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Schwindel an Zunge und Gaumen  
  Viele Menschen essen falsch und ruinieren sich damit ihre Gesundheit. Denn was gesund ist, schmeckt oft nicht. Dem wollen Lebensmittelchemiker abhelfen - mit Geschmacksmodulatoren.  
Diese Moleküle gaukeln dem Körper einen bestimmten Geschmack vor. So könnten - sagen die Forscher - nicht nur gesündere Lebensmittel ohne Abstriche beim Geschmack produziert, sondern auch der weltweite Hunger eingedämmt werden.
Von der Geschmacksverstärkung zur Veränderung
Geschmacksverstärker waren gestern. Mit einer Substanz wie Glutamat lässt sich ein vorhandener würziger Geschmack verstärken. Die Suppe schmeckt dann so, als wäre eine Menge Fleisch verwendet worden, obwohl es tatsächlich nur ein paar Stücke sind. Das kann problematisch sein - nicht nur weil damit der Anteil hochwertiger Zutaten in einem Lebensmittel abgesenkt wird, sondern auch weil Glutamat bei empfindlichen Personen gesundheitliche Probleme auslösen kann.

Geschmacksmodulatoren gehen noch einen Schritt weiter. Sie können Salziges noch salziger machen, Saures in Süßes verwandeln oder bitteren Substanzen einen angenehmen Geschmack verleihen. Es handelt sich um kleine Moleküle, die selbst nach nichts schmecken und schon in winzigsten ihre Wirkung entfalten.
Bekämpfung des Welthungers
Zu den führenden Unternehmen auf dem Gebiet der Geschmacksmodulatoren gehört die Firma Senomyx aus San Diego in Kalifornien, die nach eigenen Angaben bereits mit großen Lebensunternehmen wie Nestle, Coca-Cola oder Suppenhersteller Campbell zusammenarbeitet. Unter anderem befasst sich das Unternehmen mit Techniken, den bitteren Geschmack von Lebensmitteln, Getränken, aber auch Arzneimitteln zu minimieren beziehungsweise ganz zu eliminieren.

Einige Wissenschaftler sehen in der Forschung mit Geschmacksmodulatoren schon einen Schlüssel zur Bekämpfung des Hungers in der Welt. Das Nahrungsspektrum der Menschen könne so erweitert und vorhandene Quellen ausgiebiger genutzt werden. "Ließe sich etwa der Nachgeschmack von Sojaproteinen ausblenden, könnte der Rohstoff in größerem Ausmaß als bisher genutzt werden und mehr Menschen ernähren", heißt es etwa in einem Artikel der Zeitschrift "Spektrum der Wissenschaft" zum Thema Geschmacksmodulatoren.
Irreführung der Verbraucher
Allerdings erleichtern die Modulatoren auch die Irreführung des Verbrauchers: Üble Geschmacksnoten minderwertiger Zutaten könnten einfach ausgeschaltet werden. Und manchmal kann das sogar richtig gefährlich werden - etwa bei unterdrückten Bitterstoffen.

"Der Mensch hat einen eingebauten Schutz vor Gift, und Bitteres ist meist giftig", sagt Udo Pollmer, Lebensmittelchemiker und Autor zahlreicher Bücher zum Thema Ernährung. Zwar könne der Körper bei mehrfacher Einnahme lernen, dass ihm Nahrungsmittel mit ganz bestimmten bitteren Stoffen Wohlbefinden verschaffen - etwa Bier, Kaffee oder auch die englische Bittermarmelade.

"Wenn ein Produkt aber vom Organismus dauerhaft als unangenehm schmeckend wahrgenommen wird, dann ist das in der Regel ein Hinweis darauf, dass es für diesen Menschen schädlich ist", sagt Pollmer. Wer diesen Sicherheitsmechanismus ausschalte, gehe ein großes Risiko ein: "Wenn Bitterstoffe im Essen moduliert werden, wird die Zahl der Vergiftungen - auch mit Todesfällen - zunehmen."
Fehlgesteuertes Essverhalten
Auch die Sojaproteine, die Wissenschaftler mit Modulatoren verändert wollen, um das Nahrungsspektrum, werden von Menschen in unbehandeltem Zustand als bitter wahrgenommen: "Jeder Botaniker weiß, dass die Sojapflanze eigentlich ungenießbar, wenn nicht gar giftig ist", sagt Pollmer.

Soja wurde früher vor allem als Dünger genutzt, später zur Herstellung von Kunststoffen. Es habe lange gedauert, bis man in der Lage war, das Sojaeiweiß so zu entgiften, dass es als Schweinefutter taugte. "Nach den Schweinen kommt heute auch der Mensch als Verbraucher dazu", sagt Pollmer.

Und auch von Manipulationen beim Geschmack von Zucker oder Salz hält Pollmer nichts. Zum Thema Salz erklärt der streitbare Lebensmittelexperte: "Da für den Körper das Natrium aus dem Salz lebensnotwendig ist, um den Flüssigkeitshaushalt der Zellen zu regulieren, misst er die Zufuhr. Wenn er merkt, dass er verarscht wird, dann fordert er den Stoff eben nachträglich ein. Bekommt er das nicht, dann trinkt er weniger."

[science.ORF.at/APA/AP, 28.5.09]
 
 
 
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01.01.2010