele Paarungen, Weibchen eher wenige. Was am Ende herauskommt, ist ein Kompromiss.

[science.ORF.at, 26.6.09]
->   Trine Bilde
->   Samenkäfer - Wikipedia
 
 
 
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01.01.2010