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E-Forum Alpbach: Entwicklungspolitik heute  
  Trotz unzähligen Entwicklungshilfeprojekten hat sich die humanitäre Lage in zahlreichen Ländern nicht wirklich verbessert, mancherorts sogar drastisch verschlechtert. Es gilt als äußerst unwahrscheinlich, dass die UNO ihre Millennium Development Goals bis 2015 erreicht. Offensichtlich haben die gewählten Strategien nicht gegriffen.  
In einem Gastbeitrag beschäftigt sich Wolfgang Dietrich damit, ob das zielgerichtete Denken bisheriger gescheiterter Initiativen durch neue Ansätze ersetzt werden kann, die unter anderem auf Vertrauen und gemeinsames Engagement setzen. Er leitet beim Europäischen Forum Alpbach 2009 ein Seminar zum Thema.
Wie vertrauenswert internationale Entwicklungspolitik heute?

Von Wolfgang Dietrich

Vor einem halben Jahrhundert, als die Entlassung vieler asiatischer, afrikanischen und karibischer Kolonien Europas in vollem Gange war, schien die Formel ganz einfach: Politische Unabhängigkeit, wirtschaftliche , administrative und technische Modernisierung der ehemaligen Kolonien abzüglich der politischen und menschlichen Entwürdigung durch die Kolonialherrschaft ergibt soziale Entwicklung.

Fünf so genannte Entwicklungsdekaden später wäre das bloße Verfehlen der ambitionierten Modernisierungsträume von damals schon ein tröstliches Ergebnis. In den meisten der dekolonisierten Länder hat sich die humanitäre Lage für die Mehrzahl der Menschen dramatisch verschlechtert.

Von Menschenhand gemachte Umweltkatastrophen und alle Formen der Gewalt machen einst fruchtbare und prosperierende Landstriche unbewohnbar. Das läßt Menschmassen entwurzelt, verzweifelt und teilweise gewaltbereit nach neuen Perspektiven suchen.
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Seminar beim Europäischen Forum Alpbach
Wolfgang Dietrich leitet gemeinsam mit Astier Almedom beim Europäischen Forum Alpbach das Seminar "Building trust: Development cooperation" (20.- 26. 8 2009). science.ORF.at stellt dieses und weitere Seminare in Form von Gastbeiträgen vor.
->   Details zum Seminar
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Kolonialismus in neuem Gewand
Dass die Modernisierungsträume der damaligen Generation von den irrigen, weil postkolonialen Vorstellungen über Mensch und Gesellschaft getragen waren, wird heute nicht mehr bestritten. Die Berichte über fehlgeschlagene und kontraproduktive Entwicklungsprojekte füllen Bibliotheken. Die im christlichen Missionsgedanken fußenden Heilsversprechungen des modernisierenden Entwicklungsoptimismus sind schon seit den achtziger Jahren einem "Rettet die Welt"-Pessimismus gewichen.

Dieser schlägt sich in der Nachhaltigkeitsdebatte im Bezug auf die Umwelt nieder. Die im Geist des Neokolonialismus verfassten Strukturanpassungsprogramme der Weltbank und des IWF für die Nationalökonomien des Südens kommen dem psychologisch nahe. Die aktuelle Weltwirtschaftskrise entlarvt schließlich den rethorischen Charakter der noch zur Jahrausendwende so überzeugend scheinenden Millenniums-Ziele, die extreme Armut und den Hunger auf der Welt bis 2015 zu beseitigen oder wenigstens zu halbieren. Wer jemals daran geglaubt hat, sieht sich heute gründlich frustriert.
Unterentwickelte Menschen als Bedrohung
Die politischen und wirtschaftlichen Eliten der Industriestaaten haben diese Hoffnung aber wohl nie, oder zumindest schon lange nicht mehr ernsthaft gehegt. Als sich die NATO nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes selbst neu definierte und zu so genannten Out of Area Einsätzen ermächtigte, die inzwischen die Regel ihrer militärischen Missionen bilden, wurde die Frage von Umwelt und Entwicklung in ihre Agenda integriert.

Auch die Europäische Sicherheitsstrategie der EU erhebt diese Themen in den Rang höchster Priorität, weil die Sicherheitsrisken Europas außerhalb der eigenen Grenzen bekämpft werden sollen. Unterentwickelte Menschen bedrohen dieser Logik zu Folge als Terroristen, oder zumindest als Migranten, die westliche Zivilisation.
Weg von den humanitären Wurzeln
Die USA haben in der unglücklichen Epoche der Administrationen von Ronald Reagan bis George W. Bush den wirtschaftlichen Protektionismus der südamerikanischen Nationalökonomien geknackt und zugleich einen eisernen Vorhang der Inhumanität gegen die dadurch entwurzelten Menschen Lateinamerikas an ihrer Südgrenze errichtet.

