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"Da hat die Natur Sicherheitsmaßnahmen eingebaut"
Salzburger Strukturbiologie Brandstetter im Interview
 
  Wenn wir an einer chronischen Krankheit leiden, kann es daran liegen, dass die Form unserer Proteine nicht ganz so ist, wie sie sein sollte. Der Salzburger Strukturbiologe Johann Brandstetter untersucht, wie sich schadhafte Proteine reparieren lassen. Im Interview erklärt er, warum Enzyme sich manchmal wie Pferd und Jockey verhalten und warum es lange dauert, bis die Wissenschaft von Grundlagen zu einer Anwendung kommt.  
Bild: Privat
Johann Brandstetter
Sie leiten eine Arbeitsgruppe zu Strukturbiologie. Worum geht es da?

Brandstetter: Wir untersuchen die Wirkweise von Proteasen. Das sind Enzyme, also Proteine, die andere Proteine gezielt zuschneiden. Wir schauen uns den genauen Bauplan, die Struktur dieser Proteine, an und versuchen daraus die Wirkweise abzuleiten.

Damit lässt sich das Entstehen von Krankheiten untersuchen. Welche erforschen Sie?

Einen Schwerpunkt unserer Arbeit bilden Proteine in der Blutgerinnung: Enzyme, die eine Blutung wieder stoppen. Andererseits soll keine spontane Blutung an der falschen Stelle auftreten. Eine Blutung, die spontan an einer ungünstigen Stelle auftritt, ist schlecht - auch eine ungewollte Gerinselbildung. Das wäre ja dann eine Thrombose. Deswegen untersuchen wir dieses Gleichgewicht der Blutgerinnung im Detail.

Wie wirkt sich da die Struktur der Proteine aus?

Die Blutgerinnung ist ein Gleichgewichtsprozess. Sie ist etwas, was jeder braucht, aber eben in der richtigen Dosis. Krankheiten treten dann auf, wenn dieses delikate Gleichgewicht verschoben ist - in die eine oder andere Richtung. Wie es dazu kommt, erklärt uns die Struktur der Proteine, die im Einzelfall geringfügig gestört ist. Die molekularen Erkennungsprozesse, die an der Blutgerinnung beteiligt sind, laufen dann nicht optimal ab. Bei einem Risikopatienten für Thrombose, kann man mit Hilfe der Struktur diese molekulare Erkennung gezielt beeinflussen. Dazu muss man aber wissen, wie diese Mechanismen im Detail aussehen. Da ist die Strukturinformation unerlässlich.
Wie kann man sich die Struktur von Proteinen vorstellen?

Ich vergleiche das oft mit der Situation, wenn man ein Kabel an der Rückseite eines Fernsehers einstecken will. Man weiß nicht, wie man das Kabel halten muss, damit man wirklich hineinfindet. Wenn man den Fernseher vor zieht und sieht, wie die Polung aussieht, dann weiß man, wie man das Kabel orientieren muss. Das beschreibt treffend, was uns die Strukturinformation liefert: Wir sehen, wie das Reaktionszentrum eines Enzyms aussieht, welche Erkennungstaschen hier vorliegen. Die Taschen sind in einem bestimmten räumlichen Muster angeordnet. Wenn man weiß, wo und in welchem Abstand sie sich befinden, kann man sie gezielt adressieren. Sonst ist es eine Stecknadel-im-Heuhaufen-Suche.

Was heißt das am Beispiel der Blutgerinnung?

Sie muss extrem gut reguliert sein, weil sie in jeder Hinsicht kritisch ist. Da hat die Natur Sicherheitsmaßnahmen eingebaut. Die Reaktion kann nur nach einem Vier-Augen-Prinzip ablaufen: Ein Protein allein hat nicht die Erlaubnis, sie durchzuführen. Es braucht immer die Gegenwart von mindestens einem zweiten - einem Kofaktorprotein. Wie dieses Prinzip abläuft, ist erst durch die Struktur klar geworden. Ein Enzym könnte zwar die Reaktion durchführen, es ist aber sozusagen zu nervös, zu wabbelig. Das erste Enzym ist wie ein Pferd, das springen könnte. Der Kofaktor wirkt wie ein Jockey, der dem Pferd im richtigen Moment die Sporen gibt, damit es über die Hürde springt und nicht verweigert.
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Serie Alpbach
Von 27. bis 29. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1 Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet "Vertrauen in der Krise - Zukunft gestalten". Dazu diskutieren Minister, Nobelpreisträger und internationale Experten.

In den nächsten Wochen werden in science.ORF.at regelmäßig Interviews mit den bei den Technologiegesprächen vortragenden oder moderierenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erscheinen.
->    Alpbacher Technologiegespräche
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Wie lässt sich die Krankheit mit diesem Wissen bekämpfen?

