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Das Individuelle der Allergien  
  Menschen mit Nahrungsmittelallergie müssen ständig auf der Hut sein, nicht das Falsche zu essen. Die Biotechnologin Sabine Baumgartner entwickelt Tests, mit denen die Nahrungsmittelindustrie ihre Produkte besser kontrollieren kann. Im Interview erzählt sie vom Kleingedruckten auf Lebensmittelverpackungen, von Streiferltests und dem Anstieg der Allergien.  
Foto Tschank
Sabine Baumgartner
Sie entwickeln Schnelltests für Lebensmittelallergene. Werden Betroffene in Zukunft mit so einem Test ihre Lebensmittel prüfen können?

Baumgartner: Leuten mit Nahrungsmittelallergie hilft das zunächst gar nicht. Unsere Tests sind in erster Linie für die Lebensmittelindustrie gedacht - als Kontrolle während der Produktion. Es wäre natürlich eine nette Geschichte, wenn man als Allergiker mit so einem Test ins Restaurant gehen und vor dem Essen dieses prüfen könnte. Es gehört aber eine gewisse Vorbildung dazu, um diese Tests durchzuführen.

Das heißt, Konsumenten bleibt im Moment nach wie vor nichts anderes über, als aufzupassen?

Genau. Eine Kennzeichnungspflicht für Allergene existiert ja - zum Beispiel für Getreide, Eier, Milch, Nüsse. Die Leute müssen beim Einkaufen viel Lesen. Das ist manchmal schon klein geschrieben. Leute mit Lebensmittelallergie brauchen sicher länger zum Einkaufen.

Wie helfen Ihre Tests der Industrie?

Ich erzähle gerne das Beispiel mit der Schokoladeproduktion: Die Maschinen können zwischen der Produktion von Schokolade mit Nüssen und solcher ohne Nüsse nicht mit Wasser gereinigt werden. Da bekommt man ein mikrobiologisches Problem. Es gibt auch Schwierigkeiten mit dem Fett, dass in der Schokolade drinnen ist: Wasser und Fett sind nicht gut mischbar, deshalb ist der Reinigungseffekt mit Wasser nicht in dem notwendigen Ausmaßgegeben. Das heißt, man führt einfach die Produkte nach und es dauert, bis dann nussfreie Schokolade heraus kommt. Das soll mit den Schnelltests überprüft werden.
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Serie Alpbach
Von 27. bis 29. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1 Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet "Vertrauen in der Krise - Zukunft gestalten". Dazu diskutieren Minister, Nobelpreisträger und internationale Experten.

In den nächsten Wochen werden in science.ORF.at regelmäßig Interviews mit den bei den Technologiegesprächen vortragenden oder moderierenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erscheinen.
->   Alpbacher Technologiegespräche
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Warum müssen die Test schnell gehen?

Bei diesen Tests hat man nach fünf bis zehn Minuten ein Ergebnis. Bei Labortests dauert das zwei bis drei Stunden, selbst wenn die Firma ein eigenes Labor hat - noch länger, wenn man ein externes Labor beauftragt. Durch unsere Tests können also Produktions-Chargen schneller zurückgehalten werden.

Vollständig heraushalten kann man Allergene aber nicht?

Nein. Gerade bei Allergenen kann es keine hundertprozentige Sicherheit geben. Jede Person reagiert auch anders. Manche können durchaus zwei oder drei Erdnüsse essen und spüren vielleicht gerade ein leichtes Jucken auf der Zunge. Es gibt aber auch Leute, die wirklich Probleme bekommen. Einen Nullwert und eine hundertprozentige Sicherheit kann man daher nicht erreichen.

Das mit den Nüssen ist ja recht bekannt. Worauf kann man denn sonst noch allergisch sein?

Neben den schon erwähnten Lebensmitteln kann man auch noch gegen Fisch, Sellerie, Senf oder Sesam allergisch sein. Mittlerweile sind auf die Liste der EU-Kennzeichnungsverordnung zum Beispiel auch Lupinen dazu gekommen. Diese Pflanzen sind eigentlich ein Futtermittel, haben aber in die Lebensmittelindustrie als Ei-Eiweißersatz Einzug gefunden - zum Beispiel in Backwaren. Lupinen sind mit den Erdnüssen verwandt. Wenn das nicht gekennzeichnet ist, können Erdnussallergiker mit Lupinen in Brot oder Keksen ein Problem haben, weil es Kreuzreaktionen zwischen den Allergenen gibt.

