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Expedition ins Eis  
  Seit der Öffnung Russlands bietet das Arktis-Antarktis-Museum in St. Petersburg ein besonderes Service an. Die Mitarbeiter sind als "Expeditions-Manager" tätig. Sie organisieren für wissenschaftliche Zwecke Expeditionen ins ewige Eis und gewinnen so interessante Fundstücke für das Museum.  
Von St. Petersburg in die Arktis

Für Alexei Blinov ist die nächste Expedition vermutlich schon die 25. Ganz genau weiß er das nicht. Für ihn gehört es schon zur Routine, die Logistik für eine Truppe von Wissenschaftlern zusammenzustellen: alles für das Camp, das Essen und die Gruppe vorzubereiten. Er ist gerade dabei, eine große Expedition nach Zhokhov Island zur organisieren.

Von seinem kleinen, verwinkelten Büro aus, das direkt über den Ausstellungsräumen des Arktis-Antarktis-Museums in St. Petersburg liegt. Drei Monate wird die Expedition unterwegs sein, 43 Teilnehmer werden sie begleiten. "Es ist eine archäologische Expedition. Zhokhov-Island ist ein sehr interessanter Ort, denn dort wurde Material gefunden, das acht bis 12.000 Jahre alt ist. Damals war es noch keine Insel, sondern Teil einer Halbinsel und sie war bewohnt."
Unwirtliches Zhokov Island
Heute ist Zhokov Island eine kleine Insel, 11 Kilometer von Norden nach Süden und neun Kilometer breit. Es ist eine von fünf Inseln des De Long Archipelago in der Gruppe der Novosibirsk Islands. Die Insel liegt auf 76 Grad nördlicher Breite. "Dort herrschen jetzt sehr strenge Bedingungen. Der Sommer dauert nur ein Monat lang. Und die Vegetation ist sehr spärlich - zwischen Tundra und arktischer Wüste - aber noch vor 10.000 Jahren war es ein Ort, der normales Leben ermöglichte."
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Arktis und Antarktis-Museum in St. Petersburg
Das staatliche Arktis und Antarktis-Museum in St. Petersburg ist das einzige Museum der Welt, das sich der Entdeckung und Erforschung sowohl des Nord- als auch des Südpols widmet. Es wurde in den 30iger Jahren zur Dokumentation der russischen Polar-Forschung gegründet. In den 60iger Jahren, als die Russen auch die Antarktis zu erforschen begannen, wurde es erweitert. Das Museum besitzt mehr als 75.000 Ausstellungsstücke - dank der Begleitung laufender Exkursionen werden es immer mehr.
->   Das Museum
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Handwerkliche Fähigkeiten der Ureinwohner

Die Wissenschaftler haben eine Menge zu analysieren: eine Schöpfkelle, die aus Treibholz gemacht wurde. Eine gut erhaltene Vogelfeder von einem Pfeil. Ein Eispickel, der aus dem Splitter eines Mammut-Stoßzahns gemacht wurde. Der Maulkorb eines Hundeschlittens, der heutigen sehr ähnlich sieht. Diese Funde zeigen, dass die Bewohner ausgebildete handwerkliche Fähigkeiten hatten.

Umso rätselhafter ist es, warum sie sich so weit nördlich ansiedelten. "Vielleicht waren es nur einige hundert Menschen. Keine große Population. Denn die Insel ist jetzt wirklich klein, aber niemand kennt ihre damalige Größe", sagt der Expeditions-Manager.
Urgestein im Polaren Ural
Alexei Blinov ist auch der russische Leiter einer zweiten Expedition in den Polaren Ural. Diese Expedition wird gemeinsam mit deutschen Wissenschaftlern durchgeführt, mit der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover.

