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Auge erkennt Feind schneller als das Gehirn  
  Auf der Netzhaut von Mäusen haben Forscher einen Zelltyp entdeckt, der herankommende Feinde wahrnehmen kann. Diese Nervenzellen erkennen in bestimmten Situationen Gefahren noch ohne Hilfe des Gehirns - wahrscheinlich ist dies auch beim Menschen der Fall.  
Die Wissenschaftler rund um Thomas Münch vom Werner Reichardt-Centrum für Integrative Neurowissenschaften an der Universität Tübingen untersuchten Nervenzellen in der Retina, die auf Bewegungen reagieren.

Das Ergebnis: Komplizierte visuelle Unterscheidungen werden schon in der Netzhaut und nicht erst im Gehirn getroffen.
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Die Studie "Approach sensitivity in the retina processed by a multifunctional neural circuit" ist am 6.9. online in der Fachzeitschrift "Nature Neuroscience" erschienen.
->   Abstract der Studie
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Wahrnehmung entsteht
Die Netzhaut ist Teil des Nervensystems, das aus Milliarden von Zellen besteht. Sie haben verschiedene Formen und Funktionen und werden deshalb von Neurowissenschaftlern in verschiedene Typen eingeteilt. Der Wahrnehmungsprozess beginnt damit, dass die Sinneszellen auf der Netzhaut Lichtreize registrieren.

Die Informationen werden danach von den Ganglienzellen weiterverarbeitet. Sie sind die letzte Station, bevor die Informationen über den Gehirnnerv in das Gehirn weitergeleitet werden. Erst dort entsteht in der Sehrinde der eigentliche Seheindruck. Thomas Münch und seine Kollegen haben nun herausgefunden, dass bereits Nervenzellen in der Retina herannahende Objekte erkennen.
Der Test mit der Maus
Feinde schnell zu erkennen ist überlebensnotwendig: Entdeckt eine Maus beispielsweise einen Raubvogel, der sich ihr nähert, muss sie schnell reagieren und flüchten. Die Wissenschaftler erklären, wie die Nervenzellen sensibel auf sich nähernde Objekte reagieren: Die sogenannten PV5-Ganglienzellen sammeln Informationen von vielen kleineren Zellen. Davon gibt es zwei Arten: Jene kleinen Zellen, die die PV5-Zelle anregen, und andere, die sie hemmen.

Nähert sich der Maus ein Objekt, im Fall dieser Studie ein dunkler Balken, so sind nur die anregenden Zellen aktiv. Darauf reagieren die PV5-Zellen mit einem warnenden Signal an das Gehirn. Wenn sich im visuellen Umfeld der Maus Objekte entfernen, wirken die kleinen Zellen auf die PV5-Zelle hemmend - das Signal an das Gehirn ist schwächer. Diese Funktionen verleihen der PV5-Zelle eine visuelle Fähigkeit und sie spezialisiert sich auf herankommende Objekte. Der Vorteil für die Maus: Die schnelle Informationsverarbeitung schützt sie vor Feinden.
Weitere Untersuchungen
Aber welche Auswirkungen hat die neu entdeckte Wahrnehmung auf den weiteren Informationsprozess? Welche Rolle spielen die dahinterliegenden Gehirnregionen?

Gegenüber science.ORF.at erklärt Münch: "Um diese Fragen beantworten zu können, sind weitere Untersuchungen notwendig. Im Moment können wir nur spekulieren, ob die Information zum Beispiel direkt an die Reflexzentren weitergleitet wird. Wir wissen es nicht."
Zelltyp auch bei Menschen
Was die Forscher mit hoher Wahrscheinlichkeit wissen, ist, dass dieser Zelltyp bei allen Säugetieren, also auch beim Menschen existiert, selbst wenn sich die Studie nur mit Netzhäuten von Mäusen beschäftigt: "Nach allem was über die Säugetiernetzhaut durch vergleichende Studien bekannt ist, lassen sich solche Ergebnisse in der Regel verallgemeinern", erklärt Münch.

[science.ORF.at, 8.09.09]
->   Die Ganglienzelle (Wikipedia)
->   Werner Reichardt-Centrum für Integrative Neurowissenschaften
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Transplantierte Sehzellen machen blinde Mäuse "sehend"
 
 
 
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01.01.2010