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Ein Falke, der Respekt verdient  
  Anfang Juli ist der ehemalige US-Außenminister Robert Mcnamara im Alter von 93 Jahren gestorben. Der Historiker Günter Bischof würdigt ihn in einem Gastbeitrag für science.ORF.at als einen "Falken des Vietnamkriegs", der sich später als einzigartig selbstkritisch und reflektiert gezeigt hat.  
Zum Tod von Robert McNamara
Bild: AP
Robert Mcnamara
Von Günter Bischof

Robert Mcnamara war eine der schillerndsten Figuren Amerikas während des Kalten Krieges. In Berkeley und Harvard ausgebildet, unterrichtet er an der Harvard Business School und diente dann in der amerikanischen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg.

Danach stieg er zum Chef der Ford Motor Company auf. Er kam nach Washington in der Kohorte der "best and brightest" (D. Halberstam) und diente den Präsidenten John F. Kennedy und Lyndon Johnson (1961-1968) als Verteidigungsminister. Danach wurde er zum Chef der Weltbank berufen (1968-1981), wo er sich einen Namen machte, indem er das Kreditvolume für Dritte Weltländer merklich erhöhte.

Robert Mcnamara (Spartacus Educational)
Manager von Konflikten
Der hochintelligente McNamara glaubte, dass jeder Konflikt gemanagt werden konnte. In der Air Force und bei Ford hatte er gelernt, dass Probleme mit genauen statistischen Analysen gelöst werden konnten. Das sollte auch im riesigen Verwaltungsapparat des Pentagon möglich sein.

Er brachte eine Gruppe von quantitativen Analysten als Problemlöser (die "whiz kids") mit ins Pentagon. Dort machten sie sich daran, die Vergeudung von Steuergeldern in verschwenderischen Verteidigungsprogrammen einzubremsen.
Gegen nukleare Präventivschläge
McNamaras vielleicht größte Leistung kam in der Eindämmung der Pentagon-Generäle, die die gefährliche Krise während des Kalten Krieges immer wieder mit dem Einsatz von Kernwaffen lösen wollten (von Stanley Kubrick im Film "Dr. Strangelove" popularisiert). Im Amt fand McNamara geheime Pentagonpläne, die Sowjetunion mit einem nuklearen Präventivschlag auszulöschen.

Solche Pläne existierten bereits seit dem Beginn der nuklearen Ära und Präsident Dwight D. Eisenhower hatte schon seine liebe Not, die Finger der Generäle vom nuklearen Drücker zu nehmen. McNamara stellte sich gegen seine militärischen Berater, die die kubanische Raketenkrise und die Berlinkrise mit dem Einsatz von Atomwaffen lösen wollten. Seine Rolle als "Falke" in der Eindämmung der nuklearen "Falken" im Pentagon, stellt vielleicht seine wichtigste historische Leistung dar.
Falke in Vietnam
Im wachsenden amerikanischen Engagement in Indochina hingegen, spielte McNamara den Falken. Seine Rolle in der amerikanischen Eskalation im Vietnamkrieg wird von Historikern und Veteranen immer noch als hochkontrovers angesehen. McNamara, Außenminister Dean Rusk und der nationale Sicherheitsberater McGeorge Bundy waren die Hauptakteure in der Ausweitung des militärischen Engagements der USA in Vietnam.

Mit dem massiven amerikanischen Militäreinsatz wollten sie die Ausbreitung des Kommunismus in Indochina eindämmen, die amerikanische Glaubwürdigkeit als Alliierter retten sowie die Beschwichtigung kommunistischer Diktatoren verhindern.
->   Vietnam War Bibliography: The Pentagon Papers
Kritik kostete ihm das Amt
Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges wollte Washington unbedingt die Unterstützung von Alliierten wie Ngo Dinh Diem, dem Staatschef Südvietnams, unter Beweis stellen. Im Laufe des Jahres 1967 wurde McNamara immer skeptischer gegenüber der amerikanischen Eskalation in Vietnam. Die Strategie des Suchens und Auslöschens ("search and destroy") des Feindes wurde zunehmend kontraproduktiv, da auch tausende junger amerikanischer GIs in den Dschungeln von Vietnam ihr Leben verloren. Mit ihrer halbherzigen Strategie blieben die USA zusehends in einem tiefen Sumpf stecken und kamen nicht mehr raus.

McNamara gab bei seinen Mitarbeitern im Pentagon eine "top-secret" Studie in Auftrag, die historischen Rahmenbedingungen des amerikanischen Vietnam-Engagements zu untersuchen.