"Ziel dieser Expedition ist es, die geologische Situation in weiten Gebieten des Polaren Ural zu studieren. Dieser Ort ist aus geologischer Sicht sehr interessant, weil dort zahlreiches endemisches Gestein vorkommt - Gestein, das man ausschließlich in dieser Region finden kann. Es ist sehr bedeutend, die Entstehung dieses Gesteins zu verstehen."
->   Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover
Entstehung von Rohstoffen
Die deutschen Forscher untersuchen gemeinsam mit Experten der Russischen Akademie der Wissenschaften die Entstehung des Gebirges südlich von Vorkuta. Das Gebirge ist außergewöhnlich, weil es eine alte Ozeankruste enthält. In den Alpen gibt es auch Splitter dieser Art, im Ural sind sie aber weit verbreitet.

Die Forschungsfrage ist: warum? Nach einer kurzen Vorerkundung im vergangenen Jahr, sollen diesen Sommer systematisch Proben genommen und Profilschnitte gemacht werden. Wichtig sind die Ergebnisse für die Genese von Rohstoffen.
Chrom für Russland
Die russischen Wissenschaftler sind aber nicht nur an Grundlagenforschung interessiert. Im Uralgebirge gibt es viele Vererzungen und somit auch Chromit.

Lange Zeit war Kasachstan der Hauptlieferant Russlands für Chrom. Jetzt müssen andere Gebiete gefunden werden, die die Rohstoffe aus der Republik ersetzen können. Nicht nur politische Veränderungen, auch wirtschaftliche Veränderungen bestimmen die Expeditionsforschung am Arktis-Antarktis-Museum in St. Petersburg.
Schiffsverkehr nimmt zu
Maria Gavrilo, Wissenschaftlerin am Arktis-Antarktis-Museum, untersucht die Auswirkungen von Schiffen auf die Seevögel: "Es werden mehr werden. Es ist offensichtlich, dass vor allem im westlichen Teil der russischen Arktis, die Zahl der Schiffe zwischen Europa und Westsibirien - dem Hauptreservoir für Öl und Gas-Ressourcen - zunehmen wird. Und das wird uns Probleme bereiten."

Dieses Gebiet - die Pechora Sea - wird von einer Vielzahl von Seevögeln bewohnt: von verschiedenen Möwenarten, Gänsen oder Kormoranen, so Gavrilo.
Folgen für die Seevögel
"Ich arbeite hauptsächlich in der Barentssee, im Südosten, für das sich die großen Ölkonzerne besonders interessieren. Meine Forschung besteht darin, Daten zu sammeln über Seevögel und Säugetiere in dieser Region und eine Einschätzung über die Folgen abzugeben, die von Menschen verursacht werden. Erst kürzlich habe ich ein Projekt über die nördliche Seeroute - die ja auch ein Hauptthema unseres Museums ist - geleitet. Es ging darum, eine nördliche Seeroute für Konzerne zu entwickeln - für internationale Zwecke. Und ich habe die Seevögel studiert und die möglichen Folgen dieser Route", erzählt die Biologin.
Zahlreiche Feinde
Dieser Teil der Barentssee ist der kontinentalste. Er ist ein wichtiges Brutrevier für viele Vogelarten. Der Pechora Fluss, der im Ural entspringt, ist aber zugleich die Haupttransportroute für die gewonnenen Rohstoffe.

Die Vögel haben also gegen zahlreiche Gegner anzutreten: "gegen die Überfischung, gegen Fischernetze, gegen Ölteppiche, gegen Jäger - die Jagd auf Seevögel und ihre Eier hat eine lange Tradition in Norwegen und Russland - gegen Lärm und nicht zuletzt gegen natürliche Feinde".
Lebendiges Museum
Gavrilo hat - wie jedes Jahr - auch heuer die Möglichkeit in der Arktis zu arbeiten. "Im Moment plane ich wieder, an einer Expedition in die Arktis teilzunehmen. Ich hoffe, dass ich die Möglichkeit erhalten werde, Audio-Material zu bekommen. Denn wir wollen unsere Seevögel-Abteilung lauter machen - wir wollen unsere Museumsstücke mit Geräuschen aus der Natur beleben."

Ein Museum mit einer Stimme, meint Gavrilo. Das soll das Arktis-Antarktis-Museum in St. Petersburg werden.

Ulrike Schmitzer, Ö1-Wissenschaft aus St. Petersburg für die Sendung Dimensionen
 
 
 
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01.01.2010