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"Bürger auf gleicher Augenhöhe mit dem Staat"
Web 2.0 erobert Politik und Verwaltung
 
  Bloggende Politiker, Präsidentschaftskandidaten auf YouTube, Stimmabgabe per Computer, elektronische Formulare: Online-Technikern verändern den Kampf um Wähler und den Umgang zwischen Bürgern und Staat. Im Interview erklärt der E-Governance-Experte Peter Parycek von der Donau-Universität Krems, wie dabei das Vertrauen der Menschen gewonnen werden kann, warum Verfahren schneller werden, wenn sich Bürger daran beteiligen und dass der Papierakt in Ministerien Geschichte ist.  
MeinParlament (Politik Transparent e.V.)
Peter Parycek
Was sind die aktuellen Entwicklungen im E-Government?

Parycek: Es geht vor allem darum, wie man Web 2.0 für den Staat nutzt, einerseits um Wähler zu gewinnen, andererseits für eine bessere und schnellere Verwaltung. Politik und Verwaltung können mit einer breiten Öffentlichkeit Themen diskutieren und erarbeiten, bevor es zu einem Gesetzesentwurf kommt. Damit erweitert man das Feld über die typischen Stakeholder wie etwa Interessenvertretungen hinaus. Zum anderen lässt sich das Wissen der Bürgerinnen in Verwaltungsverfahren nutzen.

Gibt es da schon Beispiele?

Das amerikanische Patentverfahren: Das durchschnittliche Verfahren hat 44 Monate gedauert. Forschende Unternehmen waren die Leidtragenden und haben vorgeschlagen, das "Wissen der Vielen" zu nutzen. Jetzt ist jeder Patentantrag öffentlich einsehbar. Wenn man sich registriert kann man einen Feed abonnieren und sieht die neuen Anträge. Wer bereits ein Patent dazu hat oder eines kennt, kann das der Verwaltung melden. Diese kann auf Basis der zusätzlichen Informationen die Anträge schneller bearbeiten. Dadurch hat sich die Verfahrensdauer halbiert.

Die Herausforderung für die nächsten Jahre ist, wie Politik und Veraltung das Wissen der Bevölkerung auch in anderen Bereichen für schnellere und bessere Entscheidungen nutzen können.
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Serie Alpbach
Von 27. bis 29. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1 Wissenschaftsredaktion. Das Thema heuer lautet "Vertrauen in der Krise - Zukunft gestalten". Dazu diskutieren Minister, Nobelpreisträger und internationale Experten.

In den nächsten Wochen erscheinen in science.ORF.at regelmäßig Interviews mit den bei den Technologiegesprächen vortragenden oder moderierenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern .
->   Alpbacher Technologiegespräche
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Daran hat auch die Verwaltung Interesse?

Das Web 2.0 wird als Mitmach- oder Beteiligungsweb bezeichnet. Wenn Politik oder Verwaltung "Beteiligung" hören, reagieren sie reflexartig eher mit Distanz, weil sie damit die Verlangsamung von Entscheidungsprozessen verbinden - also genau das Gegenteil, was sie mit den neuen Mitmachwerkzeugen erreichen könnten.

Warum machen Bürger mit?

Darf ich Ihnen eine Gegenfrage stellen: Warum arbeiten so viele Menschen ehrenamtlich in einem Verein? Das Phänomen ist ja keine Erfindung des Webs, vielmehr eröffnet es neue Formen der Beteiligung über lokale Grenzen hinaus. Wie erste Untersuchungen zeigen, entsprechen die Motive durchaus uns bereits bekannten Mustern: Um auf dem Laufenden zu bleiben, für soziale Anerkennung, aus Altruismus und natürlich weil es Freude bereitet.
E-Governance ist heute also schon mehr als das Herunterladen von Formularen?

