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Historiker fordern kritische Edition von "Mein Kampf"  
  Nach Ansicht führender Historiker ist es höchste Zeit, dass Hitlers "Mein Kampf" in einer kommentierten Ausgabe veröffentlicht wird. Die kritische Edition soll das Verständnis des Holocaust erweitern. Unkommentiert ist die 1924 entstandene Propagandaschrift längst im Internet zu finden.  
"Es ist absolut notwendig, eine wissenschaftliche Ausgabe herauszubringen", sagte etwa der britische Hitler-Forscher Ian Kershaw bei dem Stuttgarter Kolloquium zu Ehren des Historikers Eberhard Jäckel, der Ende Juni seinen 80. Geburtstag gefeiert hatte. Mit Blick auf Jäckels Lebenswerk beschäftigte sich der Kongress mit dem Thema "Hitler und der Holokaust".
"Angeranzter Anti-Faschismus der 50er"
Die Rechte an Hitlers Propagandaschrift liegen beim bayerischen Finanzministerium. Dessen Weigerung, "Mein Kampf" kommentiert herauszugeben, erinnern den Freiburger Historiker Ulrich Herbert an den "angeranzten Anti-Faschismus der 50er Jahre".

Vielleicht ist mit der Blockade bald Schluss: Der neue bayerische Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch (FDP) hat das Münchner Institut für Zeitgeschichte unlängst aufgefordert, eine Edition des Werkes zu erstellen. Der Meinungsumschwung in der bayerischen Staatsregierung freut auch den Holocaust-Experten Jäckel. Er hatte schon vor Jahrzehnten eine Edition gefordert und erinnerte jetzt daran, dass diese auch lange Zeit vom Institut für Zeitgeschichte abgelehnt worden war. Doch auch hier habe es einen Sinneswandel gegeben.
Forscher und Vermittler
Die Forschungsbilanz des ehemaligen Leiters des Historischen Instituts an der Universität Stuttgart kann sich sehen lassen: Die Erforschung Nazi-Deutschlands, des Völkermords an Juden und des Umgangs der Deutschen mit der NS-Vergangenheit haben Jäckel weltweit bekanntgemacht.

Seine Zielgruppe war nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Öffentlichkeit, die er gemeinsam mit der Journalistin Lea Rosh zum Beispiel mit der Fernsehdokumentation "Der Tod ist ein Meister aus Deutschland" erreichte. Mit Rosh setzte er sich auch jahrelang für die Errichtung des Holocaust-Mahnmals in Berlin ein.
Holokaust mit "k"
Jäckel macht sich auch dafür stark, den Holocaust mit "k" zu schreiben. "Man darf so ein zentrales Ereignis der deutschen Geschichte nicht auf Englisch beschreiben", sagte der elegant gekleidete Grandseigneur der Holocaust-Forschung. Der Jubilar wehrt sich dagegen, als "Intentionalist" bezeichnet zu werden. "Intentionalist" ist laut Jäckel eine abwertende Bezeichnung für Historiker, die in der Politik des "Dritten Reiches" Hitlers Ziele realisiert sehen. Jäckel wiederholte seine These zum Nazi-Staat: Hitler traf die Hauptentscheidungen selbst und bekam diese nicht von Machtgruppen aufgenötigt.

Wenn Jäckel auf sein wissenschaftliches Lebenswerk zurückblickt, dann sieht er Wissenschaft als starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich. Dabei hat ihn auch der israelische Forscher und Holocaust-Überlebende Otto Dov Kulka begleitet: "Es ist das große Wunder meines Lebens, dass wir trotz allem Freunde wurden."

Raphael Rauch, dpa, 7.7.09
->   Eberhard Jäckel - Wikipedia
->   Mein Kampf - Wikipedia
 
 
 
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01.01.2010