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Stammzellen entwickeln sich "fast von selbst"  
  Durchbrüche im Monatstakt - in kaum einer Disziplin geht es so rasant voran wie in der Stammzellenforschung. Jüngste Erkenntnis: Entwicklungsfähige Stammzellen bilden sich in der Kulturschale offenbar ganz von selbst.  
Quasi embryonaler Zustand
"Viel Platz und genügend Zeit." Mehr brauche es nicht, sagt Hans Schöler, damit pluripotente Stammzellen in der Kulturschale entstehen. Der Direktor des Max-Planck-Instituts für molekulare Biomedizin in Münster berichtet im Fachblatt "Cell Stem Cell" (Bd. 5, S. 87) wieder einmal von einem Erfolg an der Forschungsfront. Diesmal geht es um Stammzellen aus Mäusehoden, die er mit seinen Mitarbeitern in einen quasi-embryonalen Zustand zurückversetzt hat.

Also zu Zellen, die sich in alle möglichen Gewebe entwickeln können und sich daher in (weiter) Zukunft für diverse Anwendungen anbieten: die medizinische Grundlagenforschung, Medikamenten-Screenings, toxikologische Tests und nicht zuletzt für die Herstellung künstlicher Organe.
Yamanaka und die Folgen
Schölers Beitrag ist der letzte in einer Reihe aufsehenerregender Arbeiten, die im August 2006 ihren Anfang nahm. Damals zeigte der Japaner Shinya Yamanaka, dass man Stammzellen mit voller Entwicklungspotenz nicht notgedrungen aus Embryonen gewinnen muss, sondern sie beispielswesie aus Bindegewebe herstellen kann (Cell, Bd. 126, S. 663).

Das war ein bedeutender Fortschritt. Nicht primär deswegen, weil die neue Methode die Zerstörung von Embryonen umgeht, die mitunter aus religiösen Motiven kritisiert wird. Sondern weil dadurch pluripotente (= fast beliebig entwicklungsfähige) Stammzellen quasi am Fließband hergestellt werden könnten, ohne dass belastende Eingriffe an Spenderinnen notwendig wären, wie noch bei den Stammzellen aus Embryonen.

Das Problem an der Methode war allerdings: Yamanka erreichte die Rückprogrammierung der Zellen durch Einschleusung von vier Genen (namens Oct3/4, Sox2, Klf4 und c-Myc), die zum Teil krebserregend sind. Das ist für therapeutische Zwecke nicht gerade ideal, zumal auch Viren als Genfähren benutzt wurden, die ebenfalls für die Anwendung am Menschen nicht in Frage kommen.
Reprogrammierung ohne Gene
So stellte sich seit August 2006 die Frage: Kann man den neuen Zelltypus, offiziell "induzierte pluripotente Stammzellen" (iPS) genannt, ohne Viren und Krebsgene herstellen? Die Antwort lautet Ja. Und die Zahl der Alternativen ist offenbar größer als gedacht. Zuerst wurden die vier Gene stückweise ersetzt, dann zeigten Forscher, dass die Angelegenheit auch mit Viren funktioniert, die sich nicht in das Erbgut der Empfängerzellen einpflanzen. Zuletzt verzichteten Forscher völlig auf Viren und Gene und verwendeten nur mehr mit Proteine, um die begehrten iPS herzustellen.

Nun zeigt das Team um Max Schöler: Man braucht nur Zeit und ein passendes Nährmedium, dann tun zumindest manche Zellen ganz von selbst, was sich das Forscherherz wünscht. Die Entdeckung war, wie so oft in der Wissenschaft, Zufall. "Jedes Mal, wenn wir ungefähr 8.000 Zellen in die einzelnen Gefäße der Zellkultur-Platten gefüllt hatten, haben sich einige der Zellen nach zwei Wochen selbst reprogrammiert", erzählt einer der Co-Autoren der Studie, Kinarm Ko.

Die Schöler'schen Stammzellen sind allerdings keine "induzierte pluripotenten Stammzellen" (iPS), sondern Abkömmlinge von Keimzellen im Mäusehoden, die die Forscher gPS-Zellen nennen ("germline-derived pluripotent stem cells"). Die sperrigen Begriffe wären an sich nicht so wichtig, wenn damit nicht auch gewichtige Unterschiede bei möglichen Anwendungen am Menschen verbunden wären.

Etwa in Bezug auf die Gewinnung des Ausgangsmaterials: Zu einer Spende von Hautzellen wird sich wohl jeder bereit erklären, bei Hodenzellen nicht unbedingt. Dennoch wollen die deutschen Forscher die Versuche als nächstes auch mit menschlichen Zellen wiederholen, denn: Körperzellen aus Keimbahnzellen herzustellen "ist deswegen so interessant, weil sie fast keine Erbgutschäden tragen", so Schöler kürzlich gegenüber der dpa.
Kleine Moleküle, große Wirkung
In Bezug auf die zweite Schiene, den zu iPS rückprogrammierten Körperzellen, formuliert Köhler ein Hauptziel: "Wir wollen nur mit einem Substanz-Cocktail auskommen." Was genau dieser Cocktail enthalten wird, ist unbekannt. Sicher ist nur: Die enthaltenen Substanzen sollen eine ähnliche Wirkung wie die vier Yamanaka-Gene haben, aber sie müssen ungefährlich sein.

Solche Substanzen kennt man bereits, sie werden aufgrund ihrer Kleinheit schlicht "small molecules" genannt. "Pluripotin" ist etwa so ein Molekül, "Reversin" heißt ein anderes. Beide sind relativ simple, stickstoffhaltige Kohlenwasserstoffe, die, so hofft man, in Verbindung mit anderen Substanzen wahre Wunderdinge bewirken sollen. Mit Berichten von neuen Cocktail-Rezepturen ist im Monatstakt zu rechnen.

Robert Czepel, science.ORF.at, 3.7.09
->   Hans Schöler
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Radio-Hinweis
Die Stammzellenforschung von Hans Schöler steht auch im Mittelpunkt der Ö1 Dimensionen am Montag, den 13.7, 19.05 Uhr Radio Österreich 1.
->   Mehr dazu in oe1.ORF.at
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01.01.2010