Was sind Kreuzreaktionen?

Wenn man allergisch ist, reagiert man meist auf Proteine; Allergene sind Eiweißstoffe etwa in der Milch oder der Erdnuss. Erdnüsse, Lupinen oder Erbsen gehören zur Gruppe der Leguminosen (Hülsenfrüchtler, Anm.). In dieser Familie kommen ähnliche Proteine vor. Mit Kreuzreaktion meint man, dass, wenn jemand auf Erdnuss allergisch ist, er möglicherweise auch auf Lupinen allergisch reagiert. Das selbe Problem gibt es bei Haselnüssen und Haselnuss- oder Birkenpollen.
Was ist das Neue an den Tests, die Sie entwickeln?

In Prinzip sind das Streiferltests - so wie Schwangerschaftstest. Das sind Schnelltests, die eine Entscheidung in erster Instanz ermöglichen. Dann muss man - wenn notwendig - weitere Analytik im Labor hinten nachschalten. Die Streiferltests sollen auf dem Feld oder in der Fabrik direkt benutzt werden können, ohne dass man dafür viele Geräte braucht.

Sie leiten ein Christian-Doppler-Labor zum Thema. Was erforschen Sie da und was sind die Pläne für die Zukunft?

Derzeit arbeiten wir vor allem zu Lupinen. Zu deren Allergenen gibt es noch nicht viele Daten. Wir beschäftigen uns daher vor allem mit der Proteincharakterisierung. Wir extrahieren die Proteine aus der Pflanze, die wir zur Testentwicklung verwenden. Darüber hinaus untersuchen wir Haselnuss, Erdnuss, Milch und Ei und schauen, dass wir da Prototypen für Schnelltests bekommen.

Wie entwickelt man so einen Test?

Wir verwenden Proteinextrakte; zum Beispiel von den Samen der Lupine. Mit den Extrakten stellen wir Antikörper her und diese Antikörper reagieren spezifisch auf einzelne Proteine oder Teile davon. Ganz bestimmte Proteine - zum Beispiel in einem Keks - spezifisch nachweisen zu können, das geht im Moment eigentlich nur mit Antikörpern.
Hat man heute mehr Allergene in Lebensmitteln als früher?

Ich bin mir nicht sicher, ob man mehr Allergene in den Lebensmitteln drinnen hat. Allergene sind ja Proteine, die eigentlich immer in Lebensmitteln vorkommen. Ich glaube aber, dass die Allergien im ansteigen sind und Leute immer mehr auf diese Proteine reagieren.

Warum ist das so?

Die Wahrnehmung der Allergieproblematik hat sich sicherlich verändert. Zusätzlich ist die klinische Diagnostik ebenso wie die Lebensmittelanalytik im Laufe der Zeit immer besser geworden. Und dieser Allergieanstieg hängt sicherlich auch mit der Erweiterung unseres Nahrungsmittelangebotes zusammen, da man zum Beispiel exotische Früchte bei uns zu kaufen kann.

Der Arbeitskreis, bei dem Sie in Alpbach mitdiskutieren, trägt den Titel "Können wir unseren Nahrungsmitteln vertrauen?" Was ist denn Ihre Antwort auf diese Frage?

In Österreich auf jeden Fall, weil die Nahrungsmittelsicherheit überprüft wird. Man ist aber auch selbst aufgefordert, zu lesen und zu schauen.

Haben Sie selbst eine Lebensmittelallergie?

Zum Glück nicht. Ich lebe aber fast damit, obwohl ich keine habe: Dadurch, dass wir diese Tests entwickeln, lese auch ich oft beim Einkaufen die Texte auf den Verpackungen.

Interview: Mark Hammer, science.ORF.at, 13.7.09
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Zur Person:
Sabine Baumgartner arbeitet am Institut für Agrarbiotechnologie (IFA) in Tulln, leitet das Christian-Doppler-Labor zur Analytik allergener Lebensmittelkontaminanten und war "FEMtech-Expertin des Monats" Jänner 2009. Sie nimmt als Expertin an den Alpbacher Technologiegesprächen im Arbeitskreis zum Thema "Können wir unseren Nahrungsmitteln vertrauen?" teil.
->   Sabine Baumgartner
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->   Christian-Doppler-Labor für die Analytik allergener Lebensmittelkontaminanten
Weitere Beiträge zu den Alpbacher Technologiegesprächen 2009:
->   Strukturbiologie: Die Sicherheitsmaßnahmen der Natur
 
 
 
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01.01.2010