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Gehörlose Österreicher in der NS-Zeit  
  Schätzungsweise 10.000 Gehörlose haben vor 1938 und damit vor dem NS-Regime in Österreich gelebt. Ihre Verfolgung, Diskriminierung und Lebenswege zeichneten zwei Linguistinnen der Universität Wien nach.  
Anhand von Interviews mit 24 gehörlosen Zeitzeugen, Recherchen in Archiven und bereits vorhandener Forschungsarbeit untersuchten die beiden ein wenig beleuchtetes Kapitel der Geschichte.

"Das Überraschungskapitel" unter den acht aufgegriffenen sei das Thema Widerstand gewesen, so Verena Krausneker und Katharina Schalber anlässlich der Ergebnispräsentation am Dienstag in Wien. "Wir haben nicht gedacht, dass dies ein Thema sein wird. Aber auch Gehörlose haben sich widersetzt - aktiv oder passiv, aus politischen oder eher persönlichen Beweggründen."
Gut organisierte Minderheit
Die Veröffentlichung der einjährigen Forschungsarbeit erfolgte für Jugendliche aufbereitet und in Österreichischer Gebärdensprache (ÖGS). Aufgegliedert in acht Kapitel über Gehörlosenvereine, Gehörlosenschulen, Zwangssterilisationen, NS-Euthanasie, Krieg, Schoah, Lager und Widerstand erzählen Zeitzeugen aus Österreich und den USA auf einer von den Forscherinnen produzierten DVD aus ihrem Leben während des NS-Regimes und des Zweiten Weltkriegs. Die Gespräche mit den Zeitzeugen führten die Gebärdensprachlinguistinnen selbst.

Eine quantitative Annäherung an das Thema ist aufgrund der nur lückenhaft vorhandenen Daten schwer. Die rund 10.000 gehörlosen Österreicher seien aber schon vor der nationalsozialistischen Herrschaft sehr gut organisiert gewesen. So gab es damals zahlreiche Gehörlosenvereine. Auch der österreichische Gehörlosenbund sei beispielsweise schon 1913 gegründet worden, so Schalber.

Die vorher als Gemeinschaft existierende Gruppe der gehörlosen Minderheit sei "im Zuge der Gesetze", die unter den Nationalsozialisten eingeführt wurden, gespalten worden, sagte Krausneker: "Es gab unterschiedliche Betroffenheit." Eine Gruppe waren die von Zwangssterilisation bedrohten, eine andere die jüdischen Gehörlosen: "Dadurch, dass sie gehörlos waren, waren ihre Überlebenschancen - wie wir leider feststellen mussten - wesentlich geringer als von hörenden jüdischen Österreicherinnen und Österreichern."
Anschluss veränderte die Vereinsstruktur
Mit dem "Anschluss" sei auch die Vielfalt der Vereine zerstört worden, einige mussten sich dem "Reichsverband der Gehörlosen Deutschlands" (REGEDE) unterstellen, einige wurden geschlossen. "1940/41 wurden sämtliche jüdischen Gehörlosenvereine sowieso aufgelöst", so Schalber. In dieser Zeit habe sich aber auch gezeigt, wer die gehörlosen Nazis waren, "denn die durften Positionen im REGEDE innehaben", so Krausneker.

123 jüdische Gehörlose konnten die Forscherinnen in Wien aufgrund einer Namensliste nachweisen - vermutlich habe es 200 gegeben, "nur von 16 wissen wir sicher, dass sie überlebt haben". Dabei wurde die jüdische Gehörlosengemeinschaft in Österreich unter dem NS-Regime "tatsächlich ausgelöscht im Unterschied zur restlichen", so Krausneker. Der einzige jüdische Gehörlose, der damals in Wien geblieben war, überlebte und hier auch nach der NS-Zeit weiter lebte, sei inzwischen gestorben. Auch er, der mehrere Jahrzehnte in der Gehörlosenorganisation leitend tätig war, zählt zu den Zeitzeugen, die die Forscherinnen interviewten.

Das Thema der Flucht konnten zwei Zeitzeuginnen aus den USA darstellen. Eines ihrer Problem sei gewesen, dass auch die USA Menschen mit Behinderung nicht gerne hätten einreisen lassen. "Wenn sie es geschafft haben, von hier wegzu ommen, saßen sie manchmal bis zu fünf Monate auf Ellis Island und wurden nicht hineingelassen", so Krausneker.
Erfahrungen für die Nachwelt erhalten
Das Forschungsprojekt wurde vom Zukunftsfonds der Republik Österreich und dem Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus finanziert. Nur rund zehn Prozent aller gehörlosen Menschen haben gehörlose Eltern. So sind die Weitergabe der Sprache, der Erhalt der Kultur und Identität etc. besonders fragil.

Umso wichtiger sei es, so die Wissenschaftlerinnen, dass die Erfahrung älterer Menschen dokumentiert und auch gehörlosen Kindern und Jugendlichen zugänglich gemacht werde. Auch wenn das Medium Videofilm akademisch ungewöhnlich sein möge, sei es angesichts der bearbeiteten Gemeinschaft das einzig angemessene, so die Forscherinnen.

[science.ORF.at/APA/AP, 15.9.09]
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DVD "Gehörlose Österreicherinnen und Österreicher im Nationalsozialismus" von Verena Krausneker und Katharina Schalber, acht Kurzfilme in Österreichischer Gebärdensprache (ÖGS) mit deutschen Untertiteln, ohne Ton, 220 Min., fünf Euro, zu bestellen unter verena.krausneker@univie.ac.at.
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01.01.2010