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Das Zeitalter des Kosmopolitischen
Ein internationales Symposium zu Ehren von Ulrich Beck
 
  Kaum ein anderer deutschsprachiger Soziologe hat es verstanden, sozial- und umweltpolitische Probleme so prägnant in theoretischen Ausführungen darzustellen wie Ulrich Beck. Anlässlich seiner Emeritierung fand vergangene Woche ein Symposium in München statt. Trotz der negativen Auswüchse der Globalisierung ist und bleibt der Kosmopolitismus für ihn ein positiver Begriff. Zentral dabei ist die Anerkennung des Anderen.  
Erstes Aufsehen erregte Beck mit seinem Buch "Risikogesellschaft", das 1986 erschien. In diesem Buch thematisierte er umfassend die destruktive Tendenz der Industriegesellschaften, ihre ökologischen Grundlagen zu zerstören. Seine damaligen Ideen lieferten die Basis für einige nachfolgende Denker.
Für eine globale ökologische Revolution
Das Buch war auch für die beiden US-amerikanischen Umweltaktivisten und Theoretiker der Ökologiebewegung Michael Shellenberger und Ted Nordhaus ein wichtiger Anstoß für ihre Tätigkeiten. Sie verstehen sich als Art grüner Think Tank, der durch Politikberatung und Öffentlichkeitsarbeit eine Sensibilität für ökologische Probleme schaffen will.

In ihren Ausführungen erhoben sie - gemeinsam mit dem französischen Soziologen Bruno Latour - den Vorwurf, dass das universale Problem der Ökologie viel zu wenig beachtet werde. Latour stellte die rhetorische Frage, warum angesichts der tiefgreifenden Zerstörungsprozesse der Natur noch keine ökologisch motivierte Erstürmung der Bastille erfolgt sei und keine Oktoberrevolution stattgefunden habe.
Kosmopolitismus
Bild: EPA/J.M.Garcia
Ulrich Beck
In den letzten Jahren befasste sich Beck vor allem mit dem aktuellen "kosmopolitischen" Realismus, der die Auswirkungen der Globalisierung - wie das Ende des Nationalstaats oder die Konjunktur transnationaler Konzerne - reflektiert.

Den Kosmopolitismus verstand er als positiven Gegenbegriff zur Ordnungsmacht des Marktes und des Nationalstaates. Kosmopolitismus meint, dass im Denken, Zusammenleben und Handeln die Anerkennung des Andern zentral ist.

Das sollte auch in der Soziologie geschehen. Es geht um die Vision eines Staatengebildes, das die Anerkennung des kulturell Anderen zu seiner Grundlage macht.
Gegen den Eurozentrismus
Der Kulturwissenschafter Sarat Maharaj, der an der Goldsmith's University of London lehrt, wies in seinem Vortrag darauf hin, dass - im Gegensatz zu Becks Begriff des Kosmopolitismus - der Mainstream zahlreicher Kulturtheorien noch zu sehr eurozentrisch besetzt sei. Er folge einer Tradition, die andere, konträre Kulturen nicht als ebenbürtig betrachte, wie das Beispiel des Philosophen Edmund Husserl zeige: "Wir verspüren es an unserem Europa" - so verkündete Husserl pathetisch - "Es liegt darin etwas Einzigartiges."

Als Beispiel eines Kosmopolitismus, der diesen Namen verdiene, nannte Maharaj die Werke des Kultur- und Kunsthistorikers Aby Warburg. Er verbinde in seinen Werken kunsthistorische Analysen der Renaissance mit Interpretationen von Schlangenritualen der Pueblo-Indianer.
Wirtschaftlicher Kosmopolitismus
Auch auf wirtschaftlichem Gebiet ist der Prozess der Kosmopolitismus unübersehbar. "Die Produktionsformen werden immer stärker vernetzt", so Beck im Gespräch mit science.ORF.at, "und wir geraten so in ein ökonomisches Abhängigkeitsverhältnis von transnationalen Konzernen, das wir so nie gewollt haben".

Besonders drastisch wird diese Abhängigkeit durch den Bankencrash der vergangenen Monate deutlich, den der an der London School of Economics and Political Science lehrende Soziologe Richard Sennett in das Zentrum seines Vortrages rückte.
Megalomanie
In seinem Vortrag stellte Sennett sein neuestes Projekt vor: In der Zusammenfassung zahlreicher Interviews zeichnete er ein Stimmungsbild von mittleren Angestellten des Finanzwesens, die in der New Yorker Notenbank der Wall Street tätig waren, bevor sie durch die Bankenkrise im Herbst 2008 arbeitslos wurden.

