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Hirnforschung: Der Scheinwerfer und die Wellen-Uhr  
  Zwei Biologen haben bei Experimenten mit Affen die innere Uhr des Gehirns entdeckt. Sie synchronisiert verschiedene Hirnregionen - womöglich bestimmt sie gar die Geschwindigkeit des Denkens.  
Seriell oder Parallel?
Neurobiologie im Praxistest: Jan hat eine Verabredung mit zwei Freunden im Café Alt Wien. Das Lokal ist wie üblich gut besucht, nikotingesättigte Rauchschwaden hängen in der Luft, aus dem Gewirr der Stimmen dringt hin und wieder ein Lachen hervor. Jan hat seine Freunde noch nicht entdeckt, aber irgendwo da drinnen müssen sie sein. Wie findet er sie? Lässt er seinen Blick von Tisch zu Tisch schweifen - oder betrachtet er das gesamte Lokal und wartet, bis sich die vertrauten Gesichter spontan von der Szenerie abheben? Man könnte die Frage auch so formulieren: Arbeitet unsere visuelle Suchmaschine seriell oder parallel?

Eine aktuelle Studie im Fachblatt "Neuron" (Bd. 63, S. 386) legt nun nahe, dass ersteres der Fall ist. Freilich fanden die Experimente von Tim Buschman und Earl Miller nicht im Kaffeehaus statt, sondern im Labor, und als Probanden wählten die beiden MIT-Forscher anstatt von Großstadtflaneuren natürlich Affen aus.

Dennoch hatte die gewählte Versuchsanordnung durchaus Ähnlichkeiten mit der Suche in einem überfüllten Lokal. Die Affen wurden darauf trainiert, aus einer Balkengruppe auf einem Bildschirm einzelne Balken auszuwählen. Während sie das taten, überwachten Buschman und Miller deren Hirnaktivität.
Scheinwefer-Modus vermeidet Chaos
Sie zeigt: Die Affen änderten ihre Aufmerksamkeit gegenüber dem dargebotenen Bild ruckartig, diese sprang von Balken zu Balken, verharrte niemals, bleib aber wie ein Scheinwerfer auf einen lokalen Bereich begrenzt; Hinweise auf ein serielle Verarbeitung ließen sich aus den Daten hingegen nicht ablesen.

Dass ist nicht unbedingt ein Widerspruch zum Bild vom "Strom des Bewusstseins", das William James einst in die (damals noch nicht so bezeichnete) Neurophilosophie eingeführt hat. Unsere Ich-Empfindung mag ohne Unterbrechung fließen, sofern man von Schlaf und Tagträumen absieht, aber die Aufmerksamkeit hat offensichtlich einen recht sprunghaften Charakter.

Und das ist gut so, betont Earl Miller: "Die Aufmerksamkeit lenkt die Fülle der Sinnesinformationen in einen überschaubaren Rahmen. Das gilt speziell für das Sehen, an dem viele Gehirnregionen beteiligt sind. Würden sie alle miteinander konkurrieren, entstünde Chaos."
Wellen verbinden
Das Band, das all die Regionen zusammenhält, besteht offenbar aus Erregungswellen, die durch die Hirnrinde laufen. Dabei handelt es sich um kollektive Phänomene von Nervenverbänden, die im Gegensatz zum Verhalten einzelner Neuronen gar nicht so gut erforscht sind.

Aktionspotenziale etwa - die "Atome" der neuronalen Informationsverarbeitung - wurden in den letzten Jahrzehnten bis ins molekulare Detail analysiert, ihr Beitrag zum Lernen und zur Gedächtnisbildung ist im Wesentlichen bekannt. Bei Gehirnwellen indes ist noch vieles Spekulation. Zwar wurde vermutet, dass sie an der Kommunikation verschiedener Hirnareale und der Entscheidungsfindung beteiligt sein könnten, handfeste neurologische Belege dafür gab es bis dato jedoch kaum.
Taktgeber des Denkens
Auch hier liefern Buschman und Miller nun ein brauchbares Indiz: Die beiden wiesen nach, dass die Aufmerksamkeit etwa 25 Mal pro Sekunde ihren Fokus wechselt - eine Frequenz, die von den Erregungswellen im Gehirn vorgegeben wird. Und nicht nur das: Die Frequenz der Wellen bestimmt sogar die Geschwindigkeit des Denkens, wie die Versuche nahelegen. Denn je schneller die Wellen in den Affenhirnen oszillierten, desto rascher fanden die Tiere den gesuchten Balken am Bildschirm.

"Gehirnwellen könnten die Uhr sein, die dem Rest des Gehirns mitteilt, wann die Aufmerksamkeit von einem zum nächsten Stimulus wechselt", sagt Miller. "Die Oszillationen im Hirn sind ein Weg, verschiedene Regionen zur selben Zeit an denselben Ort zu bringen. Ganz ähnlich, wie auch Computer eine interne Uhr besitzen, um all ihre Komponenten zu synchronisieren."

Robert Czepel, science.ORF.at, 13.8.09
->   Timothy Buschman
->   Earl Miller
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01.01.2010