Das zeigt, dass in dieser Phase die Idee der Entwicklung von den letzten Resten ihrer humanitären Wurzel der Solidarität oder Nächstenliebe getrennt und zum sicherheitspolitischen Imperativ der industriellen Zentren umgedeutet wurde. Als solcher fördert sie eine Fremdenfeindlichkeit, die in ihrer naiven Grausamkeit dem Rassismus kolonialen Musters kaum nachsteht.
Kein Paradies für alle
Die an diesem Desaster Schuldigen werden oft und gerne benannt: Der Kapitalismus mit seinen internationalen Heuschrecken-Spekulanten, autokratische Herrscher aller Couleurs, die Waffenlobby, die Drogenmafia, die Ölbarone, Schlepper und Menschenhändler und so fort. Nur wenige von ihnen wurden von Richtern für ihre Schuld bestraft, einige vielleicht vom Schicksal, die meisten aber leben in Wohlstand und füllen als schillernde Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens die Gazetten.

Das Vertrauen der vermeintlich Begünstigten des Entwicklungsgeschäfts - ein eleganteres Wort für die Unterentwickelten, Unzivilisierten, Ungebildeten, Analphabeten, Unterernährten, Ungesunden oder Obdachlosen, derer also, die noch nicht sind, was sie sein sollten und mit diesen Verneinungen gemeint sind - in diese Eliten ist längst gebrochen. Ebenso ernüchtert ist der idealistische Blick, der in diesem Zusammenhang die Guten von den Bösen, die Unterdrücker von den Unterdrückten so eindeutig zu unterscheiden vermag.

Vielmehr lässt sich in der Praxis ein zynisches Spiel des symbolischen Austauschs moralisierender Codes beobachten, an dem sich bereichert, wer dazu in der Lage ist. Das führt zu allen möglichen Ergebnissen, aber sicher nicht in ein diesseitiges Paradies für alle, wie es die Idee von Entwicklung einst unterstellt hat.
Neuorientierung dringend notwendig
Diese kollektive Erfahrung und der ernüchternde Befund von fünf Entwicklungsdekaden weckt wenig Vertrauen in bloße Verbesserungsvorschläge des immer Selben, wie wir sie in den verschiedenen sozialwissenschaftlichen Ansätzen seit den sechziger Jahren gesehen haben.

Das erwartungsgemäße Scheitern der Millennium Development Goals wäre eine neuerliche Gelegenheit, von kosmetischen Anpassungen der Entwicklungsidee zu tiefgreifenden Überlegungen überzugehen, die sich von der fundamentalistischen Vorstellung eines sich linear entwickelnden Königswegs der Zivilisation lösen.

Die Naturwissenschaften haben sich schon vor Jahrzehnten von solchen trivial-darwinistischen Ansätzen losgesagt und die These vom ewigen Kampf aller gegen alle verworfen. Im Ökosystem überleben auf die Dauer nicht die Fittesten, sondern die Kooperationsfähigsten. In den Sozialwissenschaften setzt sich diese Einsicht nur sehr langsam durch.
Einsicht in die Weltzusammenhänge
Der Wechsel vom linearen Fortschrittsdenken, vom Wettlauf in der Einbahn der Entwicklung und Zivilisation zu einem ganzheitlichen Systemansatz verlangt nach gänzlich neuen Paradigmen, welche nicht einzelne Akteure problematisiert und andere zu Wahrern von Wahrheit und Fortschritt erhebt, sondern alle Menschen und Gesellschaften als beziehungshafte Wesen in einer einzigen Welt verstehen, in der jede Handlung Konsequenzen für alle anderen hat.

Der Zusammenhang zwischen dem Glück der einen und dem Unglück der anderen ist vor diesem Hintergrund nicht primär eine Frage der Moral sondern eine der Balance, des Verstandes und der pragmatischen Einsicht in die Zusammenhänge der Welt. Aus dieser Sicht ist das Vertrauen in Entwicklung und ihre Versprechungen eine Phantasie, buchstäblich eine Vorstellung, die sich zwischen die Menschen und die Welt, deren Teil sie selbst schicksalhaft sind, schiebt.

[14.8.09]
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Über den Autor
Wolfgang Dietrich ist UNESCO Chairholder für Friedensstudien und Programmdirektor des Universitätslehrgangs für Frieden, Entwicklung, Sicherheit und Internationale Konflikttransformation an der Universität Innsbruck.
->   Wolfgang Dietrich
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->   UNESCO Lehrstuhl
Weitere Beiträge zu den Seminaren des Europäischen Forum 2009:
->   Oliver Rathkolb: Vertrauen als politische Basis
->   Christoph Zielinski: Vertrauen in der Medizin
->   Udo Hebel: Nationen und ihre Erinnerungskulturen
->   Alexander Somek: Vertrauen im Recht
Weitere Beiträge zu den Alpbacher Technologiegesprächen 2009 in science.ORF.at:
->   "Häuser, die mit dem Netz reden"
->   E-Governance: "Bürger auf gleicher Augenhöhe mit dem Staat"
->   Lebensmittel: Das Individuelle der Allergien
->   Strukturbiologie: "Da hat die Natur Sicherheitsmaßnahmen eingebaut"
 
 
 
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01.01.2010