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Vertrauen als Kriegsopfer
E-Forum Alpbach
 
  Wenn die Wahrheit das erste Opfer des Krieges ist, so ist sein zweites Opfer das Vertrauen: Vertrauen in den Staat vor Gewalt und Tod zu schützen, Vertrauen in Nachbarn, Freunde und Bekannte, die sich auf einmal auf der "anderen Seite" des Konflikts befinden.  
Insbesondere in ethnischen Konflikten, wie in Bosnien und Herzegowina oder im Kosovo, war die Zerschlagung des Vertrauens in Staat und Gesellschaft eines der Kriegsziele: Erst wenn Angst vor Nachbarn und vor dem Vielvölkerstaat herrscht, ist ein neuer homogener Nationalstaat denkbar.

Mit dem Verlust von Vertrauen in Nachkriegszeiten am Beispiel Jugoslawien beschäftigt sich Florian Bieber in einem Gastbeitrag. Er leitet beim Europäischen Forum Alpbach 2009 ein Seminar zum Thema.
Misstrauen und Vertrauen nach dem Zerfall Jugoslawiens

Von Florian Bieber

Vertrauen lässt sich schnell verlieren, es bedarf jedoch oftmals der bewussten und brutalen Bemühungen von Staaten, Parteien, oder Paramilitärs. Während in einigen Regionen des ehemaligen Jugoslawiens, wie etwa im Kosovo, Misstrauen bereits vor dem Krieg die Beziehungen zwischen Serben und Albanern bestimmt hatte, war in grossen Teilen Jugoslawiens, so etwa in Kroatien oder in Bosnien interethnisches Misstrauen sehr gering.

Erst der Krieg trug das Misstrauen in diese Regionen: Je stärker das Vertrauen vor dem Krieg, desto brutaler mussten Armeen und Paramilitärs vorgehen um Misstrauen zu säen. So zeigt der Dokumentarfilm "We Are All Neighbors" auf eindrückliche Weise, wie gutnachbarschaftliche Beziehungen während des Kriegs in einem zentralbosnischen Dorf in kürzester Zeit durch Gerüchte, den näherrückenden Krieg und zuletzt dem Angriff von militärischen Verbänden zerstört wurden.
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Florian Bieber leitet gemeinsam mit Luis Peral beim Europäischen Forum Alpbach 2009 das Seminar "Confidence-building in the context of security and ethnic conflicts" (20.- 26.8.). science.ORF.at stellt dieses und weitere Seminare in Form von Gastbeiträgen vor.
->   Details zum Seminar
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Wie lässt sich Vertrauen wieder herstellen?
Nach den Kriegen lebten die meisten Angehörigen ethnischer Gruppen in territorial homogenen Enklaven, der Wille und die Möglichkeit zur Kommunikation ist oftmals minimal. Auf diesem Nährboden kann Nationalismus und Misstrauen weiter gedeihen. Umfragen in den Kriegsgebieten des ehemaligen Jugoslawien belegen, dass der Ethnozentrismus, d.h. das Misstrauen gegenüber anderen ethnischen Gruppen in jüngeren Generation, die selbst nicht am Krieg teilgenommen hat, stärker ausgeprägt ist, als bei jenen, die noch Jugoslawien kannten und im Krieg gekämpft haben.

Internationale Organisationen haben sich meist mit Wahlen, Gesetzen und neuen Institutionen beschäftigt. Wie sich jedoch das tiefsitzende Misstrauen innerhalb der Gesellschaft abbauen lässt, war nur selten eine Aufgabe internationaler Akteure. Natürlich ist es kaum möglich Vertrauen von aussen aufzuoktroyieren. Eines der Charakteristika von Vertrauen ist es, dass es binnen Minuten zerstört werden kann, doch meist über Jahre hinweg wachsen muss.

Doch während es leicht ist, in Sonntagsreden Vertrauen zu beschwören, so ist es schwierig überhaupt zu erfassen, was hiermit gemeint ist: Wer muss wem vertrauen?
Vertrauen in die Gesellschaft
Nachkriegsgesellschaften sind von einem mehrfachen Vertrauensverlust geprägt. Nicht nur hat der Krieg das Vertrauen in Angehörige anderer ethnischer Gruppen erschüttert. Das Vertrauen innerhalb einer ethnischen Gruppe ist meist auch stark angeschlagen. Die Erfahrung mit Kriminellen, Korruption und Machtmissbrauch bedeutet, dass die eigene Nation keinsfalls als vertrauenswürdige Idylle gilt.

Im Gegenteil, die Realität der meist homogenen und verarmten Nachkriegsgesellschaft steht der - oftmals verklärten - Erinnerung an die Zeit vor dem Krieg gegenüber. Der Übergang von einem autoritären System mit niedrigen Kriminalitätsraten zu einer pluralistischen Gesellschaft mit allen Begleiterscheinungen, von Drogen bis hin zu beruflicher Unsicherheit, verstärkt dieses Misstrauen.