Auf Grund dieser Studie begann McNamara seine Zweifel an einer weiteren Eskalation des Krieges zu formulieren. Er riet auch Präsident Johnson von einer Ausdehnung des amerikanischen Engagements nach der Tet-Offsenive im Februar 1968 abzusehen. McNamaras "inside" Kritik von Johnsons Vietnampolitik kostete ihm dann Anfang 1968 auch den Job als Verteidigungsminister.
->   Background to the Crisis
Öffentlichkeit hinters Licht geführt
1971 wurde McNamaras Materialsammlung an die New York Times "geleakt" und als die "Pentagon Papers" publiziert. Damit wurde auch klar, wie sehr das amerikanische Volk von der Johnson-Administration mit positiven Kriegsmeldungen aus Vietnam jahrelang in die Irre geführt wurde.

McNamara wurde zum beliebtesten Sündenbock in den USA für den fehlgeschlagenen Vietnameinsatz, vor allem auch, als er 1995 seine Memoiren zum Vietnamkrieg In Retrospect veröffentlichte. Er untersuchte in diesem Buch seine Motive und Entscheidungen in der Eskalation in Vietnam und gab Fehler zu.

Die USA hätte nie Soldaten nach Vietnam schicken sollen, sondern die Südvietnamesen ihr Land gegen die Kommunisten des Nordens verteidigen lassen sollen. Viele US-Soldaten vergaben ihm nie, dass er seine inneren Zweifel über eine Eskalation 1967 zugab. Sie machten ihn für den Verlust ihrer Kameraden verantwortlich.
->   Robert S. McNamara, In Retrospect
Einzigartige Memoiren
Natürlich trugen viele am amerikanischen Vietnamfiasko die Verantwortung, nicht nur McNamara. Die Präsidenten Kennedy, Johnson und Nixon, samt ihren Beraterstäben; die "Mandarine" im Pentagon, die die Strategie bestimmten; und nicht zuletzt auch die "stille Mehrheit" konservativer US-Wähler, die 1968 Nixon zum Präsidenten machten und damit den Krieg und den schneckenlangsamen Rückzug auf vier weitere Jahre ausdehnten.

McNamaras frappierende Offenlegung seiner Agonie in der Entscheidungsfindung im Vietnamkrieg ist einzigartig in der historischen Memoirengeschichtsschreibung. In Retrospect, sowie sein Interviews in Errol Morris' Film Fog of War (2003), der auch einen Oscar als bester Dokumentarfilm erhielt, sind das Gegenteil der üblichen apologia pro vita sua von Politikern.

Er erforscht zutiefst sein Gewissen, hadert mit sich selbst und konzediert Fehler. Er geht aber nie soweit, sich zu entschuldigen für seine Fehlleistungen (was auch Richard Nixon in seinen berühmten Interviews mit David Frost nie getan hat).
->   Errol Morris, Fog of War
Verdient Respekt
McNamara kam nie mehr von seinen politischen Entscheidungen in der Eskalation des Vietnamkrieges los. In einem von Historikern organisierten Projekt verbrachte er viele Tage in Diskussionen mit den Hauptentscheidungsträgern Nordvietnams. Die Ergebnisse der Konferenzen wurden in McNamaras Buch "Argument Without an End" aufgezeichnet.

Im Eingehen auf die Perspektiven Hanois wurde ihm klar, wie falsch sein Verständnis der nordvietnamesischen Beweggründe und Motivationen war. Auch mit Fidel Castro sowie kubanischen und sowjetischen Entscheidungsträgern setzte er sich zusammen. Auch hier musste er konzedieren, dass falsche Perzeptionen des Gegners die Welt beinahe in einen Nuklearkrieg gestürzt hätten.

Solcher Mut von Politikern ist rar, die eigene politische Karriere zu hinterfragen und Fehler zuzugeben. McNamaras persönliche Hinterfragung der Details seiner Entscheidungen im öffentlichen Dienst sowie seine Auseinandersetzung mit der Komplexität der Geschiche, in der er einen wichtigen Part spielte, verdient den Respekt der Historiker, die darauf aufbauen können.

Sein Beitrag zur Eindämmung der Kernwaffen-freundlichen Pentagon-Generäle zur Erhaltung des Friedens zwischen den Supermächten im nuklearen Zeitalter verdient weltweite Achtung.

[27.7.09]
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Über den Autor
Günter Bischof, ein gebürtiger Vorarlberger, ist der Marshallplan Professor für Geschichte und der Direktor des CenterAustria an der Universität von New Orleans, wo er auch regelmäßig Kurse zum Kalten Krieg und zum Vietnamkrieg unterrichtet. Den Krieg in Vietnam hat er auch schon an den Universitäten in München und Salzburg unterrichtet.
->   CenterAustria, New Orleans
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01.01.2010