Man kann das als E-Government 1.0 und 2.0 sehen. In der 1.0-Welt ist das österreichische E-Government sehr erfolgreich - etwa durch zentrale Portale wie help.gv.at, wo Bürger schnell Formulare oder Behörden finden. Es war noch nie so einfach, Verwaltungswege zu erledigen. Auch intern hat sich viel verbessert. In Ministerien hat man durchgehend elektronische Akte. Der Papierakt ist auf Bundesebene Geschichte.

Bisher waren wir eine papierbasierte Gesellschaft, wo Papier das Original war. In gewissen Bereichen ist das Papier heute nur mehr die Kopie, beispielsweise wird das Bundesgesetzblatt authentisch elektronisch veröffentlicht. Das ist der Umbruch zu einer digitalbasierten Gesellschaft.

In der 2.0-Welt geht es um Beteiligung und darum, das Wissen der Bürger zu nutzen. Das ist das Neue, das auf uns zukommt. Der Bürger wird Partner auf gleicher Augenhöhe mit dem Staat. Treiber für diese Entwicklung ist die Administration von Barack Obama, die schon viele Projekte initiiert hat. Die europäischen Regierungen werden in den nächsten Jahren nachziehen müssen. Es sei denn, es kommt ein großer Rückschlag.

Wodurch könnte der kommen?

In solchen Prozessen sind beispielsweise Minderheiten zu schützen. Denn Probleme aus der bestehenden Demokratie können sich mit elektronischen Systemen multiplizieren. Wir müssen beim Design darauf achten, dass die Mehrheit die Minderheiten nicht an den Rand drückt, dass man nicht zu stark auf die lautesten Schreihälse hört.
Weil viele Leute keinen Internetzugang haben oder mit Web 2.0 nichts anfangen können?

Ich erlaube mir, das umzudrehen: Jedes Beteiligungsprojekt, das keine elektronische Komponente hat, schließt eine breite Öffentlichkeit aus - nämlich all jene die keine Zeit haben, zu Offline-Meetings zu gehen. Es muss heute bei jedem Beteiligungsprojekt einen elektronischen Zugang geben. Aber ausschließlich elektronisch durchführen geht natürlich auch nicht. Offline-Diskussionen haben oft eine andere Qualität und der Staat muss für alle da sein.

Man könnte aber auch Brücken von der Online- in die Offline-Welt schlagen, indem beispielsweise Gemeinden für Personen, die sich nicht online beteiligen können, die wichtigsten Unterlagen ausdrucken oder sie in das System einschulen. Der Digital Gap wird jedenfalls von Jahr zu Jahr kleiner. Nach den aktuellen Zahlen des GfK Online Monitor nutzen 97 Prozent der Jugendlichen zwischen 16 und 18 das Internet und immerhin schon 43 Prozent der 60- bis 69-Jährigen.
Das Thema des diesjährigen Forums Alpbach ist Vertrauen. Stärken elektronische Systeme das Vertrauen in Politik und Verwaltung?

Mit dem Wechsel von der papierbasierten zur digitalen Gesellschaft gewinnt Vertrauen immer mehr an Bedeutung. Doch die elektronischen Systeme sind für den durchschnittlichen User eine Black Box. Es kann keiner sehen, was gespeichert ist oder wer darauf zugreift. Die ersten emotional geführten Diskussionen dazu haben wir bei E-Voting erlebt: Wir vertrauen dem nicht, weil wir nicht verstehen, wie es funktioniert. Bei der Papierwahl wissen wir, wie es geht.

Daher ist die Frage, ob das Unbehagen vor diesem nicht Greifbaren so groß wird, dass eine Vertrauenskrise entsteht. Momentan ist das nicht der Fall, aber mit der zunehmenden Digitalisierung wird das Risiko des Datenmissbrauchs von Tag zu Tag größer. Durch Datenmissbrauchsskandale kann das Vertrauen sehr schnell schwinden.

Wie ließen sich diese verhindern?

