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Epileptikerin nimmt sich als Mann wahr  
  Von einer eigenartigen Erfahrung hat eine deutsche Frau ihren Ärzten berichtet: Bei epileptischen Anfällen hielt sie sich selbst für einen Mann. Schuld an dem bisher einzigartigen Phänomen könnte ein Tumor im Gehirn sein.  
Tiefe Stimme, behaarte Arme
"Ich fühlte mich nicht mehr länger als Frau. Ich hatte den Eindruck, mich in einen Mann zu verwandeln. Meine Stimme klang männlich, meine Arme sahen aus wie Männerarme, mit männlichem Haarwuchs." Was eine 37-´jährige Deutsche ihren Ärzten erzählte, ist ein für Epileptiker bisher nicht gekanntes Phänomen. Dabei kann die Realität den Betroffenen auch sonst ganz schön verdreht vorkommen: Deja-vus, visuelle und akustische Halluzinationen machen Epileptikern oft zu schaffen.

Dass sie aber im Anfall ein anderes Geschlecht wahrnehmen, dürfte neu sein. Laut den Neurologen um Burkhard Kasper vom Universitätsklinikum Erlangen ist für die Krankheit so etwas bisher nicht beschrieben worden, wie sie in der Fallstudie der deutschen Patientin im Fachblatt "Epilepsy and Behaviour" schreiben (im Druck, Abstract online). Kasper und seine Kollegen haben die Gehirnströme der Patientin untersucht und ein Magnetresonanzbild von deren Gehirn aufgenommen.
Falsche Doppelgänger und Verkleidungen
Das beobachtete Phänomen gehört zu einer Gruppe von Wahnvorstellungen, die unserem Gehirn ein Schnippchen schlagen, und bei denen die Identität von Personen, Gegenständen und Plätzen nicht für das gehalten werden, was sie sind. Solche Syndrome treten meist bei Schizophrenie auf, wurden aber auch bisher schon bei Epileptikern beobachtet.

So glauben etwa Menschen mit dem Capgras-Syndrom, dass ein ihnen nahe stehender Mensch von einem Doppelgänger ersetzt worden ist; wer unter dem Fregoli-Syndrom leidet, bildet sich ein, dass Bekannte mit einer anderen Identität auftreten; und für Menschen mit Intermetamorphose tauschen Zeitgenossen deren Identität. Dass für manche Menschen andere scheinbar ihr Geschlecht ändern, wurde bereits in den 1930er-Jahren beschrieben. Hier sah eine Frau andere Frauen zu Männern werden.
Tod oder vervielfältigt
Deutlich seltener ist von solchen verdrehten Sichtweisen die eigene Person betroffen. In diesen Fällen können sich Menschen für bereits tot halten (Cotard-Syndrom) oder glauben, dass sie mehr als nur einmal existieren.

Die Epilepsiepatientin zeigt damit diese seltene Form, erlebte die Geschlechtsumwandlung aber nicht nur bei sich selbst. Als während eines Anfalls einmal eine Freundin anwesend war, wurde auch diese in den Augen der Patientin zum Mann. Das Phänomen trat immer bei epileptischen Anfällen auf, nie in der Zeit dazwischen.
Tumor als mögliche Ursache
Laut den Autoren unterstützt diese Beobachtung eine Hypothese, nach der es einen neuralen Mechanismus gibt, der die Einzigartigkeit von Personen, Gegenständen und Orten erkennt und für den die rechte Gehirnhälfte eine große Rolle spielen dürfte. So treten etwa viele der beschriebenen Phänomene dann auf, wenn die rechte Gehirnhälfte verletzt ist.

Die entscheidende Stelle dafür dürfte die Amygdala sein. Sie dürfte die Identität erfassen, - etwa indem Informationen über Bekanntheit, emotionalen Status oder eben Sexualität verarbeitet werden. Bei weiblichen Goldhamstern zeigte eine ältere Studie, dass Tiere mit Schäden an der Amygdala das Geschlecht über den Geruch nicht mehr klar wahrnehmen konnten.

Da die beschriebene Epilepsiepatientin an der rechten Amygdala eine Läsion - möglicherweise einen Tumor - aufweist, haben die Ärzte wenig Zweifel daran, dass das Symptom der Patientin dadurch verursacht wird.

Mark Hammer, science.ORF.at, 1.9.09
->   Burkhard Kasper
->   Amygdala
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01.01.2010