Selbst im multiethnischen Umfeld überwiegt diese Art der Angst. So erklärte eine Mehrheit der serbischen und albanischen Bürger in der Gemeinde Bujanovac in Südserbien an der Grenze zum Kosovo vor wenigen Jahren, dass die größte Bedrohung von Drogen und nicht von interethnischen Spannungen ausging. Bevor somit Vertrauen auf interethnische Ebene entstehen kann, muss somit ein allgemeines Vertrauen in die Gesellschaft wachsen.
Vertrauen in Institutionen
In den meisten Ländern des ehemaligen Jugoslawien befindet sich die demokratische Legitimität von Institutionen und ihrer Glaubwürdigkeit in den Augen der Bevölkerung im umgekehrten Verhältnis: Je autoritärer eine Institution ist (z.B. Armee, Kirche), desto mehr Vertrauen genießt sie. Das Parlament findet sich meist ganz unten auf derartigen Listen.

Hierbei spielt es meist keine Rolle, ob die Institution verschiedene Nationen repräsentieren, wie die Regierung Bosniens, oder ob sie überwiegend nur eine Nation vertreten, wie das Parlament Serbiens. Ineffiziente und oftmals durch Parteikontrolle geprägte Institutionen stehen überhöhten Erwartungen der Bevölkerung gegenüber. Pauschale Verurteilungen aller Politiker als korrupt und kriminell durch die Sensationspresse untergräbt das Vertrauen in Institutionen und den Staat an sich.

Auch wenn sich dieses Phänomen in anderen Ländern findet, so hat die Kriegserfahrung diese Entwicklung bestärkt und zu einer Verquickung von Staat, organisierter Kriminalität und Kriegsverbrechen geführt. In der Folge ist das Misstrauen der Bevölkerung zwar oftmals gerechtfertigt, doch verhindert der Pauschalverdacht gegen alle Politiker einen Wandel.
Vertrauen zwischen Gruppen
Nach wie vor werden Minderheiten in vielen Ländern des westlichen Balkans als mögliche Bedrohung gesehen. Selbst jüngst in der Debatte um das neue Statut für die Vojvodina, mit einer mehrheitlich serbischen Bevölkerung, wurde dieses von nationalistischen Medien und Politikern als ersten Schritt zur Loslösung der Provinz gesehen.

Misstrauen bestimmt auch die Politik in Bosnien oder im Kosovo: Während serbische Politiker die Angst vor einer muslimischen Dominanz schüren, nehmen Mehrheiten die Sorgen der Minderheiten oft nicht wahr. Misstrauen in andere Nationen und Minderheiten hat keineswegs mit dem Ende der Kriege aufgehört, sondern ist auch heute weiterhin ein beliebtes Mittel, um durch die Politik der Angst Wahlen zu gewinnen.
Gibt es einen Ausweg?
Misstrauen bedingt sich durch die Kombination von Angst und Unsicherheit. Somit ist deutlich, warum das Kriegsende alleine noch kein Vertrauen herstellt: Oftmals ist die Nachkriegsordnung durch eine grössere Atomisierung der Gesellschaft geprägt als die Kriegszeit. Nicht selten sehnen sich einige Bürger Sarajevos, wenn auch mit etwas Ironie, in die Zeit der Belagerung während des Kriegs zurück: Damals war die Solidarität und das Vertrauen zwischen den belagerten Bürgern grösser.

Natürlich ist die Rückkehr in die Kriegszeit keine wünschenswerte Alternative. Stattdessen muss die Unsicherheit abgebaut werden, die die Basis für Misstrauen bildet: Diese Unsicherheit hat viele Facetten, von der bescheidenen wirtschaftlichen Perspektive zu den teilweise weiterhin unklaren staatlichen Grenzen hin zum persönlichen Ausblick in den Ländern der Region.

Zuletzt gehört hierzu auch die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, ein Prozess der trotz der 16-jährigen Arbeit des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag erst angefangen hat.Während externe Akteure nicht Vertrauen verordnen können, können sie durchaus einen Beitrag leisten, die Ängste und Unsicherheiten in der Region abzubauen.

[17.8.09]
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Über den Autor
Florian Bieber unterrichtet osteuropäische Politik an der Universität Kent, Großbritannien. Er war Gastprofessor an der Central European University, Budapest, der Universität Sarajevo und der Universität Bologna. Anfang 2009 übernahm er einen Gastlehrstuhl an der Cornell University, New York. Außerdem ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter des Europäischen Zentrums für Minderheitenfragen in Sarajevo und Belgrad von 2001 bis 2006.
->   Florian Bieber
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Weitere Beiträge zum E-Forum Alpbach 2009 in science.ORF.at:
->   Wolfgang Dietrich: Entwicklungspolitik heute
->   Oliver Rathkolb: Vertrauen als politische Basis
->   Christoph Zielinski: Vertrauen in der Medizin
->   Udo Hebel: Nationen und ihre Erinnerungskulturen
->   Alexander Somek: Vertrauen im Recht
Weitere Beiträge zu den Alpbacher Technologiegesprächen 2009 in science.ORF.at:
->   "Häuser, die mit dem Netz reden"
->   E-Governance: "Bürger auf gleicher Augenhöhe mit dem Staat"
->   Lebensmittel: Das Individuelle der Allergien
->   Strukturbiologie: "Da hat die Natur Sicherheitsmaßnahmen eingebaut"
 
 
 
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01.01.2010