Da sind zwei Proteine die man beide gleichzeitig braucht: den Gerinnungsfaktor VIII und IX. Bei hämophilen Patienten funktioniert einer der beiden nicht. Weil wir verstehen, wie die Proteine zusammenspielen, könnten wir Patienten einen passgenauen Ersatz geben. Man kann ein fehlerhaftes Protein durch ein künstliches ersetzen. Ein fertiges Produkt haben wir noch nicht, aber das ist das langfristige Ziel. Es gibt schon Prototypen, die wir in einem Tiermodell testen. Derzeit spritzt man ein "gesundes" Protein alle ein bis zwei Tage intravenös. Statt dieser klassischen Therapie könnte man ein künstliches Protein spritzen, das das Defizit besser kompensiert, das speziell auf den Patienten eingeht - ein personalisiertes Medikament sozusagen. Oft liegen die Defizite aber nur in Kleinigkeiten. Man müsste gar nicht ein ganzes Protein hinzugeben, sondern nur einen Teil.

Welche Vorteile hat das?

Solche Bruchstücke muss man nicht spritzen. Die kann man in Tablettenform oder über Lungensprays nehmen. Eine weitere Möglichkeit, ist ein gentechnologischer Ansatz. Man würde die Genbasis in den Körper einschleusen und ihn anregen, selbst das korrekte Protein zu bauen. Das wäre eine dauerhafte Heilung, birgt aber auch erhebliche Risiken. Darum wird sich das in naher Zukunft nicht durchsetzen. Längerfristig ist das aber ein interessanter Ansatz.
Wie lange dauert es, bis man eine Therapie oder ein Medikament findet?

Es dauert fünf bis zehn Jahre, bis man eine Entwicklung in der Klinik verfügbar hat. In unserer Gruppe führen wir die Experimente im Reagenzglas durch. Diese Arbeiten dauern typischerweise ein bis zwei Jahre. Dann folgt die Übertragung in ein Tiermodell - das dauert wiederum Jahre und liefert Ergebnisse, die von uns wieder in einem weiteren Optimierungszyklus aufgegriffen werden. Bis zur Anwendung beim Menschen gehen nochmal Jahre einher. So ein Prozess kann auch am Schluss noch abbrechen und sich als nicht erfolgreich erweisen. Wir freuen uns, wenn etwas anwendbar wird, aber identifizieren den Erfolg unserer Arbeit nicht damit, ob ein entdecktes Wirkprinzip wirklich zur klinischen Anwendung kommt. Es muss dieses grundlegende Verständnis aufgebaut werden - ob wir das dann umsetzen oder andere Gruppen. Wichtig ist, dass wir Wirkprinzipien entdecken. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, von vorne bis in die Apotheke hinein einen Prozess zu etablieren. Wir versuchen, solche angewandten Aspekte weiterzuverfolgen, aber das ist nur ein Teil unserer Arbeit.

Was bedeutet für Ihre Arbeit translationale Forschung - also schneller von den Grundlagen zur Anwendung zu kommen?

Translationale Forschung heißt für mich, dass man das Bewusstsein schärft, an Anwendungen zu denken und diese aktiv aufzugreifen. Das ist der positive Aspekt. Andererseits ist der Begriff für mich ein Modebegriff. Innovation ist nicht planbar, sonst wäre es keine Innovation. Und das wird mit translationaler Forschung suggeriert - man müsse nach einem Generalsstabsplan forschen, man steckt vorne etwas rein und hinten kommen Ergebnisse heraus. Das hat mit vielen Bereichen der realen Forschung nichts zu tun. Da wird eine Illusion gepflegt und kultiviert. Ich sehe das zweischneidig.
Das klingt ziemlich kritisch.

Ich anerkenne, dass besonders in der akademischen Forschung das Bewusstsein noch geschärft werden könnte. Aber auch die industrielle Seite sollte die Anknüpfung stärker suchen. Wir können nicht nach Plan auf Knopfdruck in einem simplen Prozess arbeiten. Tagtäglich erleben wir irgendwelche Überraschungen. Translationale Forschung suggeriert, dass man es nur übersetzen muss. So einfach ist es nicht. Da ist schon viel an Ausprobieren und Herausfinden dabei. Man braucht die Intuition, die Begeisterung, das Engagement des einzelnen Wissenschaftlers in der Grundlagen-, aber auch in der angewandten Forschung.

Interview: Mark Hammer, science.ORF.at, 6.7.2009
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Zur Person:
Johann Brandstetter leitet die Forschungsgruppe für Strukturbiologie im Fachbereich für Molekulare Biologie an der Universität Salzburg. Er moderiert den Arbeitskreis zum Thema bio(techno-)logische Forschung bei den Technologiegesprächen 2009 beim Europäischen Forum Alpbach.
->   Forschungsgruppe für Strukturbiologie
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01.01.2010