Hohe Transparenz ist ein entscheidender Punkt; zum Beispiel, dass ich sehe, wo ich gespeichert bin und wer auf meine Daten zugreift - etwa durch ein eigenes Portal. Solch einfache Maßnahmen stärken das Vertrauen in elektronische Systeme. Das bekommt eine Eigendynamik: Wenn die andere Seite weiß, dass der Bürger sehen kann, wer zugegriffen hat, wird man nur im entsprechenden Anlassfall tatsächlich auf Daten zugreifen. Es könnte auch der Rechnungshof prüfen, wie mit gespeicherten Daten umgegangen wird und wie gut sie gesichert sind.
Wie stehen Sie zur Kritik am digitalen Staat - Stichwort "Gläserner Bürger"?

In der Verwaltung sehe ich den Gläsernen Menschen nicht, weil die Systeme stark voneinander getrennt sind und es guten Datenschutz gibt. Es existiert ja kein Verwaltungs-Google, wo man im internen Bereich "Peter Parycek" eingibt und alle zur Person gespeicherten Daten zusammengesucht werden. Berechtigungssysteme regeln genau, wer wann worauf zugreifen kann. Wenn der Bürger das auch noch selbst kontrollieren kann, haben wir eine gute Balance gefunden.

Ich persönlich fühle mich eher unwohl, wenn ich an die aktuell diskutierte EU-Richtlinie für die Vorratsdatenspeicherung denke. Den Hunger nach Überwachung, der mit dem 11. September ausgelöst worden ist, sehe ich als viel größeres Problem. Diese Überwachungstendenz sollten wir stark hinterfragen.
Worauf bezieht sich die Vorratsdatenspeicherung?

Auf Mobilfunkdaten - wer mit wem wann telefoniert; inklusive der Bewegungsdaten. Organisationen und Personen mit Zugriff auf diese Daten können damit Bewegungsprofile aller Mobilfunkbenutzer erstellen und sehen so - teilweise metergenau - wo wir uns das letzte halbe Jahr bewegt haben.

Wenn wir uns für dieses Interview in einem Café treffen, kann man das feststellen - natürlich mit der Unsicherheit, wer aller dabei gesessen ist. Damit sind wir bei der Unschärfe. Wenn man sich unglücklicherweise in einer falschen Mobilzelle befindet, können Unschuldige in eine Rasterfahndung und ein Verfahren hineingezogen werden.
Auch besuchte Internetseiten könnten schon bald gespeichert werden.

Daraus kann man sich auf politische, private und berufliche Interessen einen Reim machen. Diese Daten bringen große Begehrlichkeiten mit sich. Und wenn Sie beweisen müssen, dass nicht Sie eine Seite angewählt haben, sondern jemand anderer ihr W-LAN benutzt hat, dann wird es für Sie äußerst unangenehm.

Die absolute Sicherheit kann durch einen Überwachungsstaat nicht erreicht werden, daher ziehe ich die Freiheit einer nur vermeintlichen, suggerierten Sicherheit vor und halte es hier wie Aristoteles: "Wer Sicherheit der Freiheit vorzieht, ist zurecht ein Sklave.

Interview: Mark Hammer, science.ORF.at, 20.7.09
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Zur Person
Der Jurist und Telematiker Peter Parycek leitet das Zentrum für E-Government an der Donau-Universität Krems. Er untersucht Verfahren für E-Government und entwickelt Modelle für E-Governance und baut gerade ein Open-Access-Journal zu den Themen E-Democracy und E-Government auf. Bei den Alpbacher Technologiegesprächen nimmt er am Arbeitskreis zum Thema "Digital Government im Spannungsfeld zwischen Bürger und Verwaltung" teil.
->   Peter Parycek
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Weitere Beiträge zu den Alpbacher Technologiegesprächen 2009:
->   Lebensmittel: Das Individuelle der Allergien
->   Strukturbiologie: "Da hat die Natur Sicherheitsmaßnahmen eingebaut."
 
 
 
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01.01.2010