Sie arbeiteten als Computertechniker oder Buchhalter und berichteten von einem allmählichen Realitätsverlust in den Führungsetagen. Die leitenden Manager verstrickten sich immer mehr in ihren dubiosen Finanzspekulationen und folgten der inneren Logik einer maßlosen Gewinnmaximierung. So verdreifachten fünf der größten Investmentbanken von New York in den Jahren 2002 bis 2006 ihre Gewinne und erzielten in diesem bisher noch nie erlebten Boom einen Gewinn von rund 30 Milliarden Dollar.
Finanzspekulanten - Masters of the world
Diese Megagewinne machte die Führungsschicht arrogant und selbstherrlich. Sie fühlten sich als "Masters of the world". Die Zahl der Hauptakteure betrug nach Sennett rund 700- 800. Die "happy few" der Finanzaristokratie errichteten Barrieren, um unter sich zu bleiben.

Sie agierten als Hohepriester eines Finanzsystems, deren komplexe Wertpapiertransaktionen von den "Handwerkern" nicht mehr nachvollzogen werden konnten; ihre Gier war größer als die Vernunft, lautete die Einschätzung der Systemerhalter, die nun als arbeitslose Opfer des Größenwahns herhalten müssen.
Keine Schuldeinsicht
Nach dem Crash der Investmentbanken, der die größte Finanzkrise seit 80 Jahren auslöste, bestand die Zwei-Klassengesellschaft weiter. Die Solidarität der Führungskräfte wurde nicht erschüttert. Auch die Schuldeinsicht war gering.

Auf Fragen, wie man denn die Krise verhindern hätte können, kamen Antworten wie: "Man hätte etwas vorsichtiger sein können"; oder "Diese Entwicklung konnte ich nicht beeinflussen". Dieses Umfrageergebnis deckt sich mit der Einschätzung von Barack Obama, der vor wenigen Tagen meinte: "Keiner ist bereit, Verantwortung für das Finanzdebakel zu übernehmen".
Individuelle Religiosität gegen institutionelle Religion
Das letzte große Thema des Symposiums war die Religion, die auch in den letzten Jahren von der Soziologie zunehmend beachtet wird. Der an der Universität Konstanz emeritierte Soziologe Hans-Georg Soeffner betonte den Unterschied zwischen der Religiosität des Individuums und der Religion als dogmatisches Lehrgebäude. Er sprach von der "Tragödie" der Religion, die als Instanz die Religiosität des Einzelnen dem dogmatischen Kanon unterwirft.

Ulrich Beck nahm diese Unterscheidung auf. Er sei zwar von der Möglichkeit beeindruckt, meinte er, dass sich das Individuum - jenseits von Stand, Klasse oder Ethnizität - frei entscheiden könne, in die Gemeinschaft der Christen einzutreten. Danach müsse es sich jedoch den Beschlüssen einer intoleranten Institution fügen und büße seine Autonomie ein.
Fazit
Das Symposium "zu Ehren von Ulrich Beck" war keineswegs eine Jubelfeier des agilen Emeritus, sondern eine lebendige Auseinandersetzung mit Konzepten, die auf ihre Tragfähigkeit überprüft wurden.

Hans-Georg Soeffner gab im Gespräch mit science.ORF.at seine Einschätzung der wissenschaftlichen Arbeit des Jubilars: "Beck ist der seltene Fall eines Utopisten, der mit großer Phantasie versucht, Zeitdiagnosen mit der Formulierung von bestimmten Hoffnungen zu verbinden".

Nikolaus Halmer, Ö1 Wissenschaft, 30.7.09
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Literaturhinweise
Ulrich Beck: Weltrisikogesellschaft, Suhrkamp Verlag
Macht und Gegenmacht im globalen Zeitalter, suhrkamp taschenbuch 4099
Der eigene Gott. Friedensfähigkeit und Gewaltpotential von Religionen, Insel Verlag
Richard Sennett: Die Kultur des neuen Kapitalismus, Berlin Verlag
Handwerk, Berlin Verlag
Bruno Latour: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft, Suhrkamp Verlag
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->   Symposium "Futures of Modernity"
->   Ulrich Beck
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01.01.2010